Krankheit als Chance

Sándor Márai: Das Kräuterbuch LXII

Darüber, daß Krankheit Erholung ist

Im schrecklichen Wettkampf des Lebens ruhen die meisten Menschen nur dann aus, wenn sie krank sind. Die Krankheit – nach den Worten des französischen Dichters – ist nicht nur des armen Mannes Reise, sondern sie ist auch die Sommerfrische des Armen, seine winterliche Riviera, seine Tatra und sein Ägypten.

Den hitzigen Gemütern schickt die Krankheit ein wirkliches Fieber, damit sie ein bißchen zur Ruhe kommen. Der ehrgeizige und unbefriedigte Amokläufer, der – wie Kleist, der Dichter – „die Städte wechselt wie ein Fieberkranker die Kissen“, besinnt sich erst im Krankenbett auf seine wahren Bedürfnisse, auf seine hoffnungslosen Leidenschaften.

Die Krankheit ist auch Erholung, das ist eine Banalität. Deshalb beachte den Befehl der Natur, den erzwungenen Krankenurlaub, und baue kleine, künstliche Krankheiten in deinen Lebenslauf ein, damit du dich ausruhen kannst. Kerngesund hüte ein paar Tage das Bett.

Du hast einen Bärenhunger, du würdest sogar an einem Nagel nagen: faste freiwillig ein, zwei Tage. Dein Herz poltert noch nicht wegen des Nikotins: belohne es damit, daß du ohne zwingende Notwendigkeit drei Tage lang auf Zigaretten verzichtest. Der Körper ist so dankbar für die kleinste Aufmerksamkeit.

Und diese winzigen, künstlichen, ohne den Befehl der Krankheit hervorgerufenen Krankheits- und Heilungszustände, freiwillige Diäten, Rückzüge und Ruhephasen, entsprechen einer östlichen Reise oder einer Blinddarmoperation. Probiere es. Du wirst Wunder erleben.

Márai: Micsoda, az én életem nektek egy gesztus?! Onagy Zoltán beszélgetése  dr. Szilágyi Zsófiával - Irodalmi Jelen

Übersetzung: Seidwalk

5 Gedanken zu “Krankheit als Chance

  1. Nordlicht schreibt:

    Man könnte in dem Zusammenhang ja auch noch „Krebs als Metapher“ von Susan Sontag nennen.-

    Nein, meine Anmerkung betrifft ganz allein die sehr harmlose Vorstellung „Gönnen Sie sich einige Tage Erholung durch Krankheit“ und überhaupt das Bild der harmlosen Krankheit. Und falsch ist es natürlich nicht, daß eine Grippe oder anderes dieser Kategorie auszukurieren ist und auch eine erholsame Aus-Zeit darstellen kann.

    Mich hat der Satz „Darüber, daß Krankheit Erholung ist“ getroffen, weil für mich Krankheiten nicht Erholung, sondern Kampf waren; mehrfach und immer wieder Kampf, um aufstehen, gehen, sprechen zu können. Das begann mit 16 mit einem Moped-Unfall und ein knappes Jahr im Krankenhaus, dann den Anschluß zum Abi zu erarbeiten. Unterbrechung beim Studium und als Doktorand, als die Beinamputation bis ganz oben anstand. Ein Hörsturz, der sich über ein Jahr zur Gleichgewichtsstörung entwickelte und als Tumor entpuppte. Nach der OP ein schiefes Gesicht zu haben, den Mund und ein Auge nicht schliessen zu können, ist direkt erholsam.

    Die Übungen sind Kampf. Und dennoch beruflich Vorträge halten zu müssen und auch zu wollen, ist mehrfach Kampf.

    Schliesslich erwischte mit 12 Jahre danach in einem südostasiatischen Land eine Gehirnblutung, dort schleppte mich jemand von der Botschaft glücklicherweise in eine gute Klinik mit einem sehr guten Operateur, der mich rettete. Die Folge waren Sprach- und teilweise Gedächtnisverlust, auch da habe ich mich durchgekämpft. (Eine Fremdsprache konnte ich nicht wieder“finden“, und zum Neu-Erarbeiten war ich zu alt.)

    Das ist ein anderes Bild von Krankheit(en), als es der Dichter beschreibt. –

    Zu Ihren Gedanken und Buchhinweisen: Ja, Sie haben insofern recht, als Krankheit auch Chance ist; ich wäre ein anderer Mensch geworden, wenn ich diese Hindernisse nicht gehabt hätte. Und natürlich habe ich, als es um den Tumor ging, auch die Eso-Hinweise á la „selbst schuld“ (- natürlich verbrämt) gehört. Fuck them.

    Rückblickend: Mein Leben war reich und schön. Alles Schwere gehört dazu.

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    • Ich meine, es geht aus dem Textstück deutlich hervor, daß Márai hier von Schnupfen, Husten, Magenverstimmung und dergleichen spricht.
      Möglicherweise kann man hier auch übersetzerisch etwas abfedern, wenn man „betegség“ mit Leid, Übel, Erkrankung oder Kranksein etc. übersetzt. Der Begriff enthält das alles, seine eigentliche Bedeutung ist aber die Krankheit. Wobei – wie wir gerade sehen – der Begriff im Deutschen ja auch sehr weit gefasst ist.

      Fuzzer: Offensichtlich ein Übersetzungsproblem: Mir fällt tatsächlich i.M. auch kein besseres Wort im Deutschen für dieses leichte Kranksein über ein paar Tage ein. Befindlichkeitsstörung? Viel zu sperrig. Vielleicht muß man gar eine Präambel einfügen, die die Bedeutung festklopft. Der von Ihnen genannte Kontext ist eben gerade nicht ad hoc da. Das führte ja zu den gleichartigen Kommentaren.

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    • Ich muß Sie leider schon wieder bitten, sich etwas genauer zu äußern. Ich kann ein solches Potenzial nicht sehen. Der Gedanke ist ja auch nicht neu oder originell. Es gab vor Jahrzehnten mal einen Bestseller von Rüdiger Dahlke – heute Impfkritiker – mit dem Titel „Krankheit als Chance“ und von Thorwald Dethlefsen „Krankheit als Weg“.

      Wenn Sie darin eine „Schuld“zuweisung sehen, dann bewegen Sie sich auf buddhistischen Pfaden und überhaupt allen Reinkarnationslehren. Das führte ja mitunter so weit, daß man seltsame Annahmen hinsichtlich des Holocaust entwickelte. Aber auch das sollte man verkraften können. Gerade hier, auf Seiten wie dieser, wo man sich gern über den modernen Hypersensibilismus erregt, weil dieser ein Antrieb der PC ist, verwundern mich solche Empfindlichkeiten. Selbst wenn also sich jemand provoziert fühlen sollte – was soll daraus folgen? …

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      • Fuzzer schreibt:

        Ohne Nordlicht vorzugreifen, liegt daß was er meint wohl im Begriff Krankheit, den Marai hier zugrundelegt. Jemand mit eigenen Erfahrungen mit schweren, oder auch „nur“ signifikanteren chronischen Krankheiten schüttelt dabei eher zwangsläufig den Kopf, ebenso jeder Arzt.
        Wenn Sie einen Tumor im Kopf haben ist Krankheit eben keine Erholung. Bei ALS können Sie noch ca. drei Jahre darüber nachdenken Ihre Ernährung zu verbessern und Sport zu treiben, das nutzt Ihnen aber nichts. Mit einem Aneurysma in einem maßgeblichen nichtzugänglichen Gefäß sind Ihre Optionen ebenfalls beschränkt. Usw., usf.
        Diese Kategorie schließt überstandene – teilweise mit riskanten Behandlungen mit unausweichlichen trade-offs verbundene – Dinge ebenso ein wie das, was Sie nicht mehr loswerden.

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