Gegen die eigenen Gesetze sündigen

Sándor Márai: Das Kräuterbuch LXVI

Darüber, daß wir nicht vor uns selbst versagen dürfen

Wenn sich in unserem Leben eine Lebensregel etabliert hat, müssen wir uns um jeden Preis daran halten; denn das Leben eines Erwachsenen besteht aus Regeln und Lebensweisen wie ein Gebäude aus fest gefügten Ziegeln, und es ist nicht ratsam, diese Struktur durch das Verschieben des einen oder anderen Bausteins ins Wanken zu bringen.

Jenseits der Vierzig ist unser Leben voller Maßregeln, die andere als Grillen ansehen mögen: wir wissen jedoch, daß ihr eigentlicher Sinn die Verteidigung gegen die Anarchie ist. Aufstehen, zu Bett gehen, Verlustierungen[1], Arbeitszeit, Beziehungen zu anderen Menschen, all das wird im Laufe der Zeit durch strenge Gesetze geregelt.

Und wenn wir gegen diese Gesetze sündigen, dann ist unser Gewissen voller Schuldgefühle. Es ist nicht wahr, daß eine Lebensweise „spontan“ sein kann. Du magst manchmal spontan sein, deine Entscheidungen, deine Leidenschaften, deine Ideen mögen freiwillig sein: aber deine Lebensweise, die von allem unabhängig ist, kann nicht aus freien Stücken und launenhaft sein.

Wenn es den Leuten nicht gefällt, dass du auf die eine oder andere Weise lebst, anders, als sie es sich wünschen, vorstellen, oder anders, als du es ihnen früher aus irgendeiner Notwendigkeit oder einem Mißverständnis heraus gelobt hast: bereue es nicht. Du lebst nicht für die Menschen.

Aber wenn du gegen deine eigenen Gesetze sündigst – diese Untreue wirst du bitterlich bereuen. Selbst in deinen Sünden und Fehlern halte dich an die Ordnung, die sich aus den Gesetzen deines Lebens ergibt. In den Augen der Welt kannst du so oft scheitern, wie du willst. Nur uns selbst gegenüber dürfen wir nicht schwach sein; das wäre der eigentliche Bankrott[2].

Les Confessions d'un bourgeois : Marai, Sandor: Amazon.de: Bücher

[1] szórakozások – Unterhaltungen, Zerstreuungen, Vergnügungen, Zeitvertreib etc.
[2] bukás – Sturz, Fall, Untergang, Flop, Durchfallen etc.
Übersetzung: Seidwalk

Ein Gedanke zu “Gegen die eigenen Gesetze sündigen

  1. Nevem van schreibt:

    szórakozások = Zerstreuungen

    a bukás = der Untergang

    Seidwalk: „szorakozás“ ist ein viel verwendetes Wort. Daß ich (experimentell) „Verlustierungen“ gewählt habe, ist einer jener übersetzerischen Eingriffe, die jede Übertragung kennzeichnen. Mir ging es darum, den distinguierten Ton Márais zu treffen, deswegen habe ich ier ein Allerweltswort (ausnahmsweise) mit einer seltenen Vokabel, die aber die gewisse Arroganz wiedergibt, übersetzt. Weil die Entscheidung ein Experiment ist und ich mir selbst nicht sicher bin, ob das noch zulässig ist, habe ich das Wort durch die Fußnote gekennzeichnet.

    Bei „bukás“ scheint mir „Bankrott“ einfach das passendere Wort zu sein.

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