Precht und Welzer versuchen, einem mysteriösen Phänomen auf die Spur zu kommen und Abhilfe zu schaffen: der Selbstgleichschaltung und Kritikresistenz der Hauptmedien. Diese reagierten auf allen Kanälen fast unisono mit Leugnung, Verriß, Häme und Wut – eine bessere Bestätigung der These konnten sie kaum liefern. Daß dem so ist, weiß jeder, der nicht die Mainstream-Meinung in puncto Migration, Corona oder Ukraine-Krieg vertritt. Die Kritiker aber wollen Evidenz, Statistiken, Studien; Precht und Welzer bieten hingegen viel anekdotische Evidenz und gefühlte Eindrücke. So machen sie sich in einer wichtigen Sache angreifbar – die Relevanz ihrer Überlegungen wird davon nicht tangiert. Die eigentliche Schwäche ihrer Argumentation ist bisher – in den Hauptmedien – allerdings noch nicht ausgesprochen worden.
Es sind vor allem folgende Mißstände, die das Duo ursächlich ausmacht: Die zu große Nähe der Presse zur Politik, deren „Selbstgespräche“; die Neuheit der Phänomene, die zu Unsicherheiten führt und also zum Drang nach Sicherheit im Windschatten der Kollegen; den abrupten Einfall der klickgetriebenen „Direktmedien“ (Twitter etc.) ins Geschäft, die einerseits Konkurrenz, andererseits eigene Logik, Dynamik und Belohnungssystem (Klickzahl) mit sich führt; und die dadurch verstärkte Schnelligkeit der Nachrichtenprozesse, was zwangsläufig zur Senkung des Qualitätsstandards (Sensationalismus, Personalisierungen, Negativisierung etc.) führen muß.
Man merkt dem Buch die eigene Hektik der Entstehung an, erste fehlerhafte Details mußten bereits eingestanden werden, dennoch ist am Grundlegenden der Kritik kaum etwas auszusetzen; zu offensichtlich sind die Mißstände. Vieles davon ist längst bekannt: Pörksen, Meyer, Krüger u.a. – Precht und Welzer werfen das Gewicht ihrer Namen in die Arena. Die Presse schreibt – oft im moralisierenden und paternalistischen Ton – gegen die eigene Leserschaft an: all das führt zu einem flächendeckenden Vertrauensverlust, der die demokratiestabilisierende und kritische Begleitfunktion der Medien zerstört. Es ist diese Sorge, die die beiden Autoren umtreibt.
Auch der normale Leser und Twitter-Nutzer liest das Buch gewinnbringend, denn es sensibilisiert die moderne Leseweise, zeigt die fatalen Urteilsautomatismen, in die auch der aufmerksame Leser dieser Tage allzu schnell verfällt, der meint, sich immer über alles eine Meinung leisten zu können, selbst bei dünnem Kenntnisstand. Am Ende konstatieren die Autoren eine verhängnisvolle Macht, die „Kolonialisierung“, „Infizierung“ das „Hetzen“ der Politik durch die Medien – und nicht umgekehrt! –, nehmen also auch allen Verschwörungsansätzen („Lügenpresse“) den Wind aus den Segeln, sie versuchen, die Dynamik aus sich selbst heraus zu verstehen. Auch diese Fraktion sollte das Buch aufmerksam lesen!
Der wesentliche Grund bleibt den beiden jedoch verborgen, ja, sie lehnen ihn ausdrücklich ab. Daß Journalisten eine jahrelange ideologische Schulung zu durchlaufen haben, die von der Schule über die Universitäten bis in die Redaktionsstuben und alle Institutionen reicht, die ein Klima generiert, demzufolge nur derjenige im Betrieb eine Karriere machen kann, der nicht zu weit ausschert, daß im Vollzug des 68er „Kulturbruches“ ein feines Netz aufgespannt wurde, das man nur durch Anpassung oder Camouflage passieren kann, daß deutliche nationale und konservative Positionen schon vor Jahrzehnten vehement niedergemacht wurden (Nolte, Walser, Strauß, Sloterdijk etc.), daß es kaum noch relevante konservative Stimmen in den Blättern gibt und die wenigen eine Alibifunktion einnehmen, daß neben den intrinsischen Widersprüchen (push) die Ideologie als mächtiger pull-Faktor wirkt, all das zählt bei Precht und Welzer nicht, auch nicht, daß es in ganz Europa zahlreiche Untersuchungen über die massive Rotverschiebung in den Redaktionen gibt, zuletzt eine Studie, die unter den Volontären eine 92%ige Affinität zu grün-links-sozialdemokratischen Parteien aufzeigt.
Precht und Welzer meinen, den „antizipierenden Konformismus“ in Politik- und Medienbetrieb mit dem „zu erwartenden Medienecho“ erklären zu können, wohinter sich wirtschaftliche Zwänge verbergen. Gerade der „stumme Zwang der ökonomischen Verhältnisse“ kann die Entfremdung von der Leserschaft aber nicht erklären, denn es müßte gerade umgekehrt sein: wenn etwa die Hälfte der Deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine skeptisch sieht, dann müßte der Markt das widerspiegeln, tut es aber nicht.
Die Autoren können dies nicht sehen, weil sie selbst Produkte dieser Maschine sind und lange an ihr partizipierten; deswegen zeigen ihre Argumentationen auch eine Vorliebe für sozialpsychologische (Gruppendenken), kommunikationstheoretische und marxistische, ökonomistische Denkwege. Auch diese zeitigen Erfolge – das Buch ist lesenswert! – aber sie leiden unter immanenten blinden Flecken.
Richard David Precht, Harald Welzer: „Die vierte Gewalt. Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist“; S. Fischer. Frankfurt 2022. 288 Seiten. 22 Euro
zuerst erschienen in: Sezession Heft 111
siehe auch: Mainstream