In Deutschland muß niemand hungern!

Viele Menschen machen sich Sorgen: Was sollen wir essen, wenn alles teurer wird? Was sie nicht wissen: das Essen liegt auf der Straße, oder genauer; auf der Wiese oder hängt am Busch. In Deutschland muß niemand hungern – zumindest nicht von April bis November.

Der späte Regen hat der Natur gut getan, alles grünt und steht wieder voll im Saft. Ich spreche nicht etwa von Löwenzahnblättern oder Spitzwegerich, die zum täglichen Grundnahrungsmittel jedes kultivierten Haushaltes in Stadt und Land gehören sollten. Man findet sie überall, sie ersetzen oder bereichern jeden Salat.

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Was für ein Anblick! Frische Brennesseln im Septembersonnenlicht

Unverzichtbar ist und bleibt die Brennessel. Sie gilt als Superfood, ist nicht nur sehr gesund, sondern enthält nahezu alles, was der Körper braucht. Gerade jetzt im Herbst treibt sie noch einmal neu aus und entfaltet sich in strahlendem Grün, phantastischer Frische und zartem Blatt; schneidet man sie, wachsen die Triebe bis November – sofern kein starker Frost kommt – immer wieder jung und naiv nach. Man kann sich vermutlich wochenlang nur von Urtica ernähren, ohne Mangelerscheinungen zu bekommen.

Ich empfehle die Große Brennessel (Urtica dioica) vor der Kleinen (Urtica urens) – sie ist nicht nur nahrhafter, sie sticht auch weniger, aber selbst die Kleine tut ihren Dienst. Mitten in der Großstadt, selbst in Berlin, kann man sie in Parks oder auf Friedhöfen finden. Am besten ißt man sie roh. Um sich nicht den Mund zu verbrennen, rollt man das Blatt in der Hand, um die Brennhaare abzubrechen, in größeren Mengen legt man sie in ein Tuch, walkt sie ordentlich durch und zerhäckselt sie mit dem Petersilienmesser. Alternativ läßt sie sich wie Spinat zubereiten oder als Suppe – freilich verliert sie in jedem Bearbeitungsgang. Die Verzehrmenge ist unbegrenzt. Vorräte lassen sich trocknen und später verarbeiten. Von der Brennessel kann ich nicht genug schwärmen.

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Eine ganze Mahlzeit in fünf Minuten gesammelt

Aber auch an den Büschen lohnt es sich jetzt. Nehmen wir Hagebutte und Weißdorn. Letzterer ist weniger als Nahrungsmittel bekannt. Dabei ist er ein wundersam gut tuendes Gewächs, das uns in allen Teilen wohl tun kann. Blätter, Holz, Rinde und Wurzel sind als Herzbalsam seit Jahrtausenden bekannt. Einfach trocknen und dann als Tee täglich genießen.

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Weißdorn in voller Pracht

Alternativ ist auch der Auszug zu empfehlen: Ein großes Glas mit Blättern füllen, bis zum Rand mit klarem Alkohol aufgießen, ein halbes Glas Honig drauf und sechs Wochen ziehen lassen, dann abgießen und in kleinen Mengen konsumieren. Der Geschmack ist etwas süßlich faulig, man kann ihn nach ersten Gewöhnungen durchaus genießen. Vor dem Hunger schützt uns vor allem die Frucht, die sehr mehlig ist und einen ungenießbaren Kern enthält. Früher hat man aus dem Fruchtfleisch Mehl hergestellt und sogar Brot gebacken. Keine Energie kostet der frische Verzehr – auch hier ist die Menge unbedenklich – oder eben die getrocknete Frucht.

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Der Sauerdorn (Berberitze) will jetzt geerntet werden!

Oder denken wir an die Berberitze. Sie hängt dieses Jahr so voll wie selten. Ihre kleinen, spitzen Früchte sind quietschsauer – aber voller Vitamin C. Als Snack einzeln genossen haben sie sogar einen Fun-Faktor. Auf ein Honigbrot gestreut, als Kontrast zum Süßen, sind sie eine Wucht. Man kann sie einfrieren, dann werden sie jedoch weich und labbrig und wäßrig, weshalb ich sie trockne und im Laufe des Winters in kleineren Dosen zu mir nehme. Vorsicht vor Holz und Rinde, die sind giftig!

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fertig zum Trocknen, Blätter und Stiele entfernt

Pilze gibt es gerade in Massen. Erst gestern hatte ich blitzsaubere Steinpilze, Maronenröhrlinge und zwei wunderschöne Gold- oder Schleim- oder Körnchenröhrlinge vom Spaziergang mitgebracht, ohne überhaupt gesucht zu haben. Die gelben kann ich gar nicht unterscheiden – egal was es ist, sie sind immer gut. Nach dem vielen Regen sehen sie alle aus wie aus dem Lehrbuch.

Weit weniger bekannt sind jedoch die Baumpilze. Für sie habe ich eine besondere Leidenschaft entwickelt, denn viele von ihnen sind uralte Heilpilze. Vom sehr jungen Birkenporling abgesehen, kann man sie zwar nicht essen, aber als Sud oder im Tee leisten sie großartige Dienste. Gerade der Birkenporling treibt jetzt. Verwechseln kann man ihn nicht, er wächst fast nur an alten oder toten Birken und ist im jungen Stadium unten ebenfalls weiß und weich. Am Rand kann man kosten, ob er bitter ist – dann kann man ihn genießen, essen könnte man ihn ohne Bedenken, nach innen wird er immer bitterer.

Zunder

Birkenporling und Zunderschwamm

Der Zunderschwamm hingegen ist frisch extrem zäh und getrocknet sehr hart. Ihn fand man schon bei Ötzi im Gepäck. Nützlich war er ihm wohl gleich dreifach. Man kann mit ihm Feuer machen (Zunder), er ist – wie der Birkenporling auch – ein großartiges Mittel zum Blutstillen etwa bei Verletzungen und er hat zahlreiche Heilwirkungen, wenn man seinen Sud trinkt: er kann Magengeschwüre heilen, Schmerzen lindern, hat antibakterielle und antivirale Wirkung usw., wie übrigens alle Baumpilze. Man kann ihn auch als Pulver kaufen – in guter Qualität kostet das Kilo um die 1500 Euro, zum Sammeln braucht man maximal eine kleine Säge. Die ist auch beim weniger bekannten Fichtenporling ratsam, dem sich nun die Onkologie widmet, da er zudem antikarzinogene Wirkung haben soll. Alle drei stehen bei mir in der Hausapotheke und werden in den nächsten Wochen erneuert. Ihr Wachstum endet im November/Dezember.

Birkenporling

auf dem Heizkessel zum Trocknen: Weißdornblätter und Baumpilze

Aber ich will hier nicht den Oberlehrer spielen, sondern nur ein paar Beispiele dafür geben, daß die Natur uns gut ernähren und helfen kann, kostenlos, wenn wir uns nur kundig machen und die kleinen Wege nicht scheuen.

All diese Pflanzen und viele mehr sind in unserem Haushalt erprobt – selbstverständlich lehne ich jede Verantwortung für eventuelle Folgeschäden durch unvernünftige Nutzung ab.

5 Gedanken zu “In Deutschland muß niemand hungern!

  1. Stefanie schreibt:

    Ich würde hier einen Begriff reinwerfen, der mir schon bei Ihrem bedauerungswerten Zwischenfall mit den Trauben auf der Zunge lag, die Ihnen nun nicht mehr in den Mund wachsen: die Tragik der Allmende.
    Zwar wird es wohl noch eine Weile dauern, bis Ihnen jemand die Brennessel-Claims streitig macht, aber Allgemeingütern wohnt eben eine gewisse Tendenz zur Übernutzung inne. Jetzt mal davon abgesehen ob ihre Ernährungstips einen großen Beitrag zur rein kalorischen Versorgung des deutschen Volkes leisten können. (Immerhin haben Sie ja versprochen, dass keiner zu hungern braucht.)
    Wobei ich mich meinem Vorredner anschließen muss: bei Ihren reinen Sammlertipps kommt mir die Kleinviehhaltung zu kurz. Dabei könnten Hühner, Enten, Ziegen und Karnikel weit mehr zur Ernährungssicherung beitragen, als Weißdorn und Hagebutten – in Kombination mit den Schwammen würden es aber gut harmonieren.

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    • Um das noch mal zu konkretisieren. Es ging hier nicht um eine Radikallösung, sondern um den Hinweis auf zusätzliche Möglichkeiten, Bei uns gab es heute abend Pellkartoffeln mit Brennesseln und Olivenöl. Davor einen Salat aus Tomaten, Gurken, Kurkuma und Brennesseln. Nichts ist gegen eine Brennesselsuppe in einer Fleischbouillon zu sagen. Gerne auch vom eigenen Huhn oder Hasen …

      Die Frage der Menge stellt sich in unserer historischen Situation immer. Egal, was wir machen, sobald es für sehr viele gelten soll, wird es dialektisch umschlagen. Brennessel etwa könnte man sehr gut großflächig anbauen, sicher auch verschiedentlich verarbeiten, trocknen, zerkleinern etc. Die Brennessel ist ein Stickstoffanzeiger. Evtl. müßte man düngen. Man könnte immerhin drei bis fünf mal pro Jahr ernten. Übrigens gibt es auch Gourmetrestaurants, die die Urtica als Delikatesse vertreiben.

      Die Titel-Überschrift war natürlich Click-Bait.

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      • Stefanie schreibt:

        Brennnesseln wurden schon großflächig angebaut, allerdings als Faserpflanze (Nesseltuch), weniger zum Essen. Wie bei jedem Anbau im größeren bzw. gewinnorientierten Stil werden dort die gleichen Probleme auftauchen wie bei allen landwirtschaftlichen Kulturen: Düngung wird notwendig und Krankheiten und Schädlinge bekommen ebenfalls im großen Stil Gelegenheit sich auszutoben. Wobei es besonders bei der Art der Schädlinge große Kontroversen über Pflanzenschutz geben könnte: ich meine mich zu erinnern, daß Brennesseln der Hauptwirt für die Raupen vom Tagpfauenauge sind.

        Mit dem Allmendeproblem wollte ich darauf hinweisen, daß es im Überfluss leicht ist zu teilen und anderen Früchte seiner Arbeit zu überlassen. Werden selbst einfache und lebensnotwendige Dinge teurer, geht es im Zweifels ans Hauen und Stechen. Die Tafeln sollen woll aktuell schon Probleme haben, weil Supermärkte, Bäckereien etc. Schon knapper kalkulieren – und die sind bei der Berechnung der Hartz IV Sätze schon mit eingepreist.

        Davon abgesehen, denke ich, daß der Titel Ihres Artikels sich durchaus bewahrheiten wird: an Grundnahrungsmitteln wird es hierzulande so schnell nicht fehlen, wenn auch unter Umständen die Verteilung problematisch werden könnte (Blackout, Plünderungen…). Schon zu Lockdown-Zeiten waren ja auf einmal die Supermärkte Grundversorger, dabei sollten doch bei einer ordentlichen Quarantäne Militärs in Astronautenanzügen das Essen unter der Tür durchschieben :-).
        Wogegen Ihre Tipps wahrscheinlich sehr gut helfen, ist nicht Hunger, sondern Mangel. Es fehlt uns (noch?) nicht an leeren Kalorien – bestimmte Vitamine, Mineralien und sekundäre Pflanzenstoffe sind meistens knapp. In Wildpflanzen und extensiv gewachsenen Kulturen (Streuobst, Weiden) wird man wohl noch fündig werden.
        Der Grund warum ich auf das Kleinvieh hingewiesen habe: Wildbestände eßbarer Pflanzen sind schnell erschöpft, aber ungenutze Wiesen gibt es hierzulande in Hülle und Fülle. Das fängt beim Rasen im Vorgarten an, geht über Seitenstreifen, verwilderte Brachgrundstücke hin zu durch Straßen zerschnittenen Kleinflächen, die es nicht lohnt, maschinell zu bewirtschaften. Jede Menge Biomasse, die sich in hochwertige Proteine verwandeln kann…

        Seidwalk: Jeder Brennessel-Sammler weiß um die Bedeutung der Pflanze für die Insektenwelt. Man sieht das an den zahlreichen zusammengerollten Blättern. Gerade deswegen ist die Herbsternte so ergiebig und leicht.

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