Sándor Márai: Das Kräuterbuch XLVI
Über die Ärzte und die Himmelsgegenden
Im Mittelalter gab es den Irrglauben, daß die Ärzte durch ihren Beruf Krankheiten in bestimmte Regionen bringen, als Material ihrer Kunst[1]. Montesquieu wandte sich nach Jahrhunderten gegen diese Irrlehre. Nicht die Ärzte bringen die Krankheiten, sondern die Krankheiten bringen die Ärzte. Und wir können tatsächlich sehen, daß zu jeder Region ein jeweils anderer Arzt paßt.
Die Heilweise, die in Paris begeistert und kluge Anhänger hat, heilt nicht in Konstantinopel. Das Arzneimittel, das in Oslo ganz sicher wirkt, wirkt nicht ganz so sicher in Marseille oder Budapest. Der Arzt, der in London tausenden Kranken das Leben wieder schenkt, ist in Bagdad machtlos, wenn ihn das Schicksal dahin verschlägt.
Der Mensch ist nicht nur seiner Natur und seinen Gewohnheiten gemäß krank und heilt, sondern auch in Abhängigkeit von den Himmelsgegenden. Was in Helsingfors abführend wirkt, ist in Khartum verstopfend, und der Gefäßkrampf, den in Budapest ganz sicher Pyramidon[2] löst, bleibt in China ein Gefäßkrampf, wie viel der Mandarin auch Pyramidon einnimmt. Chinin würgen wir in Budapest in Halbgrammportionen hinunter, in Sumatra nimmt man es mit Kaffeelöffeln. Der Mensch kann unter vielen Bedingungen krank oder gesund sein. Denke daran, wenn du den Arzt schiltst.