Sándor Márai: Das Kräuterbuch XXXVIII
Über die Heimat[1] und den Staat
Können wir jemanden zur Heimatliebe erziehen? Das ist, als würde man sagen: „Mit Geißel und Stachelpeitsche zwinge ich dich, dich selbst zu lieben.“
Die Heimat, das sind nicht nur die Erde und die Berge[2], die toten Helden, die Muttersprache, die Gebeine unserer Ahnen auf den Friedhöfen, Brot und Land[3], nein. Die Heimat bist du, mit Haut und Haar, in deiner ´körperlichen und seelischen Beschaffenheit; sie gebar, sie begräbt, du lebst sie und drückst sie aus in allen elenden, großartigen, flammenden und langweiligen Augenblicken, deren Gesamtheit dein Leben ausmachen.
Und dein Leben ist im Leben deiner Heimat auch ein Augenblick. Heimatliebe kann ich dir nicht beibringen: verrückt ist, wer sich selbst verleugnet. In historischem Maßstab ist deine Heimat eine vergrößerte und zeitlose Persönlichkeit. Die Heimat ist Schicksal, auch persönlich. Es ist nicht bedeutsam, ob du sie „liebst“ oder nicht. Ihr seid eins.
Aber ich sehe und erlebe, daß du – mündlich, feierlich, schriftlich und auf den Podien – eher deine Liebe zum Staat bezeugst und bekennst. Von der Heimat kann man nämlich nichts erwarten. Die Heimat vergibt keine Medaillen, keine Stellungen, kein Fettbrot[4]. Die Heimat ist einfach da.
Aber der Staat gibt dir feine Pfründe[5], putzige Gehänge für deinen Gehrock, prima Fleischknochen[6], wenn du ihm eifrig dienst, wenn du ihn beweihräucherst, wenn du – wie ein Mann, mit geschwellter Brust – vor der Welt gestehst, daß du den Staat liebst, und zwar auch dann, wenn sie dich rädern.
Gewöhnlich wird man dafür nicht gerädert. Exakt deshalb ist jede Staatsliebe verdächtig. Wer den Staat liebt, liebt ein Interesse. Wer die Heimat liebt, liebt ein Schicksal. Denke daran, wenn du auf den Podien donnerst und dir an die Brust schlägst.
Fettbrot hab ich noch nie gehört, es ist kein deutsches Wort. Es hat ganze 11500 Googelungen und laut DWDS wird es erst in den 90-iger Jahren des vorigen Jahrtausend gebildet – vermutlich durch eine automatische Übersetzung, wobei ein Mensch nachgeholfen haben muss, denn der Computer allein hätte aus zsíros kenyer grammatisch adaequat gegebenenfalls fettiges Brot gemacht. Die Frage ist für mich, warum so ein Dichter, wie Sie sind, nicht die einhunderprozentig abdeckende, das Gemeinte bezeichnende deutsche Wort Schmalzstulle wählt.
LikeLike
Übersetzen ist ein Ringen um Stimmigkeit, immer im Spannungsraum von Akkuratesse und Ästhetik, beiden Sprachen so weit als möglich gerecht werdend. Es wird dabei immer Verluste geben und stets auch Situationen, die nicht befriedigend zu lösen sind – bei Márai ist das täglich Brot.
Hinzu kommt, daß das hier kein gedrucktes Buch ist: das sind Vorschläge, Versuche und Annäherungen. Insofern bin ich für jede Kritik dankbar, auch die Ihre.
Durch die Fußnote habe ich ja bereits mein Unwohlsein mit dem Wort signalisiert – ein anderer Leser fand das Wort hingegen großartig. Die „Schmalzstulle“ kam mir deswegen nicht in den den Sinn, weil das Wort „Stulle“ in den Breiten, in denen ich aufgewachsen bin, ein Unwort ist, fast ein Insult. Im Sinne des obigen Heimatverständnisses ist mir die Nutzung des Wortes kaum möglich, es beinhaltet in unseren Ohren nicht nur das Preußische (als Negativum) – und zwar nicht das Bismarcks oder das des alten Fritz‘, dagegen das der abgehobenen und sich feiner dünkenden Politikerkaste und eines gewissen Menschenschlages -, sondern auch eine habituelle Überheblichkeit, die der Sachse traditionell dem Berliner zugeschrieben hat.
Hätte ich ein meinem Sprachgefühl adäquates Wort gewählt, dann wäre es die „Speckfettbemme“ gewesen – aber die wollte ich nun nicht allen zumuten und mußte auch annehmen, daß der Begriff nicht allen geläufig ist. Herausgekommen ist für den Moment das „Fettbrot“, ohne daß ich damit glücklich wäre.
Da Sie in Ungarn leben, kennen sie sicherlich das zsíros kenyer, das es ja auch in verschiedenen Varianten gibt und sich vom deutschen Speckfett- oder Schmalzbrot – Ha! Da ist ja das gesuchte Wort! – unterscheidet. Ich werde später also Schmalzbrot daraus machen ….
LikeLike
Schmalzbrot ist auch im Dialektraum, in dem ich aufgewachsen bin, erträglich. Wenn Sie den zweiten Vokal im Wort noch passend diphthongisieren, dann passt das perfekt.
LikeLike