Im Wald laufe ich auf eine Frau zu, die ganz vertieft in ein kleines rotes Büchlein schaut und vor sich hinmurmelt. Rechts oben sieht man ein Emblem. Was liest sie nur, geht es mir durch den Kopf? Eine Mao-Bibel, einen Gedichtband, eine Anleitung der Zeugen Jehovas oder der Mormonen, das Kommunistische Manifest? Als ich näher komme, klärt sich alles auf. Kein Buch, sondern ein in schönes Leder eingebundenes Mobiltelefon hält sie in der Hand, die Kamera rechts oben.
Im Fahrradladen kaufe ich einen neuen Schlauch und sage: Komisch, passiert mir jetzt öfters, daß die Luft ausgeht. Darauf der Verkäufer wissend lächelnd: Ja, Zorn und Zeit. Zorn und Zeit? Habe ich richtig gehört? Sollte hier ein gepiercter, tätowierter, ohrdurchstochener Sloterdijk-Leser vor mir stehen, hier, in dieser Stadt? „Wie bitte?“, frage ich. Er wiederholt: „Dornenzeit, jetzt ist die Dornenzeit.“
„Mein Mann ist ein Denker“, sagt eine Frau auf Nachfrage stolz. Inwiefern? Wie ist das zu verstehen?, frage ich. Na, er arbeitet in einer Bank. Ihr Mann ist also Banker.
Meine Frau hat manchmal diesen Blog weiterempfohlen und bekam oft die Reaktion: Ja, ist ganz interessant, aber zu hoch für mich. Ich vermute: diesen Leuten wären die Wahrnehmungsfehler nicht passiert – und sie haben damit Recht!
In Lichtenbergs Sudelbüchern steht (aus dem Gedächtnis zitiert):
„Er sagte immer ‚Agamemnon‘ statt ‚angenommen‘, so sehr hatte er den Homer gelesen.“
Das Zitat beschreibt die phonetische Interferenz. Daneben gibt es auch noch die semantische. Deretwegen sage ich häufig „Goebbels-Eckardt“ und „Dummbock“. Der zweite Name ist wegen der damit begangenen Geschlechtsunsichtbarmachung unverzeihlich, man müsste stattdessen dringlich „Dummziege“ sagen.
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Das erste Ihrer Beispiele ist ein Klassiker, der wegen mangelnder Wahrnehmungsfähigkeit seitens woker Zeitgenössinnen kaum in Gefahr geraten dürfte, von diesen umgeschrieben bzw. besudelt zu werden.
Über das zweite Beispiel haben Sie selbst das erwartbare Urteil gesprochen.
Da Sie ein Freund zynischer, mephistophelischer Lexikographen sind, füge ich ein weiteres Beispiel für eine bipolare Wahrnehmungsstörung bei, die meist zu später Stunde und in ungemütlicher Runde auftreten soll:
„Definition: Paar.
Zwei von einer Sorte, wie zwei Asse, zwei Buben, zwei Fünfen etc. Beliebt ist zum Beispiel das Bartlett’sche Paar … Es besteht zum Beispiel aus einer Acht und einer Sieben, wobei eine der Markierungen der Acht vom Daumen des Spielers verdeckt wird …“.
Um den offensichtlich fachkundigen Autor nicht zu kompromittieren, soll sein Name ungenannt bleiben.
Pérégriateur:
Unverkennbar ein Wort des Heiligen Ambrosius von San Francisco.
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