Der deutsche Bauernkrieg

Auch das deutsche Volk hat seine revolutionäre Tradition. Es gab eine Zeit, wo Deutschland Charaktere hervorbrachte, die sich den besten Leuten der Revolutionen anderer Länder an die Seite stellen können, wo das deutsche Volk eine Ausdauer und Energie entwickelte, die bei einer zentralisierteren Nation die großartigsten Resultate erzeugt hätte, wo deutsche Bauern und Plebejer mit Ideen und Plänen schwanger gingen, vor denen ihre Nachkommen oft genug zurückschaudern. (Friedrich Engels)

Aus meinen Studientagen ragt noch immer eine besondere Vorliebe für die Reformationszeit in mein Leben. Qua Geburt auf der Seite Münzers, sind es doch die viel widersprüchlicheren Gestalten Andreas Karlstadt und Martin Luther, die auch heute noch faszinieren. Jedes Jahr nehme ich mir daher eine Biographie Luthers vor – die Karlstadt-Literatur ist dagegen endlich und längst abgearbeitet–, um eine weitere Perspektive kennenzulernen. Diesmal aber rief mich ein anderes Buch aus entferntem Regal an. Mir schien, aus verblaßter Leseerinnerung, es könnte aktuelle Fragen beantworten: „Der deutsche Bauernkrieg“ von Friedrich Engels. Weiterlesen

Über die Karotte

Sándor Márai: Das Kräuterbuch LIV

Über die Karotte

Ich habe festgestellt, daß rohe Karotten, fein gerieben und mit Zitronensaft beträufelt, nicht nur eine erfrischende Nahrung sind, sondern auch die Nerven beruhigen, insbesondere die Nerven in den Augen. Weiterlesen

Nazi Schreck Heidegger

Für einen Euro bei Ebay erwischt und zugeschlagen: Zimmermann: Martin und Fritz Heidegger. Philosophie und Fastnacht. Buch kam pünktlich, guter Zustand, alles bestens.

Aber dann sieht mein Auge eine Handschrift über Heideggers Vornamen. Hat da doch jemand „Nazi!“ – mit Ausrufezeichen – drüber gekritzelt. War in der Artikelbeschreibung natürlich nicht angegeben. Weiterlesen

Baños: So beherrscht man die Welt

 Rezension von: Pedro Baños: So beherrscht man die Welt. Heyne 2019
Es gab in den letzten Wochen ein verstärktes Interesse für Baños‘ Buch. Woher es kommt, darüber kann ich nur spekulieren. Vielleicht war Erik Lehnerts Vortrag zur Geopolitik der Auslöser oder sein entsprechender Beitrag in der „Sezession“ Heft 110. Dort findet sich auch eine sehr kurze Vorstellung des Buches. Aufgrund des Interesses stelle ich meine sehr ausführliche Rezension des Werkes erneut ein. Sie entstand vor drei Jahren und ist noch immer weit und breit die umfassendste und neutralste. Das Buch ist auf dem deutschen Markt weiterhin „verschwunden“, das spanische Original, eine italienische oder polnische Übersetzung kann man erwerben.
Druckfassung PDF

Dank des Angebotes des „Antaios”-Verlages und meines schnellen Entschlusses, kam ich in die Lage, jenes Buch lesen zu können, das den meisten Menschen in diesem Land verwehrt bleiben wird, weil ein Journalist – Alan Posener – dieses Buch als antisemitisch bezeichnete. Daraufhin nahm der namhafte Heyne-Verlag es aus dem Programm und ihm folgten in einer seltsam konzertierten Aktion alle – alle! – kommerziellen Anbieter auf dem Fuß. Ich versprach daraufhin, das Buch hier öffentlich zu besprechen.

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Über die Schulmedizin

Vor ein paar Jahren litt ich an einer Gastritis, die sich zu einem Magengeschwür entwickelte. Die Schulmedizin sah eine einwöchige Antibiotika-Keule aus drei verschiedenen Einzelmitteln vor: ZacPac. Gefürchtet und verteufelt von den einen, hoch gelobt von den anderen. Also entschied ich mich für die alternative Tour. Kräutertees, Rollkuren, Entspannungstraining, Heilerde, Haferschleim, Leinsaataufgüsse … Ich aß rohe Kartoffeln, lutschte Süßholz, nahm Natron zu mir und ließ sogar den unglaublich teuren Manuka-Honig aus Neuseeland in der höchsten Dosierung langsam auf der Zunge zergehen[1]. Auch zur Homöopathin ging ich – die mir bei einem früheren Problem ganz unzweifelhaft geholfen und auch diesmal zumindest für Erleichterung gesorgt hatte – und ließ 200 Euro bei ihr für ein gutes Gespräch. Am besten taten mir die vielen Liter frisch gepreßter Weißkohlsaft, die ich über Monate in mich hineingoß, täglich einen Liter – das ganze Haus roch nach Kohl wie ein russischer Soldatenschlafsaal früh morgens bei geschlossenem Fenster. Weiterlesen

Packen macht alt

Sándor Márai: Das Kräuterbuch LII

Darüber, wie das Packen altern läßt

Reise, aber mit wenig Gepäck. Reise, aber wisse in jedem Augenblick, daß es nirgendwo einen richtigen Aufenthalt für den Reisenden gibt. Vergeude nicht viel Zeit damit, deine Koffer zu sortieren, schleppe keine unnötigen Gegenstände mit auf deine Reise. Das Packen läßt nur altern. Weiterlesen

Orbán in Berlin

Man muß nicht viele Worte machen, Bild und Ton sprechen für sich. Vom offiziellen Teil abgesehen, hat der Besuch des demokratisch gewählten Ministerpräsidenten eines EU-Mitgliedslandes aus zwei Gründen Furore gemacht. Beide Male empörte sich die Allerweltspresse und im Twitter- und Facebook-Reich war schnell von „Autokrat“, „Diktator“, „Faschist“ und anderem die Rede. Weiterlesen

Beschreibung der Braut

Wilhelm Diltheys frühe Briefe kann man in zweierlei Gestalt lesen. Man entscheidet sich entweder für das Antiquariat und legt sich den von Diltheys Tochter Clara  Misch– sie heiratete den eifrigsten Schüler des Meisters, Georg Misch, und trug daher dessen Namen – herausgegebenen Band „Der junge Dilthey. Ein Lebensbild in Briefen und Tagebüchern“ aus dem Jahre 1933 zu, kauft ein bißchen vom Flair, muß aber mit der Auswahl vorlieb nehmen, oder aber man greift tief in die Tasche und entscheidet sich für den vollständigen ersten Band der vierbändigen Briefausgabe aus dem Jahre 2011. Weiterlesen

Das ist Fortschritt!

Während ich durch einen alten Band der Kant-Studien (Band XXIX, Heft 1/2) blättere, fällt mir eine kurze Bekanntmachung auf.

Wir befinden uns im Jahr 1924. Diese seinerzeit sehr verbreitete „Philosophische Zeitschrift“, begründet von Hans Vaihinger, bringt auf über 300 Seiten Abhandlungen zu Kant und die Psychologie, Kant und die Religion, die reine Rechtslehre, die deutsche Kultur, das Eherecht oder Kant als Naturwissenschaftler. Kant von vorn bis hinten und manch prominenter Name, wie Nicolai Hartmann oder Max Dessoir, arbeitet sich vor weitem Publikum an Kant ab. Weiterlesen

Menschlich leben

Sándor Márai: Das Kräuterbuch LI

Darüber, daß wir nach menschlichem Maß leben

Du bist des Lebens müde? Ja, eines Tages hast du das Gefühl, dir eine zu große Aufgabe aufgeladen zu haben, als du auf diese Erde als Mensch geboren wurdest. Weiterlesen

Bombenmeditation

“If you have sacrificed my nation to preserve the peace of the world, I will be the first to applaud you. But if not, gentlemen, God help your souls.“ Masaryk 1938

Neulich schrieb mir jemand – ein habituell unentschiedener, offener Mensch –, und endete mit der Frage: Schwere Waffen ja/nein? Die Antwort ließ er natürlich offen.

Aber exakt das ist die Antwort, die einzig vernünftige oder doch zumindest zwangsläufige, die man auf diese Frage geben kann: Ich weiß es nicht! Niemand weiß es! Und niemand kann es wissen! Die einzig konzise Antwort auf die Frage ist, die Antwort zu verweigern oder offen zu halten. Weiterlesen

Nietzsche der Zeitgemäße

… Und mitten hinein, akademisch ungeschützt, stürzt sich Julien Rochedy. Der Leser schaut in die Pistolenmündung eines comicartigen gezeichneten Nietzsche im Hawaii-Hemd vor grellgelbem Hintergrund. Wo Felsch seine Fußnoten bündeln muß, um sie nicht übermächtig werden zu lassen, da verzichtet Rochedy auf jeglichen Nachweis. Mit entschiedener Geste wischt er zweierlei ohne Begründung beiseite: alle bisherigen philosophischen Abarbeitungen an Nietzsches Werk, ganz ausdrücklich den gesamten postmodernen Diskurs, und die Frage nach der Authentizität der Texte. Was gedruckt wurde, nimmt Rochedy wortwörtlich, inklusive des umstrittenen „Der Wille zur Macht“, alles intellektuelle Feilschen habe nur vom Wesentlichen abgelenkt, hier wird der Anspruch gestellt, den eigentlichen Nietzsche wieder freizuhauen. Weiterlesen

Schlachtfeld Nietzsche

Wer seriös Nietzsche zitieren will, der greift seit 35 Jahren zur Kritischen Gesamtausgabe aus dem Hause De Gruyter oder wenigstens zur Kritischen Studienausgabe des dtv-Verlages. Beide begrüßen den Interessenten mit einem Skandalon. Man liest auf ihnen: „Herausgegeben von Giorgio Colli und Mazzino Montinari“. Wie aber kamen zwei Italiener dazu, das deutsche Ereignis Nietzsche herauszugeben? Der Geschichte dieser „Rettung“ geht der Kulturwissenschaftler Philipp Felsch in seinem Buch „Wie Nietzsche aus der Kälte kam“ nach. Weiterlesen

Niedertracht und Hilfe

Sándor Márai: Das Kräuterbuch L

Über Gemeinheit und Hilfe

Das Maß menschlicher Niedertracht ist so schrankenlos, ihr Hitzegrad so brennend, ihr Erfindergeist so originell und abwechslungsreich, ihre sich offenbarenden Formeln so überraschend,  daß wir manchmal verdutzt sind und meinen, dies sei die größte menschliche Kraft. Weiterlesen

Die Macht der Vierten Gewalt

Die Frage ist noch nicht endgültig entschieden: Schadet es einer Sache mehr, wenn sie aktiv bekämpft wird oder wenn man sie mit falschen Mitteln verteidigt? Ist also der Gegner der eigentliche Feind oder ist es doch eher der in der Sache Verbündete, der diese aber schlecht vorträgt und falsch begründet?

Man kann David Richard Prechts und Harald Welzers Mut, sich gegen die Fehlentwicklungen in der „Vierten Gewalt“ – und damit, wie die gestrige Sendung bei Lanz zeigt gegen diese selbst – zu stellen, begrüßen, man kann aber auch über die viel zu kurzen Sprünge der beiden entsetzt sein. Weiterlesen