Sándor Márai: Das Kräuterbuch XLII
Über das Lesen
Mit Kraft lesen. Mitunter mit mehr Kraft lesen, als in die Schrift, die du liest, Kraft hineingelegt wurde. Mit Andacht, mit Leidenschaft, mit Aufmerksamkeit und unerbittlich lesen.
Der Autor mag schwatzhaft sein; aber du lies einsilbig. Jedes Wort, eines nach dem anderen, im Buch nach vorn und nach hinten lauschend, die Spuren sehend, die ins Dickicht führen, auf die geheimen Zeichen hören, die der Autor des Buches wahrzunehmen vielleicht versäumt hat, während er ins Werkgestrüpp vorauseilte.
Nie geringschätzig lesen, so nebenher, wie etwa jemand, der zu einem göttlichen Festschmaus eingeladen wurde und dann nur mit der Gabelspitze im Essen herumstochert. Elegant lesen, großherzig. So lesen, als läsest du im Todestrakt das letzte Buch, welches dir der Kerkermeister noch in die Zelle gegeben hat.
Lesen auf Leben und Tod, denn das ist das größte menschliche Geschenk. Denke daran, daß nur der Mensch liest.