Ein Kommentator bringt in Anlehnung an meine Siebenbürgen-Reise den Klassiker Fermor ins Gespräch. Darin durchwandert 1934 ein junger Engländer, noch keine 20 Jahre alt, entlang der großen Flüsse Rhein und Donau den halben Kontinent und beschreibt diese unglaubliche Reise ein halbes Jahrhundert später.
Schon vor fünf Jahren schrieb ein anderer Kommentator, daß er mit diesen Büchern Abschied von Europa genommen habe. Das war ein bewegender Satz, der meine eigene Lektüre beeinflußte. Da ein Großteil der Wanderschaft sich in Deutschland und vor allem in Ungarn und ungarischen Gebieten abspielte, konnte ich mich freilich auch auf den politischen und kulturellen Aspekt konzentrieren. Er hatte recht: wer wissen will, was Europa einmal war und welchen verlorenen Reichtum, den wir uns kaum noch vorstellen können, welche Vielfalt an Kultur, Tradition und Natur es noch vor wenigen Jahrzehnten besessen haben muß, der sollte zu Patrick Leigh Fermor greifen und seiner Trilogie – von der ich nur die ersten beiden Bände las – „A time of gifts“, „Between the Woods and the Water“ und „The broken Road“.
Mitten im tiefsten Winter, einer ad-hoc-Entscheidung folgend, und fast ohne Geld, setzt der junge „Taugenichts“ über den Kanal und stapft durch den Schnee „up the Rhine“. Im Gepäck nur das Überlebensnotwendige und dazu gehören einige Bücher. Auf den einsamen Strecken spricht er sich eine beeindruckende Liste an literarischen Klassikern vor, die er – man mag es kaum glauben – auswendig konnte. Schon hier sehen wir, welchen Verlust Europa seither erlitten hat, einen Verlust an Wissen, an klassischer Bildung.
Überall wird er freundlich empfangen, wird ihm geholfen. Es war eine Zeit, in der dem Fremden die Tür noch offen stand. Auch im Deutschland Hitlers und unabhängig von politischen Positionen – einem Durchreisenden wurde per Gesetz in vielen Städten freie Unterkunft und Verpflegung garantiert. Gierig saugt er die deutsche Sprache im trial and error-Verfahren auf – sie wird ihm allerorten von großem Nutzen sein. Am Bildrand erscheinen die roten Flaggen mit dem schwarzen Hakenkreuz, die Uniformen, doch scheinen sie den jungen Mann damals wenig beeindruckt zu haben. Hier und da macht er länger Station und manch hübsches Mädchen erregt seine Aufmerksamkeit – freilich schweigt der Gentleman oder aber es gab noch Nähe zwischen den Geschlechtern auch ohne Körper.
Überhaupt versucht der Autor neutral, reiner Beobachter zu bleiben und enthält sich politischer oder moralischer Wertungen. Gerade dadurch gelingen ihm immer wieder Aha-Effekte.
Als er ins ehemalige Habsburgerreich gelangt, speziell im ungarisch dominierten Teil, der gleich hinter Wien begann und über die Slowakei, dem heutigen Ungarn bis hinunter nach Transsylvanien, Serbien und Kroatien reichte, kann er freilich die Folgen des Trianon-Vertrages, der das ungarische Reich um zwei Drittel seines Territoriums beraubte, nicht übersehen. Es ist hochinteressant, die verschiedenen Mentalitäten im Vielvölkerstaat beschrieben zu sehen. Fermor versucht auch hier wertfrei zu bleiben und sich in die Befindlichkeiten der jeweiligen Menschen und Völker hineinzuversetzen, seien es nun Slowaken, Polen, Ungarn, Székler, Deutsche, Kroaten, Serben, Rumänen oder Zigeuner. Es gibt für diese Konflikte, die zum Teil jahrtausendealte Wurzeln haben, die auch heute noch schwären, keine Lösung mehr, nun, da die historischen Ungerechtigkeiten begangen worden sind.
Aus ungarischer Perspektive ist der zweite Band, der zudem mit noch mehr Furor geschrieben ist, von besonderem Interesse. Wer – nur als Nebensache – sich am Ungarischen versucht hat, der wird bei Fermors vergeblichen Versuchen, trotz seines Sprachtalents – er las in Arad etwa Wilhelm Busch und Thomas Mann –, nur herzhaft und erleichtert lachen können: „Magyar was bursting out in a cheerful dactylic rush“. Ich werde von nun an meinen Ungarischlehrern, die an mir verzweifeln und mich für beschränkt halten, Fermor vorlesen:
„Coming from a great distance and wholly unrelated to the Teutonic, Latin and Slave languages that fence it in, Hungarian has remained miraculously intact. Everything about the language is different, not only the words themselves, but the way they are formed, the syntax and grammar and above all the cast of mind that brought them into being. … It was no help, at first, to learn that Magyar, whose resonance is fast, incisive and distinct, is an agglutinative language – the word merely conjures up the sound of mumbling through a mouth full of toffee. It means that the words are never inflected as they are in Europe, and that changes of sense are conveyed by a concentration of syllables stuck on behind the first: all the vowel sounds imitate their leader, and the invariable ictus on the leading syllable sets up a kind of dactylic or anapaestic canter which, to a new ear, gives Magyar a wild and most unfamiliar ring”. (29)
Ich zitiere diese göttliche Passage auch aus einem anderen Grund. Fermor stellt an seine Leser ebenfalls allerhöchste sprachliche Ansprüche. Wir wissen, daß die englische Sprache enorm wortreich ist, aber ich kann mich kaum erinnern, jemals ein Buch gelesen zu haben, welches offenbar das gesamte Dictionary der englischen Sprache voll auszuschöpfen versucht. Das macht die Lektüre sehr anspruchsvoll und voraussetzungsreich, aber es bereichert das eigene Sprachvermögen ungemein und daß Fermor ein großartiger Stilist ist, ein Englisch zu schreiben versteht, das ebenfalls nahezu ausgestorben ist, darüber besteht kein Zweifel. Es ist ein ästhetischer Genuß, den man sich freilich durch Anstrengung erarbeiten muß – und selbst damit scheint er einer anderen, untergegangenen Welt zu entstammen, einer Welt, die jedem Konservativen das Herz bluten läßt.
Tatsächlich bewegt sich der junge Wanderer auffällig oft in diesen konservativen Kreisen, ohne das bäuerliche und proletarische Element zu meiden: er ist bei Adligen und Bürgerlichen zu Gast und zeigt uns melancholische Einblicke in eine Welt der Bildung und Kultur, als Menschen noch von vielsprachigen Bibliotheken umgeben waren, Steckenpferde wie Entomologie, Pferdezucht oder Weinanbau hatten, über die ganze Breite der literarischen und philosophischen Welt verfügten, durch und durch distinguiert und kultiviert waren und das auch in Ländern, die uns heute als vergleichsweise unkultiviert erscheinen.
Reichtum überall! Weitgehend verlorener Reichtum. Verloren an Nivellierung und Kommerz, an Industrie und Konsum …
Und so auch in der uns allen umgebenden Natur. Wenn man dem Wanderer Glauben schenkt, dann müssen Transdanubien, das Alföld, Transsylvanien, die Karpaten und Bessarabien noch in den 30er Jahren von Leben, Pflanzen und Tieren, Wild, Vögeln, Fischen, Insekten in unvorstellbaren Mengen belebt gewesen sein. Storchenschwärme begleiten ihn, Wolken aus Lerchen, Fische zum mit-der-Hand-greifen. Auch das ist Geschichte! Und unrettbar verloren. Unsere scheinbar intakten Naturreservate sind nur kümmerliche Abklatsche einstiger weltumspannender Normalität.
Konservativ ist, wen das mit Trauer erfüllt. Progressiv, wer das als zu bezahlenden Preis akzeptiert!
Es ist kein Zufall, daß Patrick Leigh Fermor den zweiten Band mit einem melancholischen Appendix beendet, in dem er – aufgrund eines modernen Staudammes – den Untergang unvergleichlicher natürlicher Schönheit in einem lament beschreibt: „Perhaps, with time and fading memories, people will forget the extent of their loss. Others have done as much, or worse; but surely nowhere has the destruction of historic association and natural beauty and wildlife been so great.“ (278)
Nicht vergessen, lautet ein Mantra der Linken! Richtig! Um nicht zu vergessen und um zu wissen, was zu erinnern Not tut, muß man Bücher wie diese lesen!
Quellen:
Patrick Leigh Fermor: A time of gifts. London 2013 (1977), 365 Seiten
Between the Woods and the Water. 2013 (1987), 280 Seiten
In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal an mein “Rumänisches Tagebuch” in vier Teilen erinnern
Neben Montaigne eignet sich auch Wittgenstein sehr gut für sophistisches Palaver in Propagandaabteilungen, aber was ist denn nun mit guter oder schlechter Kannibalenliteratur? Oder mit dem schwachen oder starken Denken von Napalmpiloten? Keine Angst, ich will Ihnen die Brötchen nicht wegnehmen, aber die Texte auf seidwalk sind deutlich besser als der pensionierte Pedell gleichen Namens im Kommentarbereich 😉
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Wenn Sie es brauchen, bitte sehr!
Pedell – erster Fehlversuch.
Mit einem literarischen Napalmpiloten kann ich nicht dienen, aber wie wäre es mit einem Dramatiker, der Spion war? – Christopher Marlowe. Mit einem solchen, der Säufer und misogyn war? – Dietrich Grabbe. Und mit einer Jahrhundertgröße, die im Dreieckshandel engagiert und an linken Schiebereien mit Staatspapieren beteiligt war? – Voltaire.
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Gute und schlechte Literatur, starkes und schwaches Denken, das meinen Sie ernst? Wer bestimmt das? In bestimmten Fragen neige ja auch ich gern zur Übertreibung, aber könnten Sie – ohne mit der Wimper zu zucken – ihrer Aufzählung tatsächlich auch die Bombardierung Dresdens hinzufügen? Wenn ja, dann wäre aus meiner Sicht Ihr letzter Satz im Text gar kein Aphorismus, sondern Propaganda. Und, mit Verlaub, womit haben Sie sich eigentlich zu Lebzeiten ihre Brötchen verdient?
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Der Sinn der letzten Frage geht mir nicht auf. Das spielt keine Rolle und noch lebe ich. Meine Lebensführung hat mit dem Wert meines Urteils über Literatur nichts zu tun.
Natürlich läßt sich trefflich darüber streiten, was gut und was schlecht ist, vor allen an den Übergängen. Das historische Gedächtnis hat in dieser Frage sehr oft recht, sofern man die ideologischen Vorgaben dabei im Auge behält. Man kann es trotzdem anzweifeln – aber ganz gleich, wie das Ergebnis ausschaut, mit den Taten und Untaten eines Autoren hat das meist wenig zu tun.
Albert Wass etwa gilt als Kriegsverbrecher – zu Unrecht, soweit ich das einschätzen kann – und hat trotzdem weltliterarische Romane hinterlassen. Die kannte aber bis vor 30 Jahren gar niemand, weil sie in Ungarn und in Rumänien auf dem Index standen – und trotzdem sind sie von weltliterarischem Rang. Viele Kritiker halten seine Bücher für literarisch wertlos – meist entstammen sie dem linken Milieu – und noch immer sind sie von weltliterarischem Rang. An diesem meinem Urteil würde ein historischer Nachweis, daß Wass tatsächlich an der Erschießung von Zivilisten beteiligt gewesen war oder ein dickes Buch über die literarische Wertlosigkeit oder ein medial durchgesetzter „Konsens“ überhaupt nichts ändern.
Wenn Bomber Harris den größten Roman des 20. Jahrhunderts geschrieben hätte, dann wäre das anzuerkennen, denn wir bewegen uns hier nicht im juristischen oder moralischen Bereich, sondern im künstlerischen. Goebbels Romane hätten großartige Kunstwerke sein können – was spricht dagegen? – sind sie aber nicht. Man muß, um ein genialer Künstler zu sein, kein makelloser Mensch sein und ein guter Mensch zu sein, garantiert kein schöpferisches Vermögen. So kann ich einen Menschen als Menschen verachten und als Autor vergöttern.
Man sollte die Untaten nicht vergessen, aber auch nicht in ihnen schwelgen – man sollte das kulturelle Erbe erinnern, um das Neue überhaupt begreifen und daran messen. um sich am Besten orientieren zu können.
romanfidel: In meinem ersten Kommentar fragte ich lediglich, ob Ihnen die nachrichtendienstliche Tätigkeit Fermors bekannt ist, aber Ihre Argumentation, was gute oder schlechte Literatur sei oder eben nicht, scheint sich nicht nach den Kriterien ideologiefreier Literaturkritik zu richten und geht gleich mit Kinderschändern und Kannibalen in die Vollen. Im Falle der fremdsprachigen Autoren Fermor oder Ehrenburg ließe ich sogar mit mir reden. Aber warum sollte ein Roman von Bomber Harris oder von Kannibalen überhaupt als Literatur anerkannt werden? Gibt es denn Kannibalenliteratur? Nochmal, waren Sie vielleicht in einer Propagandaabteilung tätig 😉
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Sie geben hier ein vorzügliches Beispiel des Maßstäbekollapses. Alles wird nur auf einer Achse gemessen, jener dann natürlich der sogenannten Moral. Aber kann man welche Sache auch immer recht erfassen, wenn man sie nur eindimensional betrachtet?
Kann nicht ein notorischer Schürzenjäger zugleich ein guter Vater sein? Oder ein raffgieriger Monopolist zugleich ein großer Philanthrop? Waren die 19 jungen arabischen Männer in den Flugzeugen im Jahre 2011 denn nicht auch sehr opferbereit? War nicht Hitler ein wahrer Hundefreund? Ist nicht Shakespeares Richard III ein höchst intelligenter Ränkespinner?
Zitat aus Montaignes Essais, III 10, einem Werk, das in und nach vom Autor durchlebter Bürgerkriegszeit entstand:
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[…]
Je ne sçay pas m’engager si profondement, et si entier. Quand ma volonté me donne à un party, ce n’est pas d’une si violente obligation, que mon entendement s’en infecte. Aux presens brouillis de cet estat, mon interest ne m’a faict mescognoistre, ny les qualitez louables en noz adversaires, ny celles qui sont reprochables en ceux que j’ay suivy. Ils adorent tout ce qui est de leur costé : moy je n’excuse pas seulement la plus part des choses, qui sont du mien. Un bon ouvrage, ne perd pas ses graces, pour plaider contre moy. Hors le noeud du debat, je me suis maintenu en equanimité, et pure indifference. Neque extra necessitates belli, præcipuum odium gero. Dequoy je me gratifie, d’autant que je voy communément faillir au contraire. Ceux qui allongent leur cholere, et leur haine au delà des affaires, comme faict la plus part, montrent qu’elle leur part d’ailleurs, et de cause particuliere : Tout ainsi comme, à qui estant guary de son ulcere, la fiebvre demeure encore, montre qu’elle avoit un autre principe plus caché. C’est qu’ils n’en ont point à la cause, en commun : et entant qu’elle blesse l’interest de touts, et de l’estat : Mais luy en veulent, seulement en ce, qu’elle leur masche en privé. Voyla pourquoy, ils s’en picquent de passion particuliere, et au delà de la justice, et de la raison publique. Non tam omnia universi, quam ea, quæ ad quemque pertinent, singuli carpebant.
Je veux que l’advantage soit pour nous : mais je ne forcene point, s’il ne l’est. Je me prens fermement au plus sain des partis. Mais je n’affecte pas qu’on me remarque specialement, ennemy des autres, et outre la raison generalle. J’accuse merveilleusement cette vitieuse forme d’opiner : Il est de la Ligue : car il admire la grace de Monsieur de Guyse : L’activeté du Roy de Navarre l’estonne : il est Huguenot. Il trouve cecy à dire aux moeurs du Roy : il est seditieux en son coeur. Et ne conceday pas au magistrat mesme, qu’il eust raison, de condamner un livre, pour avoir logé entre les meilleurs poëtes de ce siecle, un heretique. N’oserions nous dire d’un voleur, qu’il a belle greve ? Faut-il, si elle est putain, qu’elle soit aussi punaise ? Aux siecles plus sages, revoqua-on le superbe tiltre de Capitolinus, qu’on avoit auparavant donné à Marcus Manlius, comme conservateur de la religion et liberté publique ? Estouffa-on la memoire de sa liberalité, et de ses faicts d’armes, et recompenses militaires ottroyées à sa vertu, par ce qu’il affecta depuis la Royauté, au prejudice des loix de son pays ? S’ils ont prins en haine un Advocat, l’endemain il leur devient ineloquent. J’ay touché ailleurs le zele, qui poulsa des gens de bien à semblables fautes. Pour moy, je sçay bien dire : Il faict meschamment cela, et vertueusement cecy.
[…]
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[…]
Ich meinesteils kann mich nicht so tief und fest binden. Wenn mich mein Wille zu einer Partei stellt, so nicht mit so gewaltsamer Verpflichtung, dass noch mein Verstand davon angesteckt wird. In den gegenwärtigen Wirren dieses Staates hat mich mein Interesse weder die schätzenswerten Eigenschaften bei unseren Feinden verkennen lassen noch jene am meisten tadelswerten bei jenen, denen ich folge. Man verehrt alles, was auf der eigenen Seite steht; ich aber entschuldige nicht einmal den Großteil dessen, was auf der meinen geschieht. Ein gutes Werk verliert nicht seine Anmut, weil es gegen mich plädiert. Außerhalb des Knotens des Streites habe ich mich in Gleichmut und reiner Indifferenz gehalten. Neque extra necessitates belli, præcipuum odium gero. [Abgesehen von den Notwendigkeiten des Krieges hege ich auch keinen großen Hass.] Und das halte ich mir zugute, umso mehr als ich gewöhnlich ins Gegenteil davon fallen sehe. Die ihre Wut und ihren Hass über die Geschäfte hinaus verlängern, wie es die meisten tun, zeigen, dass sie bei ihnen von woanders her und aus privaten Gründen rührt; so wie bei einem, dem das Geschwür geheilt wurde und der dennoch weiter fiebrig bleibt, dies zeigt, dass es eine andere und verstecktere Ursache hatte. Denn für gewöhnlich geht es ihnen keineswegs um die Sache, insofern sie nämlich den Nutzen aller und des Staates verletzt, sondern sie sind böse darauf, weil es sie persönlich zwickt. Deshalb auch werden sie von persönlicher Leidenschaft angestachelt, die sie über das Billige und den öffentlichen Nutzen hinaustreibt. Non tam omnia universi, quam ea, quæ ad quemque pertinent, singuli carpebant. [Nicht so sehr das Ganze des Universums, sondern das, was jedem Eigen ist, ergreift besonders.]
Ich will, dass der Vorteil auf unserer Seite sei, fange aber nicht an zu toben, wenn er es nicht ist. Ich halte micht fest zur gesünderen Partei, habe aber nicht den Ehrgeiz, über den allgemeinen Nutzen hinaus als besonderer Feind der anderen gelten zu wollen. Besonders klage ich diese lästerliche Form des Meinens an:
– Er hält zur Liga, weil er die Anmut des Herren von Guise bewundert.
– Das Tun des Königs von Navarra beeindruckt ihn, er ist also Hugenotte.
– Er findet etwas auszusetzen an den Sitten des Königs, er ist also im Herzen aufsässig.
Und nicht einmal dem Richter würde ich zubilligen, dass er mit Recht ein Buch verurteilt, weil er einen der besten Poeten dieses Jahrhundert unter die Häretiker gestellt hat. Sollten wir es nicht wagen, über einen Dieb zu sagen, dass er einen schönen Schenkel hat? Muss eine, die eine Nutte ist, deshalb schon eine Schlampe sein? Hat man denn in weiseren Jahhunderten Marcus Manlius, dem Verteidiger der Religion und der staatlichen Freiheit, den erhabenen Beinamen Capitolinus entzogen? Hat man die Erinnerung an seine Freigiebigkeit und seine Waffentaten und die wegen seiner Tugenden erteilten militärischen Belohnungen getilgt, weil er danach wider die Gesetze seines Landes nach dem Königtum strebte? Heute fangen sie an, einen Anwalt zu hassen, morgen schon finden sie, es fehle ihm an Beredsamkeit. Anderswo schon habe ich den Eifer behandelt, der gute Menschen in solche Fehler trieb. Ich selbst kann dagegen wohl sagen: Jenes andere macht er bösartig und dies eine tugendhaft.
[…]
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Grotesk, Ihre Begeisterung für die englische Sprache. Mir konnte Stefan Zweig die Verluste des Konservativen sehr schön in feinem Deutsch näherbringen 😉
Wissen Sie eigentlich von Fermors Tätigkeit für den britischen Kriegsgeheimdienst SOE, subversive Kriegsführung und direkt dem Verbrecher Churchill unterstellt?
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Das mag ja sein, aber damit ist das Thema doch nicht beendet.
Die englische Sprache ist in ihrer ganzen Fülle ein unglaublich reicher und schöner Schatz, den freilich die wenigsten überhaupt noch als solchen wahrnehmen können. Das gilt vermutlich für alle Sprachen auf verschiedene Art und Weise. Heute wurde also die englische Sprache gepriesen, morgen ist es die ungarische oder dänische und über allem natürlich – weil es die Muttersprache ist – die deutsche.
Ob Fermor X oder Y war ist mir komplett Schnuppe. Er hat großartige Bücher geschrieben, egal ob er Geheimdienstler, Nazi, Kinderschänder oder Kannibale war. Es gibt nur gute und schlechte Literatur, starkes und schwaches Denken, alles andere ist zweitrangig.
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Das klingt recht interessant. Mal schauen, ob es eine Edition als elektronisches Buch gibt, denn wortschatzreiches Englisch bewältige ich nur mit den einfacheren Wörterbuch-Zugriffsmethoden dieser Medien. (Vielleicht ist dann mitten in diesem Winter plötzlich mal Schluss?)
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