Hitler lebt

Ja, Hitler lebt tatsächlich noch und zwar massenweise, vermutlich vielmillionenfach in den Köpfen  arabischer Männer.

Auf diesen vergessenen Tatbestand hatte etwas verdruckst und vermutlich die Macht der politischen Korrektheit fürchtend, der Spiegel-Journalist Christian Stöcker in einem Gespräch mit Thilo Jung aufmerksam gemacht.

Dort berichtet er von seinen vergeblichen Mühen, die arabische Sprache zu erlernen, aber immerhin sei es ihm nach zwei Jahren gelungen, in Kairo Gespräche mit Taxifahrern zu führen. Er lernt dort, daß Kairoer Taxifahrer ein besonderes Interesse für Hitler zeigen, zumindest wohl immer dann, wenn sie einen deutschen Akzent erkennen. „Da sind die sehr interessiert“, führt er fort und winkt ab, „nicht nur in Ägypten, das ist auch in Tunesien so“ … und das soll vermutlich bedeuten: in ganz Nordafrika. „Die“ meint dann wohl auch nicht mehr „die Taxifahrer“, sondern wohl „die Ägypter“ oder „die Araber“, aber das kann man nur erahnen und sich erschließen, denn es scheint kein logisches Argument zu geben, ausgerechnet Kairoer Taxifahrern ein gewisses Faible für Hitler zuzuschreiben. (4:00ff.)

Jung fragt tatsächlich naiv – und die Naivität ist nicht gespielt, wie mir scheint: „wegen ihrem Diktator zu Hause?“ Man merkt Stöcker das Unbehagen an, nennt dann aber doch den wahrscheinlicheren Grund: „auch wegen Israel“, sagt er.

Das ist natürlich untertrieben. Es müßte heißen: Vor allem wegen Israel. In den Augen Kairoer Taxifahrer – wenn wir bei dieser Chiffre bleiben wollen – ist der Holocaust Hitlers größtes historisches Verdienst. Der zweite Grund der arabischen Grundfaszination ist die Härte: Man achtet Hitler dort als Mann, als bewundernswürdigen Diktator, als einen, der Prinzipien hatte und diese eiskalt durchsetzte ohne größere humanitaristische Skrupel.

Als ich vor ein paar Jahren intensive Gespräche mit arabischen Männern führen durfte, schlug auch mir diese Begeisterung hin und wieder entgegen. Hitler war – neben Merkel – so ziemlich der einzige Deutsche, den man dem Namen nach kannte; beide wurden mit einem gewissen Leuchten in den Augen erwähnt. Die Begeisterung war vollkommen naiv und basierte auf wenig historischem Wissen, das war ein apriorischer Konsens, den man in Syrien – egal, ob im Norden oder im Süden – mit der Muttermilch aufsog. Hitler groß, Hitler starker Mann, wegen Yahud. Der Tatbestand ist mittlerweile so vielfach beschrieben worden, daß man ihn als allgemein geltend sicher annehmen darf.

Ich will das nicht dramatisieren. Das sind keine potentiellen KZ-Aufseher, das waren Großteils liebe Jungs. Während sie das sagten, lächelten sie verschmitzt, so als erzählte man sich eine schlüpfrige Zote. Vermutlich ist das nahöstliche Kultur, Humor. Aber eben auch ein bißchen Humus. Man liest in diesen Kreisen jedenfalls nicht Adorno.

Dieses Phantom dürfte nun in hunderttausenden, wenn nicht Millionen Köpfen in Deutschland spuken – numerisch dürften sie die Rechtsradikalen oder die tatsächlich letzten deutschen Nazis um den Faktor 100 oder mehr übersteigen.

Niemand wird freilich erwarten, daß sich Christian Stöcker – obwohl er offensichtlich einiges dazu zu sagen hätte – dieses Themas annehmen wird. Stattdessen deckt er eifrig mit den branchenüblichen Klischees und Volten Beziehungen zwischen „Corona-Leugnern“ und „deutschen Nazis“ auf. Kein ganz uninteressantes Thema, wie mir scheint, aber – in Relation – ein bißchen out of proportion. Vor allem, wenn man daran denkt, daß dies gerade ein Lieblingsthema der gesamten Pressephalanx ist.

2 Gedanken zu “Hitler lebt

  1. Sebastian Wohlfarth schreibt:

    Ist mir im Kairo Anfang der 90er zu tiefsten Mubarak-Zeiten auch aufgefallen. Ebenso wie Ende der 80er manche Leserbriefe im „Sputnik“ der Perestroika-Jahre (als er bei uns noch nicht verboten war). Stalins Glorifizierung als harter Kerl und entschlossener Führer, der erledigte, was nun mal zu erledigen war. Stimmen vorrangig aus Lateinamerika, aber auch aus Asien, soweit ich mich erinnere. Nicht viel anders als das, was ägyptische Taxifahrer von Hitler denken. Die Dritte Welt – oder wie immer man jetzt sagt – hat halt ihren eigenen Blick auf Dschingis Khan-Typen. Die Dritte Welt, die Einzug in Europa hält.

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