Traue keinem Politiker

Das ist die Lehre aus der Wahl in Dänemark. Sie ist nicht neu und sie wird sich noch viele Male wiederholen, aber mit der gestrigen Bekanntgabe der neuen Regierungskoalition in Marienborg wurde ihr ein besonders instruktives Kapitel beigefügt. Denn alle drei Koalitionäre haben den Spruch bestätigt.

Da ist zuerst Mette Frederiksen, die strahlende Siegerin einer Wahl, die eigentlich ihr Ende bedeuten sollte. Trotz aller Skandale ging sie gestärkt aus der Abstimmung hervor. Jene, die ihr damit das Genick brechen wollten, gingen selber unter. Über allem schwebte die „advokatvurdering“, also eine juristische Stellungnahme in der Frage der Tötung von 25 Millionen Nerzen, die im Zuge der Corona-Panik ohne juristische oder medizinische Legitimierung von Frederiksen angeordnet wurde, nur auf einen Verdacht hin, und einen ganzen Wirtschaftszweig über Nacht komplett zerstörte. Sollte es zu dieser Stellungnahme kommen – so viel war relativ sicher – dann würde eine Anklage folgen. Dafür bedürfte es aber eines Klägers und der wäre mit größter Wahrscheinlichkeit aus der konservativen Opposition gekommen.

Vermutlich überraschte Frederiksen die Dänen am Wahlabend deswegen mit ihrem Projekt, eine breite Koalition zu bilden, die linke und rechte Kräfte rechts und links der Sozialdemokraten vereinen würde. Notwendig war das nicht, denn eine rote Mehrheit wäre ihr sicher gewesen. In den kommenden Wochen verprellte sie alle ihre natürlichen Partner, von den Quasi-Kommunisten über die Grünen bis hin zu den liberalen Linken.

Stattdessen sitzen jetzt die „Moderaten“ und die „Venstre“ in der Regierung.

Die „Moderaten“ sind nun ein Produkt des ehemaligen Ministerpräsidenten und Vorsitzenden der „Venstre“ Lars Løkke Rasmussen, ein politisches Urviech, mit allen Wassern gewaschen, ein „Netzwerker“ und Kompromissler, wie er im Buche steht. Seine Abspaltung – nebst der von Inger Støjberg, die eine eigene konservative Partei gründete – war Hauptursache dafür, daß die große konservative Volkspartei als solche zu existieren aufhörte. Während Støjberg aber in einer bösen Schmierenkomödie geschasst wurde, entschied sich Løkke aus eigenen Gründen, die Partei zu verlassen, der er alles zu verdanken hatte. Beide Abspaltungen bekamen knapp 10% der Stimmen, der Stimmenanteil für die „Venstre“ wurde halbiert. Løkke machte von Anfang an keinen Hehl daraus, daß das Moderate seiner Partei in einer Annäherung an die Sozialdemokratie bestehen wird.

Der Dritte im Bunde ist Jakob Ellemann-Jensen, die neue Galionsfigur der „Venstre“ und ihr mutmaßlicher Totengräber. Er hatte vor der Wahl eine Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten kategorisch abgelehnt und wollte die advokatvurdering unbedingt durchsetzen. Sechs Wochen später argumentiert er, daß man in der Politik seinen Stolz schlucken müsse, wenn daraus etwas „Positives für das Land“ erwächst. Sein Salto Mortale ist derart absurd, daß es fast schon wieder lustig ist. Für einen Ministerposten wurden alle Werte und Versprechen verraten, ins Gegenteil umgekehrt und mit ein paar billigen rhetorischen Tricks zu rechtfertigen versucht. Wie man hört, gab es unmittelbar nach Bekanntgabe der Koalition eine kleinere Austrittswelle aus der Partei.

Ob die Koalition der Gegensätze lange halten kann, ist fraglich. Neuwahlen dürften für die meisten Beteiligten katastrophale Ergebnisse zeitigen, insbesondere die „Venstre“ könnte komplett von der Bildfläche verschwinden – man erinnere mich gern an diese Prognose. Wie schnell das im immer volatiler werdenden dänischen Vielparteiensystem gehen kann, hat die „Dänische Volkspartei“ bewiesen, die sich innerhalb zweier Wahlen von 21% auf 2,6% herunterintrigierte und -„normalisierte“.

Nur eines kann Venstre und Frederiksen retten: sie müssten gegen alle Voraussetzungen und Wahrscheinlichkeiten Dänemark erfolgreich durch das wilde Meer der unlösbaren Aufgaben lotsen.

Aber es gibt auch Licht am Ende des Tunnels. Dänemark hat starke Politikerpersönlichkeiten, denen man einen solchen taktischen Verrat – bis auf weiteres – nicht zutrauen möchte, drei starke Frauen. Allen voran die ehemalige Vorsitzende der Dänischen Volkspartei Pia Kjærsgaard, deren Ausscheiden überhaupt erst den Niedergang der Partei ermöglichte. Sie verkörpert den alten Typus des Überzeugungspolitikers in Reinform. Auch Inger Støjberg dürfte in diese Kategorie gehören – sie saß für ihre Überzeugungen nach einer garstigen Kabale, an der auch Løkke maßgeblich beteiligt war – zwei Monate im Gefängnis. Und schließlich Pernille Vermund, die Vorsitzende der „Neuen Bürgerlichen“, die stets adrett und zivilisiert, geduldig ihre Maximalforderungen vorträgt.

Eines haben diese drei Frauen gemeinsam und vielleicht darf man daraus eine Schlußfolgerung ziehen: sie führen genuin konservative Parteien an. Vielleicht ist das eine Voraussetzung oder ein Nachweis für Charakter, zumindest seine Ermöglichung. Am sogenannten Rand, bei den „Extremisten“ kann man so etwas wie Haltung mitunter noch sehen, denn sich dort zu positionieren, verlangt an sich schon einen Akt der Haltung.

Wir sehen in Deutschland vergleichbare Wendehals-Phänomene, wenn wir etwa an die Ampel-Koalition denken. Und selbst in der nun etablierten AfD fallen mir nicht viele Namen ein, denen ich ein gewisses Vorvertrauen in puncto Statur zugestehen würde. Die zwei, drei, die mir einfallen, sind alle des Teufels. Allen voran: Höcke.

siehe auch: Kommt die ethnische Wahl?

3 Gedanken zu “Traue keinem Politiker

  1. Fuzzer schreibt:

    Salto Mortale ist derart absurd […] Wendehals-Phänomene

    Das geht u.a. auch, weil das eigentlich kontrollierende Element – hier der Wähler – gezielt und in bestimmenden Eigenschaften menschlicher Persönlichkeit gehandicapt wird. Ein sehr grundsätzliches modernes Problem, hier einmal näher betrachtet. Strategische Erweiterung dessen, was Spitzer vor 10 Jahren als noch rein geschäfts- oder in Teilen gar neutrales nicht interessengetriebenes Problem unter dem Namen Digitale Demenz thematisiert hat. Jetzt gezielt auch in Politik und dauerhaften Formen der Meinungsverbiegung benutzt. Klassische Propaganda ist harmlos dagegen.

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  2. Nordlicht schreibt:

    Ein interessanter Artikel. Das kann man so sehen.

    Wichtig finde ich, dass die Sozialdemokraten schon vorher nach rechts gerückt sind und sich in Bezug auf die ungeregelte Zuwanderung deutlich von der deutschen SPD unterscheiden. Das scheint mir auch der Hauptgrund der Mette Frederiksen zu sein, sich keine linken Unterstützer für die neue Regierung zu suchen, sondern Mitte-Rechts. Mit den Linken hätte sie ihre migrationskritische Haltung aufgeben müssen.

    So ganz charakterlos wie hier angedeutet finde ich sie nicht. Wenn man die Sozialdemokraten zu einer dezidiert migrationskritischen Partei umdreht, hat das in einem skandinavischen Land mehr Effekt als eine evtl. kurzfristige Rechtsregierung.

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    • Bisher hatte Frederiksen mit der Socialistisk Folkeparti, Enhedslisten und Radikale Venstre koaliert, also mit dem gesamten linken bis linksradikalen Spektrum und mit diesen Parteien zusammen hat sie ihre Migrationspolitik durchgesetzt und damit dem Blauen Block ganz sicher einigen Wind aus den Segeln genommen. Genuin sozialdemokratisch ist das nicht – ich würde auch das bereits als Opportunismus kenntlich machen, zum einen, um der Volksstimmung nachzugeben, zum anderen, um die Konkurrenz zu entschärfen und entweder in die Radikalität zu treiben oder näher in die Mitte zu führen. Diese Art Camouflage führt – ähnlich wie bei Merkel, nur mit umgekehrten Vorzeichen – zur Auflösung aller politischen Kontur und damit zur Desintegration des politischen Systems. Wir sehen das in DK ganz deutlich. Ein jahrzehntelang gut bewährtes Parteiensystem löst sich auf wie Eis in der Sonne. Eine Entwicklung, die natürlich weiter in die jüngere Geschichte zurückreicht. Aufstieg und Fall solcher Parteien wie Liberale Alliance oder Dansk Folkeparti zeugen dafür. Wenn wir an die Piraten denken oder die Wahnsinnskurven der SPD unter Schulz etc., dann sehen wir, wie stark das Verlangen nach wirklichen Alternativen selbst bei uns ist. Auch Løkke hat das begriffen und innerhalb von sechs Monaten eine neue mächtige Partei auf die Beine gestellt. Das Kapital dieser Parteien sind Hoffnungen und Versprechungen also von vornherein nur Schaum im Wind. Wenn man hingegen eine grundsatzfeste Partei wie die Nye Borgerlige sieht, dann begreift man, daß mit Kärrnerarbeit weit weniger schnell Erfolg zu haben ist.

      Aber Frederiksen ist vielleicht nicht mal die Hauptperson dieser Ränke. Ellemann-Jensen tritt hier als Inbegriff des Wetterfähnchens auf. Jetzt hat er seinen Verteidigungsministerposten. Ich kann nicht sehen, daß er sich lange daran erfreuen wird. Er dürfte bald in der Versenkung verschwinden. Das Tragische: das kümmert diese Leute nicht mal. Am Wahlabend etwa konnte man mehrfach Thulesen Dahl als Zivilist vollkommen tiefenentspannt ins Mikrofon lächeln sehen. Er war sich offenbar keiner Schuld bewußt, obgleich er es war, der die DF in voller Fahrt an den Rammbock gefahren und Pia Kjærsgaards Lebenswerk zerstört hat.

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