Sich selbst verschlingende Schlange

Manche Artikel schreiben sich wie von allein – besser noch: man muß gar nichts schreiben, es genügt zu zitieren, um den Zeitgeist einzufangen.

Über Hasnain Kazims Auffassung von Meinungsfreiheit hatte ich hier bereits mehrfach geschrieben. Er ist – vielleicht sollt man besser sagen: er war einer der schärfsten Anheizer „gegen rechts“ und wollte nur zu gern ausgemerzt sehen, was nicht in seine Verstandes- und Toleranzgrenzen paßt. Da er in „Zeit“ und „Spiegel“ schreibt, in Talkshows sitzt, in Großverlagen Bücher veröffentlichen kann – all dies ist seinen Gegnern verwehrt – und ein einflußreicher „Influencer“ ist, ist das keine Kleinigkeit.

Jedesmal, wenn ich über ihn schrieb, machte ich mehr oder weniger explizit darauf aufmerksam, daß der Wokismus, die Cancel Culture als konsequente und nahezu naturgesetzliche Fortsetzung der social-justice-Ideologie, ein nimmersatter Leviathan ist, der immer weiter an den Rändern frißt und früher oder später auch jene verschlingt, die ihn heute noch willig und eifrig füttern. Daher gilt hier wie selten in der Geschichte: Wehret den Anfängen!

Die Logik dieser Entwicklung läßt sich in der Geschichte des letzten Jahrhunderts gleich an zwei Beispielen exemplarisch studieren: dem Sowjetkommunismus, der einem einst hehren und „wissenschaftlich begründeten“ Ideal entsprang, und dem Nationalsozialismus, den man in dieser Perspektive wohl als Aufstand gegen die Moderne begreifen darf. Beide hatten in ihrem Anfangsimpuls ein argumentatives Recht – so wie auch der Postmodernismus, aus dem die Gerechtigkeitsfanatismen ideologisch hergeleitet werden können[1], aus einer epistemologischen Bejahung heraus entstanden ist und anfangs Großes geleistet hat und noch Besseres hätte leisten können[2].

Nun also ist Kazim selbst dran. Da helfen keine früheren Statements, da hilft auch die Hautfarbe nichts oder der Migrationshintergrund … das Monster greift nach ihm. Man muß ihm einen gewissen Mut zugutehalten, sich in seiner exponierten Position überhaupt gegen den Strom, den er selbst beschleunigt hat, zu wenden. Auch wenn er die Zusammenhänge (noch) nicht begreift.

Auf Twitter wendet er sich seit geraumer Zeit gegen Cancel Culture und Wokismus, zwar noch immer in Verbindung mit seinem „Kampf gegen rechts“, aber doch unüberhörbar deutlich. Anlaß ist nun ein Artikel im Wiener „Standard“, der über Cancel Culture an britischen Unis berichtet.

Kazim: „Dieser „woke“ Unsinn nimmt zu. Die eigentlich berechtigte Debatte über Diskriminierung und Rassismus wird ad absurdum geführt, indem die Forderungen ins Totalitäre gesteigert werden. Sie gleicht dem Unsinn, den Rechtsextremisten verlangen. Und sie unterscheidet sich nicht von der Forderung von Islamisten und konservativen Muslimen, man müsse Bücher von Salman Rushdie untersagen.“

Über Sinn und Unsinn dieser Worte müssen wir nicht streiten – die Frage ist: darf er das sagen? In unserem Verständnis klingt diese Frage seltsam, denn sie existiert in unserem Verständnis gar nicht. Jeder darf alles sagen! Warum auch nicht? Vieles davon ist Unsinn, das wissen wir, dem meisten stimmen wir nicht zu, aber sagen können muß man es.

In Kazims Follower-Kreisen freilich sieht man das anders und hier rächt sich sein Seitenhieb nach „rechts“ – aber auch das wird er irgendwann verstehen.

Deswegen schreibt sich dieser Artikel wie von allein, denn man muß nichts mehr erklären, man braucht nur noch zu präsentieren. Ich tue das mit umso größerer Freude – die keine Schadenfreude ist! –, weil sich damit der Vorwurf an ihn, er würde sich bei „den Rechten anbiedern“ und dergleichen, im Denken dieser Leute bestätigt. Sei‘s drum: Schlucke deine eigene Medizin! Und die, die sie dir jetzt in der Pose des besseren Menschen verabreichen, werden sie bald selber schlucken. Nicht daß ich mir das wünschte, denn die Welt wird dann für uns alle weniger lebenswert und weniger sicher sein – lieber wäre mir, sie wachten auf und wagten tatsächlich die offene Hand.

FireShot Capture 727 - (1) Oliver Gibson 🇺🇦🕊️ on Twitter_ _@HasnainKazim Woke in diesem K_ - twitter.comFireShot Capture 728 - (1) Hasnain Kazim on Twitter_ _Dieser „woke“ Unsinn nimmt zu. Die eig_ - twitter.comFireShot Capture 729 - (1) Hasnain Kazim on Twitter_ _Dieser „woke“ Unsinn nimmt zu. Die eig_ - twitter.comFireShot Capture 730 - (1) Hasnain Kazim on Twitter_ _Dieser „woke“ Unsinn nimmt zu. Die eig_ - twitter.comFireShot Capture 731 - (1) Hasnain Kazim on Twitter_ _Dieser „woke“ Unsinn nimmt zu. Die eig_ - twitter.comFireShot Capture 733 - (1) Hasnain Kazim on Twitter_ _Dieser „woke“ Unsinn nimmt zu. Die eig_ - twitter.comFireShot Capture 734 - (1) Hasnain Kazim on Twitter_ _Dieser „woke“ Unsinn nimmt zu. Die eig_ - twitter.com

undsoweiterundsoweiter

[1] Siehe: Pluckrose/Lindsay: Zynische Theorien: Wie aktivistische Wissenschaft Race, Gender und Identität über alles stellt – und warum das niemandem nützt. Beck 2022 – auch wenn ich diese These für zu kurz gegriffen halte.
[2] Siehe: Zorn: Die Krise des Absoluten. Was die Postmoderne hätte sein können. Klett-Cotta 2022

siehe auch: Hasnain Kazim: Mein Kaifat

Die Sache mit der Meinungsfreiheit

Die Messer-Falle

7 Gedanken zu “Sich selbst verschlingende Schlange

  1. nouseforislam schreibt:

    Eine – angebliche – Beleidigung, die ich mal in einer Mail an den „Herrn“ Kazim geäussert habe, hat mir mal eine Verurteilung wegen Blasphemie(!!!!!) eingebracht. Insofern geht mir das Schicksal dieses „Individuums“, wenn ihn die Jakobiner denn mal aufs Schafott legen, ziemlich am Poppes vorbei.

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      • Pérégrinateur schreibt:

        Ein übler Gummiparagraph, der den Fanatikern eine Prämie gibt.

        Gründen wir eine neue Religion mit dem Glaubensgrundsatz, in einer täglich vorgeschriebenen Litanei reihum alle Glaubensgrundsätze aller anderen zu lästern. Und wer dann diesen Glaubensgrundsatz auch nur leise bezweifelt, muss Unruhen von Seiten von uns Neugläubigen gewärtigen, hat also den öffentlichen Frieden gestört.

        Im Grunde meiens Herzens vermisse ich als Atheist ja schon lange die Möglichkeit, so saftig wie Gläubige fluchen zu können.

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      • nouseforislam schreibt:

        Ich habe ihm gesagt, dass ich auf den Ixlahm einen grossen Haufen lege. Ausgangspunkt waren seine Äusserungen über Deutschland, die er vor ca. drei Jahren geäussert hat, z. B. im Spiegel, etc., auch in Verbindung mit dem Islam.

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          • nouseforislam schreibt:

            Es gab damals Anzeigen gegen mich wg. „Verächtlichmachung eines Bekennnisses“ , Volksverhetzung (ich habe der Alice Solomon-Hochschule einen sarkastischen Brief wegen der Cancelung des Gedichtes geschrieben und weil ich den Begriff „Muselerna“ in meinem Blog benutzt habe). Weil ich „Ersttäter“ war, hat man mir empfohlen, einen Entschuldigungsbrief an den Herrn zu schreiben, um ein milderes Urteil zu erreichen. Hat nichts geholfen: 36 !!!!!! Monate auf Bewährung oder 7 Monate Haft. Der Anwalt sprach von einem politischen Urteil. Allerdings habe ich nie erfahren, wer mich genau angezeigt hat.

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  2. Pérégrinateur schreibt:

    Die Revolution frisst ihre Kinder. Ein Freund von mir ruft jedesmal an, wenn er wieder einmal von einem solchen Fall erfahren hat und erzählt ihn mir dann lachend, in letzter Zeit öfter aus der Serie Trans- gegen TERF-Aktivist*:_Innen. Auch ich empfinde keinerlei Mitleid mit solchen Leuten, die aus dem „Opfer“-Status in den Opferstatus geraten. Meinetwegen kann das Ungeziefer ruhig das Ungeziefer auffressen.

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