Sándor Márai: Das Kräuterbuch LVI
Darüber, daß du an den Angelegenheiten der Menschen teilnehmen sollst
Wohin du auch fliehst, in die Arbeit, in eine Rolle oder in eine Haltung, die Menschen werden dich nicht loslassen, sie greifen nach dir, sie verlangen, daß du an ihren Bewegungen teilnimmst, ihre Sorgen teilst, ihre Pläne und Hoffnungen, sie greifen nach dem Saum deines Mantels, und sie greifen dich an und verstoßen dich, wenn du dich von den gemeinsamen Aufgaben zurückziehst.
Darein mußt du dich fügen – und wenn du Künstler bist, ein nachdenklicher und besinnlicher Mensch, dann ist das nicht leicht! –, daß du dich mit den Menschen abgeben mußt. Du mußt mit ihnen weinen und lachen, und glücklich und zufrieden kannst du nur sein, wenn sie es gestatten.
Aber die Menschen – sagst du – sind nur einzeln verantwortungsvolle, fühlende und teilnehmende Menschen; in der Menge sind sie wie die Herde; die billigsten Parolen befeuern sie, die niederträchtigsten Begierden spannen die Brust der Menge. Wie kann ich an ihren Angelegenheiten teilhaben, wenn ich nicht will, daß meine Seele Schaden nimmt?
Nur dies kann ich dir raten: schütze die Freiheit deiner Seele derart, daß du wahrhaftig[1] bleibst.
Wenn solches die Menge von dir verlangt, was dein Gewissen ablehnt, dann lehn auch du dieses Ansinnen ab. Ganz gleich, was die Kosten und Folgen aus dieser Haltung sein werden. Die Grenze deiner Solidarität ist die Wahrhaftigkeit.
Auch du hast dein Recht und deine Macht, nicht nur sie. Dieses Gesetz und diese Macht ist die Wahrhaftigkeit: deinen Kopf können sie zermalmen, aber diese Macht können sie dir nicht nehmen.