Freiheit, Liebe!
Wenn mir nur beides bliebe.
Der Liebe gebe ich
Das Leben,
Der Freiheit gebe ich
Das Lieben.
Diese ikonischen Zeilen stammen von Ungarns Nationalschriftsteller Petőfi. Eine feine versteckte und verwirrende Dialektik zeichnet ihren Gedankengang aus. Schwer zu übersetzen ist ihr Klang. Oben, das ist mein Versuch.
Wortwörtlich steht dort Folgendes:
Szabadság, szerelem!
Freiheit, Liebe!
E kettő kell nekem.
Diese beiden brauche ich.
Szerelmemért föláldozom
Für die Liebe opfere ich
Az életet,
Das Leben,
Szabadságért föláldozom
Für die Freiheit opfere ich
Szerelmemet.
Meine Liebe.
Andere Übersetzungen gehen etwa so:
Die Freiheit und die Liebe
Sind meine beiden Triebe.
Für meine Liebe opfre ich
Den letzten Hauch;
Für meine Freiheit opfre ich
Die Liebe auch. (Christian Kraft)
Freiheit, Liebe!
Die beiden brauche ich.
Für meine Liebe opfere ich
Das Leben,
Für die Freiheit opfere ich
Meine Liebe. (Paul Hefty)
Freiheit und Liebe
sind all mein Streben!
Für meine Liebe
könnt‘ ich das Leben,
doch für die Freiheit
die Liebe selbst geben. (unbekannt)
Warum halte ich meine Version für die beste? Nun, ihr Nachteil sind inhaltliche Konzessionen etwa, wenn sie aus „meine Liebe“ (Akk.) „die Liebe“ macht oder auch die zweite Zeile etwas freier faßt. Ihr Vorteil aber ist der Klang, ist die Ästhetik. Der Effekt wird vor allem durch die Alliterationen erreicht, die sich aus „e“- und „i“-Folgen und „ei“-Verbindungen ergeben. Sieht man von den Artikeln ab, dann findet man nur diese Vokale, just jene, die auch im Ungarischen sehr dominant sind. Zudem bilden sich schöne und natürliche Reime. Aus diesem Grund wurde etwa in der letzten Zeile die Liebe zu „das Lieben“ verwandelt.
Sicher, andere Leser mögen das anders sehen, andere Übersetzer das anders lösen. DIE Lösung wird es nicht geben.
siehe auch:
Petőfis Fluch
Petőfi und die permanente Revolution
Der Heimatbegriff der Magyaren
Nationallied – Petőfi
Nietzsches Ungarn, Nietzsches Petőfi
u.a.
Ich halte alle drei Lösungen für nicht optimal. Sie kommen mir wie typische Schreibtischlösungen von blutarmen Philologen vor. Szerelmem meint in 999 von 1000 Fällen „meine Geliebte“. Also: „Für meine Geliebte opfere ich das Leben, für die Freiheit opfere ich meine Geliebte. (Er verlässt sie) Einfach mehr ung. Schlager anhören! Petöfi war, wie das Leben auch ist, konkret.
Seidwalk: https://wikiszotar.hu/ertelmezo-szotar/Szerelem
https://de.pons.com/%C3%BCbersetzung/ungarisch-deutsch/szerelem
https://mymemory.translated.net/de/Ungarisch/Deutsch/szerelmem
https://de.langenscheidt.com/ungarisch-deutsch/szeret%C5%91
https://hu.bab.la/sz%C3%B3t%C3%A1r/magyar-angol/szerelmem
https://dictzone.com/deutsch-ungarisch-worterbuch/szerelem
https://dictzone.com/deutsch-ungarisch-worterbuch/geliebte
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Otto: Zählen Sie mal, wann in den WB 3 und 5 mit szerelmem in den Beispielsätzen das Gefühl Liebe gemeint ist, oder wann damit eine Person gemeint ist. Bei den auf der ersten Seite im HU/Eng WB gezeigten Beispielsätzen zähle ich 3 x die Bedeutung „Liebe/Gefühl“ und 15 x die Bedeutung „meine (Ge)Liebte/mein Schatz“ für eine Person. Dagegen wird „meine Liebe“ im Deutschen sehr selten auf eine Person übertragen, obwohl es möglich ist
Seidwalk: Aber Sie müssen doch sehen, daß „die Liebe“ viel bedeutungsschwerer und schillernder ist als die konkrete Geliebte, die ja ebenfalls in der „Liebe“ enthalten ist. Hätte er Júlia Szendrey damit gemeint, der er ja viele Liebesgedichte gewidmet hat, dann wäre das Gedicht nahezu unbedeutend, denn es verliert seinen allgemeingültigen Charakter und seine verborgene Dialektik. Deswegen hat auch keiner der Übersetzer an die Geliebte gedacht, übrigens auch nicht im Englischen https://www.magyarulbabelben.net/works/hu/Pet%C5%91fi_S%C3%A1ndor-1823/Szabads%C3%A1g%2C_szerelem/en/65517-Freedom_and_love
Auch habe ich diese Zeilen mit drei Muttersprachlern besprochen, darunter ein Übersetzer Rilkes, und niemand kam auch nur auf die Idee, an „die Geliebte“ zu denken.
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Leider unterscheidet das Deutsche szeretet und szerelem nicht. Er, Petöfi, opfert imho nicht das Gefühl schlechthin, sondern konkret das Gefühl und die damit einhergehenden Verrichtungen für eine momentan konkrete Person. An sich will er die Liebe nicht aufgeben. Der Freiheitskämpfer in der Zeit ist jemand, der der christlichen Ehe nicht entsagt, sondern nur absagt, um „im Dienste der Freiheit (der Nation)“ ein ungebundeneres, früher sagte man „Lotterleben“, führen zu können, oder ein „liberaleres“ Leben in Sachen Geschlechtlichkeit. Es steckt im „Opfer der Liebe“ dieser Freiheitskämpfer doch nicht der monastische Gedanke der Askese bezüglich der Pudenda. Wir sollten nicht vergessen, dass die Stossrichtung der Romantik gegen das „Ancien Regime“ in erster Linie die „Zucht und Ordnung“, – deswegen auch die alten Begriffe Unzucht und Nozucht – wobei mit Zucht zuvörderst und vor allem die Frage gemeint war, wer mit wem legal darf. Das alles hat mit szeretet nichts zu tun aber sehr viel mit szerelem. Petöfi’s Auffassung scheint mir in his rebus zu sein: Wir können mal pimpern, Schätzchen, aber mehr ist nicht. Dein Versorger will ich nicht sein! Aus diesen Gründen empfinde ich „Geliebte“ zwar nicht schön als Übersetzung für szerelmem hoc loco, aber besser als „meine Liebe“, weil die Assoziation, die „meine Liebe“ im Deutschen auslöst, zwar den Bezug zu der Bedeutung „mein Schatz/Person“ erlaubt, aber nicht primär hergibt. Suchen Sie mit einer Maschine einfach 1000 dt. Sätze mit der Formel „meine Liebe“, sortieren und zählen Sie die Bedeutungen. Freiheit und Liebe sind, wie auch die Konjunktion der beiden Worte, seit der Romantik Kampfbegriffe im Sinne des „Fortschrittes“. Metternich bekam sein Amt, nachdem er in Paris tätlich bewiesen hat, wie sehr ihm Zucht und Ordnung am Herzen lag. Das Symbol der Wiener Loge ist das Stiefmütterchen.
Das Gedicht ist übrigens kein Liebesgedicht. Es gibt aber über eine persönliche Wertordnung Auskunft. Die Freiheit wird der Liebe übergeordnet. Dieser Hirnschiss, in der Romantik ausgesäht, bewegt dann 100 Jahre später die Herzen, um mit Enthusiasmus, gegen den Feind, der die nationale „Freiheit“ bedroht, in den Krieg zu ziehen
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