Rezension von: Pedro Baños: So beherrscht man die Welt. Heyne 2019
Es gab in den letzten Wochen ein verstärktes Interesse für Baños‘ Buch. Woher es kommt, darüber kann ich nur spekulieren. Vielleicht war Erik Lehnerts Vortrag zur Geopolitik der Auslöser oder sein entsprechender Beitrag in der „Sezession“ Heft 110. Dort findet sich auch eine sehr kurze Vorstellung des Buches. Aufgrund des Interesses stelle ich meine sehr ausführliche Rezension des Werkes erneut ein. Sie entstand vor drei Jahren und ist noch immer weit und breit die umfassendste und neutralste. Das Buch ist auf dem deutschen Markt weiterhin „verschwunden“, das spanische Original, eine italienische oder polnische Übersetzung kann man erwerben.
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Dank des Angebotes des „Antaios”-Verlages und meines schnellen Entschlusses, kam ich in die Lage, jenes Buch lesen zu können, das den meisten Menschen in diesem Land verwehrt bleiben wird, weil ein Journalist – Alan Posener – dieses Buch als antisemitisch bezeichnete. Daraufhin nahm der namhafte Heyne-Verlag es aus dem Programm und ihm folgten in einer seltsam konzertierten Aktion alle – alle! – kommerziellen Anbieter auf dem Fuß. Ich versprach daraufhin, das Buch hier öffentlich zu besprechen.
Dies wird in mehreren Schritten – und dadurch zwangsläufig zu umfangreich für eine Rezension – geschehen: zuerst werde ich den Inhalt des Werkes vorstellen, danach werde ich es einer eigenen Kritik unterziehen, schließlich werde ich den Fragen nachgehen, ob das Buch – wie Posener behauptete – antisemitisch sei bzw. – wie Münkler feststellte – verschwörungsheoretische Lesarten gestattet. Zum Schluß werde ich ganz persönliche Versuche wagen, wie das plötzliche Verschwinden des Buches zu erklären sein könnte. In einem Anhang werden die „verdächtigen Seiten“ als Scan abgebildet – so kann jeder nachprüfen, wie antisemitisch der Text ist.
Pedro Baños stellt sich selbst als ehemaliger „Dozent für Strategie und Internationale Beziehungen bei der Generalstabsausbildung an der Führungsakademie der Spanischen Armee sowie als Leiter der Abteilung für Geopolitische Analyse im spanischen Verteidigungsministerium“ vor. Der Verlag nennt ihn „ehemaligen Chef für Spionageabwehr und Sicherheit der europäischen Streitkräfte“ und „gefragten Experten zu Verteidigungsthemen, Geopolitik und Terrorismus“. Die spanische Wikipedia sieht in ihm „un militar español, Coronel del Ejército de Tierra (infantería) especialista en geoestrategia, defensa, seguridad, terrorismo yihadista e inteligencia”, der mit dem europäischen Parlament als Militärberater zusammengearbeitet hat und zudem an drei Missionen in Bosnien-Herzegowina für die UNPROFOR, also die UNO, die SFOR, also die NATO, und die EUFOR, also die EU, teilgenommen hatte. Das ist eine Menge Expertise – man sollte davon ausgehen, daß der Mann weiß, wovon er spricht, und daß er über Einblicke in Sphären verfügt, die den allermeisten Menschen versperrt sind.
Inhalt
Sein Buch stellt sich die Aufgabe, geopolitische Prinzipien und geostrategische Regeln bzw. Strategien – korrekter wäre vermutlich der Begriff „Taktik“ – aufzuzeigen. Erstere benennt er als universal – sie gelten durch die Jahrtausende hinweg in allen Weltgegenden und haben sich kaum verändert –, letztere hingegen wiederholen sich zwar auch oft in der Geschichte, sind aber prinzipiell beweglich.
„Es ist wichtig, daß wir uns dieser geopolitischen Strategien bewußt sind, mit deren Hilfe die Mächtigen die Welt beherrschen“ (12). Man muß, um einen solchen Satz gelten lassen zu können, das Wort „beherrschen“ mit „beeinflussen“ übersetzen. Es könnte tatsächlich eine Übersetzungsfrage sein, denn dieser Satz in der Einführung – die komplett verändert wurde – findet sich im spanischen Original nicht![1] Auch der Titel „Así se domina el mundo“ hätte weniger rabiat mit „So dominiert man die Welt“ übersetzt werden sollen.
Wollte man Baños politisch verorten, dann wird man sein konservatives Fundament benennen müssen. Konflikte sind für ihn „Teil der menschlichen Natur und der gesellschaftlichen Wirklichkeit“ und jedem politischen System zu allen Zeiten immanent. Das politische Sein ist ihm ein Seiendes, das es aufzuklären und zu begreifen gilt, und kein Sein-Sollendes. Er schreibt gänzlich im aufklärerischem Gestus und unter Hobbesianischer Grundprämisse: Geopolitik ist ein Dschungel, in dem die Akteure der anderen Akteure Wölfe sind, aber andererseits – wie beim Wolfsrudel – auch gemeinsame Interessen haben. Aus dieser nüchternen Beschreibung ergibt sich auch die Jenseitigkeit der Geopolitik zur Moral: dort „ist nichts als gut oder schlecht anzusehen, sondern nur als vorübergehend vorteilhaft oder nachteilig.“
Dennoch gebe es „zeitlos gültige Prinzipien“, die da lauten: 1. „Der Staat ist ein lebender Organismus“ 2. „Die Wirtschaft hat das Sagen“, sie ist „selbst eine Form des politischen Handelns“ 3. „Die prägende Last der Geschichte“ und 4. „Es gibt keine ewigen Verbündeten, nur bleibende Interessen.“
Vor allem Punkt zwei und drei spielen im Buch eine überragende Rolle.
Hinter den politischen Entscheidungen stünden nahezu immer ökonomische Interessen – Politiker sind in seinem Verständnis primär Interessenvertreter der Wirtschaft. Das meint nicht zwangsläufig eine unmittelbare Steuerung oder direkte Beeinflussung im Sinne der Marionette, kann es aber bedeuten, sondern rekurriert auf den Fakt, daß die innere Kontinuität einer Sozietät immer vom Zustand der eigenen Ökonomie und Produktionsweise – um einen marxistischen Begriff zu wählen – abhängt, die der politisch Handelnde auf die Gefahr seines Untergangs zu beachten hat.
Gerade in Zeiten der Informationsgesellschaft, die im Grunde eine Desinformationsgesellschaft ist, in der wir den Informationen und Manipulationen der Informationen nicht mehr trauen können, bleibe allein die Besinnung auf die Geschichte, um zu begreifen, „was in Wahrheit vor sich geht“, wird die Geschichte zum „idealen Instrument, um die Ursachen von Ereignissen zu erforschen“ (76f.) Die Widersprüchlichkeit der Aussage wird Baños dabei offensichtlich nicht bewußt, denn auch und gerade Geschichte kann manipuliert werden, wodurch das Studium selbiger weitgehend entwertet werden kann. Tatsächlich nutzt der Autor – obwohl er das Dilemma benennt (78) – immer wieder diskussionswürdige geschichtliche Bilder, worauf auch Alan Posener hinwies, allerdings mit der Schlußfolgerung, daß diese Bilder nicht mehr zur Diskussion frei stünden.
Dennoch spielt das historische Argument die dominante Rolle. Beeindruckend enzyklopädisch zieht er hunderte historische Beispiele zu Rate, die von Kyros II. (590 v.u.Z.) bis in die vorweggenommene Zukunft reichen und fast alle Kulturkreise umfassen. Diese Herangehensweise unterstellt der problematischen Behauptung, man könne tatsächlich etwas aus der Geschichte lernen, einen allgemeinen Wahrheitsanspruch. Baños‘ Anwendung dieser These stellte selbst einen gelungenen Beweis dar. Oft legt er dabei Wert auf die „Geschichte der Völker“, die man im geostrategischen Rahmen kennen müsse, wolle man erfolgreich in das Schicksal dieser Völker eingreifen. Die jüngere Geschichte kennt viele Beispiele – Vietnam, Afghanistan, Nordkorea, Libyen, Jugoslawien, Iran, Kaukasus, Ukraine usw. –, die eine eklatante westliche Ignoranz in dieser Frage aufzeigen. Wer die Geschichte, die Mentalität, die kriegerische Erfahrung, die Sozialpsyche, die Mythen, die Demütigungen, die Siege und Niederlagen … und den „geographischen Raum“ eines Volkes nicht kennt, dem sind Überraschungen gewiß, wenn er in deren Schicksal eingreift. Ganz gleich ob Bush, Obama oder Trump – die US-amerikanischen Präsidenten glänzten seit je durch Ignoranz.
Baños‘ Blick ist hier ganz eiskalt und machiavellistisch. Zu seinen Grundannahmen gehört die überragende Bedeutung von Staat und Nation: „Die Prinzipen der Realpolitik bringen es mit sich, daß in den zwischenstaatlichen Beziehungen nationale Interessen den Vorrang haben, sodaß immer der eigene Nutzen und nicht die moralische oder ethische Erwägung die Grundlage bilden“ (89) – und das träfe ungebremst auch auf idealistische Projekte wie die EU zu.
Handlungsakteure sind ihm Staaten und Nationen. Bündnisse sind taktisch motiviert, temporär und stets an einen gemeinsamen Gegner gebunden. Entfallen ihre Notwendigkeiten oder ihre Vorzüge, dann zerbrechen sie – aus den besten Freunden können sehr schnell erbitterte Feinde werden: „Die Geschichte zeigt, daß sich Nachbarn schon immer als Gegner gegenüberstanden, denen man nicht trauen sollte … je näher sie einem sind, desto weniger.“ (155).
Schließlich arbeitet Baños seine 22 „geostrategischen Regeln“ ab, die da lauten: 1. Abschreckung 2. Einkreisung 3. Der Tritt gegen die Leiter (Nach diesem Prinzip sollte man, hat man ein gewisses Entwicklungsplateau erklommen, die Leiter wegstoßen, um anderen den Aufgang zu erschweren) 4. Mach deinen Nachbarn arm und schwach 5. Vortäuschen und verbergen („humanitäre Gründe“ gehen immer) 6. Die Achillesferse des Rivalen ausmachen 7. Teile und herrsche 8. Indirekte Herrschaft (z.B. „durch Kunst und Kultur“, also „kulturelle Hegemonie“, wie ein Komplementärbegriff lautet, durch Angst, wie man es paradigmatisch im Greta-Ökologismus studieren kann, durch Lobbyismus (hier fällt der Name Soros), durch Wahlkampfmanipulation oder durch „expansive Demokratieförderung“) 9. Beuge das Gesetz, um deinen Feind zu beugen (sogenanntes lawfare: „Anwendung von Gesetzen als Kriegswaffe“) 10. Tu nicht selbst, was andere für dich unternehmen können (Söldner, Partisanen, false flag etc.) 11. Erschaffung des Feindes 12. Lügen und Propaganda (ein besonders interessantes Kapitel, das die objektive Unmöglichkeit ideologiefreier Medienberichterstattung und die subjektiven, konzertierten und systemischen Möglichkeiten, dies bewußt zu forcieren – und zwar in allen Gesellschaften, auch den demokratischen – aufzeigt) 13. Massenkommunikationswaffen 14. Mißbrauch der Armen 15. Zwietracht säen 16. Religiöser Eifer (dessen Instrumentalisierung – dahinter stünden ökonomische und geostrategische Interessen) 17. Einen Ausweg lassen (um nicht die Kräfte der Verzweiflung zu wecken) 18. Die Macht der edlen Gesinnung (sich auf ein Gutes zu berufen) 19. Bedürfnisse schaffen 20. Den Verrückten spielen (und damit unberechenbar zu sein, Angst zu verbreiten: Nixon, Trump und Kim Jong Un als Paradebeispiele) 21. Volle Champagnergläser für alle (panem et circensis) und 22. Der Esel und die Satteltaschen (den Widerstand des Leidtragenden brechen).
In einem abschließenden Teil widmet sich Baños den „Menschlichen Fehlern und Schwächen in der Geopolitik“, wiederholt im Grunde genommen aber nur bereits Gesagtes und unterfüttert es mit neuen historischen Beispielen.
Das also ist das Buch, das nach Alan Poseners Antisemitismusvorwurf auf mysteriöse Art und Weise verschwinden mußte.
Was leistet es?
Diese Frage kann ich natürlich nur aus ganz persönlicher Sicht beantworten. Durch seinen eiskalten Blick spricht es bedenkenswerte Warnungen aus, entwirft es Szenarien, die uns durch die rosarote Brille der „Demokratie“, der „Menschenrechte“, der „Humanität“ und dergleichen oft verstellt sind. Baños gibt nicht viel auf diese Begriffe, er mißtraut ihnen, er sieht dahinter klare Interessen, die, sollte es notwendig sein, den Begriffsnebel schnell wegpusten. Seine Zahlen sind oftmals aufrüttelnd und Augenöffner – etwa wenn man die Militärausgaben der wichtigsten Länder vergleicht.
Er schärft den Blick für Hintergründe, man meint, einige aktuell-politische Ereignisse besser einordnen zu können. Gerade eben sind wir Zeugen einer türkischen Invasion, eines angestrebten Impeachement-Verfahrens, eines US-amerikanischen Konflikts mit dem Iran oder mit China, einer hysterischen Weltretterbewegung, die von fast allen Medien unterstützt wird …, man beginnt, sich Fragen nach den globalstrategischen Interessen zu stellen – die man im Übrigen als gewöhnlicher Zeitungsleser nicht auflösen kann, in denen aber die Gefahr steckt, phantasievoll zu spekulieren.
Die Vielfalt der historischen Beispiele ist überwältigend – hier kann man viel lernen. Immer wieder tauchen dabei die Vereinigten Staaten im Zentrum der Kritik auf. Politische Zugehörigkeit spielt dabei eine untergeordnete Rolle: fast ein wenig renitent wirkt etwa die Entzauberung des Saubermannimages des ersten farbigen US-Präsidenten. Ihm, Baños, sind alle gleich: „Es gibt keine Guten und Bösen oder Besseren und Schlechteren, da alle Nationen dieselben Ziele verfolgen, jede auf ihre Weise und mit den verfügbaren Mitteln. Letztlich bestimmen sich Gut und Böse immer subjektiv und in Abhängigkeit davon, auf welcher Seite man steht“(433). Diese nivellierende Sichtweise erklärt vielleicht einen Teil der Aversionen, die Baños von jenen, die sich auf der guten Seite wähnen, entgegenschlugen, aber sie gestattet ihm immerhin – indem er sich von der westlichen Sicht zu lösen sucht – Einblicke in die inneren Befindlichkeiten der anderen Seite. Man kann mit ihm etwa Nordkorea besser verstehen oder den Iran oder Afghanistan usw.
Sowohl in seinem analytischen wie auch handlungsempfehlenden Teil – er wechselt zwischen diesen beiden Polen – will das Buch ein neuer Machiavelli sein. Das Motiv selbst steht dabei eher links, denn zum Schluß entwirft Baños eine Utopie der „friedlichen Koexistenz“ als „grundlegende Lösung“, in der sich „jeder Akteur unabhängig von seiner Größe und Macht so entwickeln können“ soll, „wie es seinem politisch-ideologischen System und seinen Umständen entspricht (Entwicklungsstand, Geschichte, Kultur, Religion, Traditionen etc.) – allerdings ohne diese Eigenarten auch anderen aufnötigen zu wollen“ (431). In dieser Welt bestünde dann auch keine Notwendigkeit für Bündnisse mehr.
Kritik
Die Argumentationen kommen häufig sehr holzschnittartig daher. Baños braucht grobe Vereinfachungen, um seine Grundthesen transportieren zu können, manche würde unter Differenzierungen zusammenbrechen. Das betrifft auch Teile seiner historischen Beispiele, die mitunter bis zur Entstellung zusammengedampft und verallgemeinert wurden, die sich zudem manches Mal an fragwürdigen historischen Daten orientieren. Seine Darlegungen wirken mitunter überzogen und werden der wahren Vielfalt der Motive und der Teilnehmer nicht gerecht. Indem er etwa den Nebel humanitärer Motive in der Politik wegbläst, erweckt er den Eindruck, als gäbe es diese Motive überhaupt nicht, als wäre jede tagespolitische Entscheidung von geopolitischen Motiven bestimmt, als gäbe es keine Menschen als Politiker, sondern ausschließlich ständig funktionierende Funktionäre von Interessen. Damit schließt er zwei ganz wesentliche Komponenten der Geschichte weitgehend aus: die Spontaneität und den Zufall. Die Individualität der Handelnden, der Einzelnen an den Schaltstellen der Macht in Politik, Wirtschaft und Medien wird ebenso ausgeblendet wie die mögliche individuelle geschichtswirksame Tat gewöhnlicher Menschen.
Daraus ergibt sich auch die Behandlung des Staates oder der Nation als Fetisch. In ihnen sieht Baños die handelnden Akteure. Aber ein Staat kann nicht handeln, sondern immer nur ganz konkrete Menschen, die diesen Staat repräsentieren. So entgehen ihm wesentliche Differenzierungen, etwa die zwischen einem Staat und seinen Medien, die er zu einer Einheit erklärt (266). Das psychologische Element kommt bei ihm nur als Völkerpsychologie vor, fast nie in Form der Individualpsychologie.
„Man kann also den Schluß ziehen, daß alle Großmächte und selbst mittlere Mächte fortlaufend versuchen, uns mehr oder weniger verdeckt zu manipulieren. Wir können keiner Information trauen, auch wenn wir versuchen, sie mit anderen Quellen abzugleichen“ (316) – ein durch und durch paradoxes Argument, das ganz sicher eine Wahrheit enthält, doch bleibt diese in der Verabsolutierung verborgen. Solche platten Verallgemeinerungen gibt es zuhauf: „Wir leben in einem dauerhaften Kriegszustand“, „In der internationalen Sphäre sind Wortbrüche an der Tagesordnung und Geheimabsprachen die Norm“, „In der Innenpolitik eines Landes bringen Machtspiele immer neue Sieger hervor, doch das Volk zählt stets zu den Verlierern“, „In diesem Kontext erweiterter Nachbarschaft herrscht auf der Welt inzwischen ein Kampf aller gegen alle“ usw.
Immer wieder läßt sich der Stratege von den selbst geschaffenen Metaphern treiben. Er entwirft eingangs ein Bild – ob Schachmetapher, Türsteher, störrischer Esel – und tappt in die selbst aufgestellte Falle, die ihn zwangsläufig zu albernen Generalisierungen führen muß: „In der Tat ist jeder Zug strategisch durchdacht, um den Feind immer weiter unter Druck zu setzen“ (111) o.ä.
Manipulation und Betrug werden bei Baños eigene, ja die eigentlichen historischen Triebkräfte, die zwar als ökonomisch und politisch motiviert benannt werden, aber die eigentlichen ökonomischen Zusammenhänge werden dann aus dem Erklärstrang ausgeschlossen und durch „Interessen“ ersetzt. Damit geht er weit hinter die grundlegenden Erkenntnisse von Marx etwa – dessen Klassenkampftheorie er andererseits in Bezug auf arme und reiche Länder noch für aktuell hält (297) –, der Nationalökonomie, der Psychoanalyse, der Soziologie, der Evolution, der Kulturtheorie, der Ethnologie oder anderen Ansätzen, die historische Akzeleratoren aufzuzeigen versuchten, zurück. Offensichtlich fehlt ihm der Einblick in den Stand der nationalökonomischen und philosophischen Diskussion. Umso verwunderlicher ist es, daß man aus seinem ganz sicher enormen Erfahrungsschatz im praktischen politischen und militärischen Einsatz überhaupt nichts erfährt.
Ist das Buch antisemitisch/verschwörungstheoretisch?
Es gab in Deutschland, soweit ich sehe, lediglich zwei relevante Besprechungen des Buches in bedeutsamen Medien, die Alan Poseners in der WELT[2] und die Herfried Münklers in der FAZ. Vergleicht man beide Besprechungen, dann tut sich eine große intellektuelle Differenz auf. Während man bei Posener noch nicht mal sagen kann, ob er das Buch verstehend gelesen hat – denn er scheint es nur im Suchmodus mit dem Ziel, Antisemitismus ausfindig zu machen, gelesen oder durchgeblättert zu haben – spürt Münkler mit großer Sicherheit entscheidende intrinsische Widersprüche in Baños Argumentation auf.
Das Material, das Posener präsentiert, ist unsäglich dünn. Es wird die Familie Rothschild erwähnt und auch George Soros findet zweifache Erwähnung. Darüber hinaus stößt sich der WELT-Journalist an einem indirekten Zitat von Walter Görlitz, wonach „verschiedene New Yorker Bankiers deutsch-jüdischer Abstammung die Russische Revolution aus einer Aversion gegen das Zarentum finanziert“ hätten (297), sowie den Formulierungen „die weltweite Macht des Geldes“ oder „die Existenz des Zinskapitalismus“. All dem klebt er das Etikett „Antisemitismus“ auf.
Aus einem 460 Seiten starken Buch kann Alan Posener vielleicht eine halbe Seite „Antisemitismus“ pressen. Dabei macht er sich nicht die Mühe, die inkriminierten historischen Behauptungen zu widerlegen, es genügt ihm das Label oder die lapidare Feststellung „Wir kennen die Geschichte“ – Diskussion beendet.
Die Familie Rothschild wird – wenn ich nichts überlesen habe – ein einziges Mal erwähnt und zwar „als reichste Familie der Welt“ und auch diese Information bezieht sich auf eine externe Quelle, die Posener in seinem Text verschweigt.
Soros hingegen findet an zwei Stellen Erwähnung, zum einen als „Finanzmagnat“, der 1992 durch Spekulationen die Bank of England zwang – zu seinen Gunsten – das britische Pfund abzuwerten, und damit als Beweis für die „Wirtschaft als Kriegswaffe“ bzw. den „Finanzkrieg durch Stiftungen“ dient (67). Die zweite Erwähnung findet er im Abschnitt „Die Macht großer Lobbyorganisationen“, wo er als „ungarischstämmiger US-Amerikaner“ bezeichnet wird und seine durch die DC-Leaks nachgewiesenen Unterstützungen seiner NGOs zahlreicher politischer, links zu verortender Organisationen und Personen (z.B. Hillary Clinton).[3]
Um diese Tatsachen und Hypothesen als antisemitisch lesen zu können, muß man schon ein nahezu pathologisches Gespür entwickelt haben. Posener aber will den Anschein erwecken, als sei das Buch in Gänze vom Antisemitismus durchsäuert. Dies ist eine komplette Fehldarstellung des Buches – die immerhin zu seinem Verschwinden geführt hat – und eine offensichtliche Diffamierung von Buch, Autor und Verlag[4].
Münklers Kritik ist hingegen ernst zu nehmen, seinem scharfen Blick entgehen einige der inneren Widersprüche nicht. Da ist zuerst die Frage, ob in einer global vernetzten, international verflochtenen, von unzähligen Interessen durchdrungenen und von vielen, ganz unterschiedlichen Teilnehmern permanent veränderten Welt, in der das Phänomen der Gleichzeitigkeit neu in die Politik eingedrungen ist, „Großmachtpolitik“, in so reiner Form, wie sie der Spanier beschreibt, noch gibt. Tatsächlich – auch das entgeht Münkler nicht – gibt es eine krasse Differenz zwischen Anspruch und Realität des Buches, das zwar die Behandlung geostrategischer Regeln ankündigt, im Wesentlichen aber vielmehr eine Anleitung, mit diversen Tricks und Finessen die Oberhand zu erlangen, darstellt. Inwieweit die Klassiker der Materie – Thukydides, Sun Tsu, Machiavelli oder Clausewitz – noch als Inspirationsquelle taugen, gehört diskutiert, wird bei Baños aber einfach vorausgesetzt.
Schließlich findet Münkler in der verschwörungstheoretischen Lesart einen zweiten Schlüssel zum Buch. Der paßt freilich nur halb.[5] Münkler hat in dieser Frage insofern recht, als daß Menschen, die apriori davon ausgehen, daß nichts so ist, wie es scheint und daß sich dahinter immer sinistre Kräfte verbergen, hier Futter bekommen – allein, Leser dieser Art finden überall Futter, denn die Abwesenheit von geheimen Zusammenhängen bestätigt in diesem Denken selbige. Leser mit vorgefertigten Meinungen, besser mit selbstsicherem „Wissen“, werden darin Bestätigungen finden und man muß Baños vorwerfen, oft durch zu plakative und zu allgemeine Aussagen dieses Leseverhalten zu ermöglichen – er hat sein Buch nicht gegen Verschwörungstheorien immunisiert.
Der Lesefehler scheint mir dieser zu sein: Wenn man die vielen einzelnen Akteure, die behandelt werden, zu stark verallgemeinert, kann ein verschwörungstheoretischer Eindruck entstehen – XY beeinflußt das Weltgeschick –, wenn man jedoch in der Lage ist, jeden einzelnen Gegenstand als Stein eines gigantischen, hyperkomplexen, mehrdimensionalen und in sich beweglichen und wachsenden Puzzles zu sehen, so wie Baños das Buch angelegt hat, dann fällt dieser Vorwurf in sich zusammen.
Deswegen war es zu Beginn wichtig, das Wort „beherrschen“ mit „beeinflussen“ zu übersetzen. Das falsche Spiel ist global – das ist die Grundaussage – aber die Spieler neutralisieren sich gegenseitig, niemand erreicht wirklich sein Ziel, sondern das historische Ergebnis ist stets ein Sammelsurium aus den vielfältigen Beeinflussungen und niemand ist objektiv in der Lage, allein sein Interesse durchzusetzen oder doch nur sehr selten und auch dann sind die letztendlichen Ergebnisse zuvor nie abzusehen. Dieses Phänomen hatte Friedrich Engels bereits 1850 im Zusammenhang mit dem Großen Deutschen Bauernkrieg exemplarisch beschrieben.[6]
Die Welt wird also nicht von jemandem regiert, aber sie ist die Summe der unzähligen Versuche, dies zu tun.
Hat man das verstanden, dann kann man erkennen, daß es in dem Buch nichts Geheimnisvolles, nichts Verstecktes, keine Enthüllungen gibt. Das Buch gibt sich gerade nicht als Insider-Bericht zu erkennen, es ist nicht von jemandem geschrieben, der von sich behauptet, über Informationen zu verfügen, die streng geheim oder nur ihm bekannt seien. Alle seine Beispiele sind der erforschten Geschichte entnommen – mit den angedeuteten Makeln – und er versucht nichts anderes, als abstrakte Schlußfolgerungen daraus zu ziehen. Vielleicht hat er die Regeln im Laufe seiner sicher top-secret-Arbeiten erkannt, nur erfährt der Leser davon nichts. Kein Skandal – nirgends!
Warum verschwand das Buch?
Darüber kann man nur spekulieren.
Vielleicht steht in ihm wirklich ein Geheimnis von großer Kraft verraten, so gut versteckt, nur dem Kundigen zugänglich, daß ich es nicht erkennen konnte. Vielleicht rührt es ja tatsächlich an versteckte Machtgefüge und vielleicht haben diese Mächte das Verschwinden des Werkes veranlaßt. Ich halte das für sehr unwahrscheinlich – nicht, weil ich mich als allzu helle einschätze, sondern weil ich an diese Interpretationen nicht glaube, weil ich die Geschichte als einen potentiell durchdringbaren Gegenstand betrachte, den wir zwar nie vollkommen aufklären werden, dem wir uns aber annähern können. Damit ist die Existenz von „Geheimgesellschaften“, von Logen, vom Einfluß mächtiger Hintermänner und Gesellschaften nicht ausgeschlossen – sie unterliegen nur ebenso den Gesetzen der Geschichte und die lebt von ihrer Unvorhersehbarkeit.
Oder ist alles ganz profan? Poseners Verriß erschien just im Moment des kompletten Ausverkaufs? Doch auch das erklärt nicht das plötzliche Verschwinden – Bücher ziehen immer einen Verkaufsschweif hinter sich her, es befinden sich immer noch Exemplare in irgendwelchen Lagern oder Schaufenstern und warum verbietet uns Amazon sogar den Einblick ins Buch?
Wahrscheinlicher ist, daß es heutzutage – in einer durch den Terror der Politischen Korrektheit von Angst durchsäuerten Welt – genügt, wenn ein Antisemitismuswächter, der Zugang zu einem landesweiten Medium hat, mit der Antisemitismuskeule herumfuchtelt, um Verlagsmitarbeiter in Angst und Schrecken zu versetzen. Niemand will sich einem veritablen Shitstorm aussetzen, niemand braucht in seinem Lebenslauf einen solchen Vorwurf, wir alle zucken schon zusammen, wenn auch nur die Gefahr bestünde, ein solcher Hüter der Reinheit und Exterminator des falschen Bewußtseins könnte uns öffentlich beschuldigen. Sein Verschwinden ist ein äußerst bedenkliches Alarmzeichen – um es mit AKK zu sagen – über den Zustand unserer Demokratie, deren tragende Säule – die Meinungs- und Redefreiheit – in rasantem Tempo erodiert bzw. erodiert wird.
siehe auch: Offener Brief an Alan Posener
[1] Am nächsten kommt ihm dort noch dieser Abschnitt (Hervorhebung SW): “Así, la geopolítica actual podría definirse como la actividad que se desarrolla con la finalidad de influir en los asuntos de la esfera internacional, entendido este ejercicio como la aspiración de influenca a escala global, evitando, al mismo tiempo, ser influidos. Incluso se podría concretar como la actividad que realizan aquellos que persiguen regir los designios mundiales (o al menos de una amplia zona del mundo) al tiempo que tratan de impedir que otros actores internacionales dirijan los suyos, aspirando a que nadie tenga capacidad para entromerse en sus decisiones.”
[2] Dazu sehr ausführlich auf diesem Blog: Offener Brief an Alan Posener
[3] Bezeichnenderweise schreibt Posener im Diskussionsstrang seines vorletzten Beitrages auf „Starke Meinungen“: „Soros ist auch deshalb interessant, weil er eine überlegene Gestalt ist; jemand, der aufgrund seiner Intelligenz, seines Geldes, seiner Beziehungen usw. die Welt lenken kann.“ – und geht damit – was „antisemitische Verschwörungstheorien“ betrifft – weit über das hinaus, was Baños im inkriminierten Buch schrieb.
[4] Posener freilich beharrt auf seiner Position, nicht zufällig im Dialog mit Stefan Stevanovic, der auf diesem Blog eine Lanze für Posener schlug – Man darf das wohl als müde Reaktion auf meinen Artikel und die daran anschließende Diskussion lesen: „Ich will niemanden pauschal entlasten, lieber Stevanovic. Mich stören eher die pauschalen Beschuldigungen. Wenn jemand sagt, die Juden würden die Welt kontrollieren, dann kritisiere ich das: https://www.welt.de/kultur/plus198471875/Heyne-Verlag-publiziert-antisemitisches-Werk-von-Pedro-Banos.html”
[5] Schon etwas besser passte es auf das von Posener hinzugezogene Interview Baños‘ mit El Boletin – dort läßt sich der Geostratege zu einigen fraglicheren Äußerungen hinreißen. Man sollte das aber trennen können: Im Buch agiert der Autor vorsichtiger.
[6] Ich hatte diesen Komplex in mehreren Anläufen zum Thema gemacht. Siehe etwa:
Die Geschichte der Zukunft,
Was ist Geschichte?,
Was wäre wenn?
Zum Reformationstag
Luther als Schicksal
Sprache und Sein – ein produktives Paradox u.a.
Anhang:
Buch ist als PDF im Internet Archive downloadbar. Link: https://archive.org/details/pedro-banos-so-beherrscht-man-die-welt-die-geheimen-geostrategien-der-weltpolitik/page/12/mode/2up
Seidwalk: Gut so!
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