Gegneranalyse V
Das Buch ist ein Skandal! Bisher hielt ich Natascha Strobl für eine der intelligenteren in der Phalanx der „Rechtsextremismusexpert:innen“ – warum nur? Weil sie eine Frau im Männergeschäft ist? Weil sie so nett lächeln kann? Oder ist es ihr Wiener Akzent? Nein, ich weiß es: ihr Buch mit dem gewichtigen Titel erschien in der Suhrkamp Edition.
Eine detaillierte Analyse erspare ich mir. Es besteht fast nur aus Fragwürdigem. Sein Grundproblem: Strobl legt in ihrer „Analyse“ ihre selbsterdachten Prämissen aus und die sind meist schon hanebüchen.
Das geht bei fragwürdigen Definitionen los – „Unter radikalisiertem Konservatismus verstehe ich eine Transformation bestehender konservativer Großparteien“ –, geht über unsinnige Vergleiche und Gleichstellungen weiter – zwar könne man Trump und Kurz nicht vergleichen, sie tut es dennoch permanent: „Trump ähnele dem Jocker“, Kurz hingegen Patrick Bateman, der Hauptfigur aus „American Psycho“ –, setzt sich über Scheinwissen fort – so etwa attestiert sie Carl Schmitt die Legitimation einer Führungsfigur „ohne formaldemokratische Bindung“, weshalb er die „ideologische Grundlage für eine Volksherrschaft ohne Demokratie geschaffen“ habe[1] –, enthält natürlich jede Menge Widersprüche, manchmal sogar in einem Satz – etwa wenn sich Kurz zugleich als Retter und Opfer „inszeniert“ –, überhaupt „inszeniert“ sich der politische Gegner immer nur, und führt schließlich zu absurden Zuschreibungen der „Rechten“, in die man paßgenau auch Namen wie Scholz oder Schulz oder Merkel einsetzen kann (Macherimage, Erlöserfigur, Machtkonzentration und Wegbeißen von innerparteilicher Kritik, Kleben an der Macht etc.).
Und das war nur eine kleine Auswahl. Wie gesagt, es lohnt der Analyse nicht. Die quasi-Studentenarbeit enthält natürlich auch ein paar Wahrheiten, sie sorgt sich auch um den Zustand der Demokratie, aber die Regale dazu sind voll[2] – und ändern trotzdem nichts –, da braucht es solche Pennäleraufsätze nicht.
Am Brauchbarsten ist das Textchen, das man im Übrigen in drei Stunden durch hat, dafür aber 16 Euro zahlen muß[3], als Sammelsurium der Unsinnigkeiten der Genderei: da ist es unterhaltsam. Wer bei Sätzen wie: „Die Annäherungen zwischen Konservativen und Faschist:innen“ nicht lachen muß, wen es nicht juckt, wenn die verhaßten Vertreter des Patriarchats als :innen beschrieben werden, dem ist jeder Humor abhanden gekommen.
Das Buch ist im Übrigen so schlecht, daß man es sogar in den linken Leitblättern wie der „Zeit“ oder der „SZ“ gnadenlos verreißen mußte, Rezensions-Claqueure hingegen loben die „klare Haltung“.
Aber all das ist nicht der eigentliche Skandal. Jeder hat das Recht schlechte Bücher zu schreiben, und neuerdings auch, sie zu verlegen. Aber bitte nicht im Suhrkamp-Verlag, bitte nicht in einer Reihe, die legendär geworden ist, die das geistige Klima dieser Republik in hunderten und tausenden Bänden nachhaltig geprägt hat, in der Habermas und Sloterdijk ihre ersten wesentlichen Arbeiten veröffentlicht, in der sie einst das Sagen hatten.
Da funktionieren ganz basale Qualitätsvorstellungen nicht mehr, da entscheidet Ideologie über Güte eines Textes, da werden selbst mehrheitlich linke Garanten der Kontinuität auf dem Altar der Gesinnung geopfert. In der Suhrkamp-Reihe zu veröffentlichen – so unansehnlich sie ist – war bisher ein Ritterschlag; ab nun ist es wertlos. Begonnen hatte die Edition mit Brecht, Hesse, Beckett und Frisch, ihr klägliches Ende fand sie mit Strobl, Natascha.
Strobls Pamphlet trägt die Nummer 2782, Habermas‘ „Technik und Wissenschaft als ‚Ideologie‘“ von 1969 die Nummer 287. Das hatte noch Format – und doch könnte sich hier ein Kreis schließen.
Natascha Strobl: Radikalisierter Konservatismus: Eine Analyse. Suhrkamp, Berlin 2021. 192 Seiten, 16 Euro
[1] Würde man ihr nachweisen, daß Müller oder Meyer die „formaldemokratische Bindung“ schon Jahre zuvor nachgewiesen haben, dann hätten nach der Logik des Arguments diese „„ideologische Grundlage für eine Volksherrschaft ohne Demokratie geschaffen“ – also ist Platon der eigentlich Schuldige.
[2] Ein wirklich wichtiger Beitrag wurde hier besprochen: Demokratiedefizite
[3] Ich habe es natürlich als Remittent erworben.
siehe auch: Gegneranalyse
Das grüne Bildchen im Artikel hatte mich beim allerersten Blick in die Irre geführt. Insofern:
So wie sich die konservativen Großpateien radikalisieren, transformiert sich halt die Edition eines Verlags in andere Editionen. Dabei gibt’s sicher noch ungetestete Fallhöhe bei Suhrkamp wie ebenso auch Wachstumspotential in Dresden.
Es ist wie mit dem Geld. Es ist nie weg, es hat einfach jemand anderes.
Seidwalk: Guter Gedanke! Dennoch, Tradition verpflichtet. Von mir aus können dort sogar Rechtsextremismusexperten veröffentlichen, sogar zum Thema, aber bitte mit Niveau. Kennt überhaupt jemand ein lesenswertes Buch aus dem Segment – von Wagner mal abgesehen?
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Ich stecke da jetzt nicht drin, denke aber als irgendwann einmal marxistischer Erziehung ausgesetzter Mensch, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt, ebenso wie abgeleitetes anderes Sein. In dem Fall sollte eine Inkarnation von Rechtsextremismusexperte also irgendeine reale Basis haben, die er beschreiben kann. Wenn die im Wesentlichen fehlt, kann die Qualifikation nur entsprechend ausfallen und wird schon durch wenige Exemplare inhaltlich ausgefüllt.
Pérégrinateur: Behandeln Sie das Prinzip „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“ nicht zu spöttisch, es erklärt nämlich durchaus manches. Exemplum: Ich arbeite an einer geisterwissenschaftlichen Fakultät, ich habe keine Ahnung von den Dingen, aber weiß genau, was sich aus apotropäischen Gründen zu sagen schickt.
Der Fortschritt ist nicht aufzuhalten. An der TU Berlin gab es diesen Monat Bescherung für die Kinder vom Weihnachtsmann – und am Folgetag von der Weihnachtsfrau. Wieso gibt es aber noch keine Frau im Mond? Meinetwegen auch gerne Hunderttausende, wenn denn Musk den Transport hinbekommt. Jemand anderen als verdienstvolle NGO-Aktivist:innen mit der Reise zu begnaden, wäre allerdings ein No go.
Fuzzer: Sind Sie ein DDR-Spross, Pérégrinateur? Wenn nicht, ist das Missverständnis nachvollziehbar.
Als DDR-Insasse haben Sie den Spruch mitunter 3x am Tag gehört, in bizarrsten Kontexten. Auf diesen Fakt bezieht sich der Spott. Mit dem Inhalt habe ich als Atheist kein Problem. Erst danach würde es komplexer in potentiellen Diskussionen darüber, was Bewusstsein nun ist. Oder auch Materialismus/Idealismus-Unterscheidungen etc.
Pérégrinateur: Nein, ich bin kein DDR-Spross. Doch wir Westpflanzen haben auch unsere Traumata: Pfaffen, die nichts wissen, aber „um“ alles wissen; Spätachtundsechziger, die auf Geburtstagsfeiern alle Viertelstunde auftrumpfend meinen, „Alles ist politisch!“; und nicht zu vergessen, das westliche Politikerstroh, aus dem man auch kein Gold spinnen kann.
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Zu Frau und Mond gibt es was Nettes:
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