Verräter nicht bedauern

Sándor Márai: Das Kräuterbuch XLVII

Darüber, daß man den Verräter nicht bedauern soll

Erwirke in Verfahren gegen Menschen nach Möglichkeit Freispruch. Nur dann nicht, wenn du den Angeklagten des langsamen und kalten Verrats für schuldig befindest. Dem Mörder kann man schneller vergeben als dem Verräter.

Der Mörder handelt meist im Affekt und bezahlt dafür mit seinem ganzen Schicksal. Der Mörder und das Opfer sind meist durch ein tiefes und unverständliches Gesetz miteinander verbunden. Der Mörder kommt meist an den Galgen. Aber der Verräter drückt deine Hand, der Verräter schaut dir in die Augen, horcht deine Pläne aus, seufzt mit dir, stöhnt, beteuert. Dem Verräter vergib nicht, niemals.

Dem Verräter kein Erbarmen. Wer einmal verrät – Mann oder Frau, ganz gleich –, für ihn gibt es keine Prüfung, Entschuldigung oder Absolution mehr. Verbanne ihn aus deinem Leben. Betrachte sein Schicksal ohne Mitleid. In der Gemeinschaft und im Privatleben ist er der Letzte, es gibt für ihn keine Entschuldigung.

zellter

Ernő Zelter: Sándor Márai: Ein Leben in Bildern. München 2001

2 Gedanken zu “Verräter nicht bedauern

  1. Otto schreibt:

    „Der Mörder handelt meist im Affekt und bezahlt dafür mit seinem ganzen Schicksal. “ Bin zwar kein Jurist, aber mein Bildung geht dahin, dass im Deutschen derjenige, der im Affekt handelt, Totschläger genannt wird, und ein um ein Weniges geringeres Strafmass zu erwarten hat. Dagegen fehlt dem Deutschen ein Wort für Täter, die im Auftrag einer Organisation oder eines staatlichen oder überstaatlichen Organes morden. Vielleicht gibt es das Wort deshalb nicht, weil derartige Täter in der Regel nicht juristisch zur Verantwortung gezogen werden.

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    • Um den deutschen Rechtsdefinitionen besser zu genügen, kann man „indulat“ vielleicht auch mit „Gemütsbewegung“, „Gefühl“, „Leidenschaft“, „Aufregung“, „Erregung“ oder „Emotion“ ersetzen. Das ist der Wortkreis, in dem wir uns hier bewegen. Es gibt auch eine zweite Bedeutung, die der „Gesinnung“, allerdings steht die nur im Wörterbuch, ich selbst habe sie so noch nicht gehört.

      Allerdings hat ja auch das Wort „Affekt“ eine ganze Reihe von Anklängen, die die obige Breite abdecken, je nachdem auch, ob man im juristischen, psychologischen oder alltagssprachlichen Diskurs agiert. Das Verständnis des Mörders als rein kognitiv getriebenes Wesen ist sicherlich ebenso holzschnittartig und trifft nur auf die allerseltensten Fälle zu. Was Márai wohl sagen will, ist, daß ein Mord in der Regel affektiv belastet, vor, während und vor allem nach der Tat. Man kann sein Leben danach meist nicht unberührt weiterleben. Daher „lebt“ der Ermordete einerseits im Mörder weiter, die beiden sind schicksalhaft aneinander gebunden, andererseits hat das „Schicksal“ sie zueinander geführt, mit welchen mehr oder weniger unsichtbaren Fäden auch immer.

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