Das neue Denken der alten Rechten

Gegneranalyse II

Die inhaltliche Auseinandersetzung mit der „Neuen Rechten“ leidet sehr oft an der Inhaltslosigkeit. Viele haben eine feste Meinung, aber nur wenige haben die Arbeiten verstehend gelesen und gerade im journalistischen Bereich scheint man sich auf die Wertungen und Urteile weniger und selten unparteiischer Rechtsextremismus-Forscher zu verlassen.

Allein schon der Versuch, sich ernsthaft mit der konservativen Denklinie zu beschäftigen, ist daher lobenswert. In einem Sammelband des „Zentrums Liberale Moderne“ wurde dies nun anhand von 16 Vordenkern der „Antiliberalen Revolte“ versucht.

Das Zentrum ist laut Selbstauskunft eine „unabhängige Denkwerkstatt“, gefördert vom „Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend“, dem Bundesprogramm „Demokratie leben!“ und der „Bundeszentrale für politische Bildung“[1]. Die Gelder scheinen üppig genug zu fließen, um das 170-Seiten-Werk, recht ansprechend gemacht, kostenlos an Interessenten zu verschicken (Stand Februar 2020).

In 16 kürzeren Essays, in denen man großen Wert auf Eingängigkeit und Verständlichkeit legte, werden in dieser Reihenfolge vorgestellt: Ernst Jünger, Carl Schmitt, Martin Heidegger, Oswald Spengler, Arthur Moeller van den Bruck, Ernst Niekisch, antiliberale Feministinnen, Arnold Gehlen, Armin Mohler, Alain de Benoist, Alexander Dugin, Konrad Lorenz, Richard Wagner, Sayyid Qutb, Botho Strauß und Thomas Mann mit seinen „Unpolitischen Betrachtungen“.

Unter den Autoren sind zum einen bekannte Rechtsextremismus-Forscher wie Volker Weiß oder Hajo Funke, zum anderen aber auch angesehene Denker wie Jens Hacke, Ernst Ulrich von Weizsäcker oder Thomas Assheuer.

Das intellektuelle Niveau der Beiträge differiert daher erheblich. Fast alle aber leiden unter einem grundlegenden Dilemma: es soll eine fürchterliche Gefahr, die von diesem Denken ausgehe, nachgewiesen werden, bei näherer Beschäftigung aber – vom Islamisten Qutb abgesehen – wird deutlich, daß wir es mit ernsthaften und schillernden Denkentwürfen zu tun haben, die sich zum einen deutlich widersprechen, also kaum unter eine Kategorie zu subsumieren sind, die zum anderen aber auch voller intrinsischer Spannungen stecken. Die meisten Autoren lösen das Dilemma scheinbar auf, indem sie mit ganzen Listen an zuschreibenden pejorativen Adjektiven einen Angst- und Schreckeffekt erzeugen wollen[2], in der Sache aber die Originalität und denkerische Bedeutung der zu Verurteilenden eingestehen müssen. In einigen Fällen müssen selbst die Autoren zugeben, daß der besprochene Denker heute auch in der Neuen Rechten keine Rolle mehr spielt.

Wer sich also Anregungen außerhalb des gewöhnlichen Denkspektrums sucht und sich nicht durch Etiketten erschrecken läßt, der findet hier eine Fundgrube vor.

Fast alle Arbeiten, das muß man allerdings erwähnen, pflegen einen gewissen pennälerhaften Ton, der mitunter an DDR-Arbeiten erinnert, die den Niedergang der bürgerlichen Philosophie nachzuweisen hatten: auch dort entfaltete man das Gesamtbild, durchaus anerkennend, um zum Abschluß zum von vornherein feststehenden Schluß zu kommen, daß das alles reaktionär, überlebt und schon längst von der Geschichte widerlegt sei. Auch in ihrer Methodik wirken viele Texte wie Schüler-Aufsätze.

Nahezu ungenießbar ist Michael Brumliks „Heidegger“, dessen Heidegger-Kenntnisse sich offenbar auf ein, zwei Kompletterledigungen á la Faye beschränken, der zudem meint, den bedeutendsten Denker des 20. Jahrhunderts aus drei Sätzen heraus erledigen zu können, zudem voller Fehler und seltsamer Dopplungen steckt und dessen peinliches Fazit lautet: „Am Ende jeder Berufung auf Heidegger steht auch bei den heutigen Rechtsintellektuellen ein mystisches Raunen, das keinerlei Anschlußmöglichkeit an irgendeine Form realer Politik mehr aufweist.“

Überhaupt wird die Gefährlichkeit des Denkens meist aus dem Verweis abgleitet, daß man in Schnellroda oder bei den Identitären diese Autoren liest und die seien schließlich vom Verfassungsschutz usw. Keiner der Autoren erachtet es für notwendig, die Vorteile der „liberalen Moderne“ zu begründen – sie wird apriorisch gesetzt. Auch die Frage, warum das Neue dem Alten per se vorzuziehen sei, geht man nicht nach.

Ganz schwach ist auch der Arnold Gehlen einer Ulrike Baureithel, der in klar diffamatorischer Absicht geschrieben wurde, fast nur aus Wertungen besteht und natürlich auch mit den „Neuen Rechten“ endet, um die es ihr eigentlich geht. Und daß Hajo Funke, von Beruf Aufdecker, nur noch vernutzend lesen kann, ist bekannt – sein Mohler-Porträt ist vor allem als Selbstentlarvung lesenswert. Ähnlich ergeht es Alexander Dugin.

Der Rest ist wirklich informativ. Besonders die Porträts Ernst Niekischs und Alain de Benoits zeigen hochgradig schillernde Figuren und machen auf eine nähere Beschäftigung neugierig.

Sehr gut gelungen scheint mir Jens Hackes Carl-Schmitt-Porträt, da es in eine komplexe Materie in ruhigen sachkundigen Tönen einführt.

Aber alles wird von Thomas Assheuers herausragendem Beitrag über Botho Strauß überstrahlt – dieser Artikel allein lohnt den Erwerb des Buches. Kenntnisreich und klar fühlt und denkt sich Assheuer in Werk und Mensch ein, zeigt dessen innere Spannung, seine Entwicklung und erhellt dies auch jenen Lesern, denen Strauß bisher kryptisch vorkam. Hier spricht sich trotz weltanschaulicher Differenzen eine wahre Liebe und Achtung aus. Wen kümmert es, daß er Strauß zum Schluß als eine tragische Figur entwirft, die ihr ursächliches Anliegen – die Freiheit – verraten habe. Alles, was Assheuer zuvor schreibt, ist ein geheimer Aufruf an den wachen Geist, Strauß zu lesen.

Und wer sich von den linguistischen Tricks nicht täuschen läßt, der liest diesen Aufruf auch aus den meisten anderen Porträts heraus. Es wird ein breites Kaleidoskop ganz diverser Denker entfaltet, die geistige Faszination einer ausgefächerten und vielfältigen Denkbewegung wird sichtbar, die sich erfrischend vom Gros der offiziösen Philosophie abhebt und deren Subsumtion unter einen Begriff – Neue Rechte – ob ihrer inneren Diversität und entgegen des im Buch verbreiteten Mantras vor den Augen des kritischen Lesers zusammenfällt.

Da man das Buch geschenkt bekommt, sollte man nicht zögern zuzugreifen und es auch als Gesprächsangebot anzunehmen.

[1] Zudem wurde es von der International Renaissance Foundation unterstützt.
[2] Drei Beispiele für derartige typisch realsozialistische Wortschlangen: „Der intellektuelle Einfluß … der Spenglerschen Motive, die, wie gezeigt, von zutiefst verankerten anti-modernen Reflexen und anti-demokratischen sowie antilberalen Ressentiments geprägt sind …“ – „Gehlens Handlungsbegriff ist aktivistisch, was ihn für rechte ‚Tat‘-Rhetorik instrumentalisierbar macht.“ – „Wie auch der klassische Faschismus, ist Dugins Neofaschismus nicht nur irrational, sondern oft geradezu antirational.“
PS: Das Buch gibt es nun „zum Vorzugspreis“ von 2 Euro oder als Kindle-Ausgabe (EUR 17,99). Die Beitrage sind Online auf der Webseite zu lesen.

siehe auch: Gegneranalyse I – Politik der Gabe

2 Gedanken zu “Das neue Denken der alten Rechten

  1. Heinz schreibt:

    Ich denke das Büchlein gibt es umsonst, aber nicht gratis. Mir fallen folgende Worte dazu ein:
    „Wieviel Ehrfurcht vor seinen Feinden hat schon ein vornehmer Mensch! – und eine solche Ehrfurcht ist schon eine Brücke zur Liebe… Er verlangt ja seinen Feind für sich, als seine Auszeichnung, er hält ja keinen andren Feind aus, als einen solchen, an dem nichts zu verachten und sehr viel zu ehren ist! Dagegen stelle man sich »den Feind« vor, wie ihn der Mensch des Ressentiment konzipiert – und hier gerade ist seine Tat, seine Schöpfung: er hat »den bösen Feind« konzipiert, »den Bösen«, und zwar als Grundbegriff, von dem aus er sich als Nachbild und Gegenstück nun auch noch einen »Guten« ausdenkt – sich selbst!…“
    Friedrich Nietzsche Genealogie der Moral
    Ihrem Text entnehme ich, es handelt sich bei dem Büchlein um ein Lehrstück über Ressentiments, ausgelebte und verdrängte, und um ehrliche Feindschaft. Ich werde es daher nicht bestellen, da es nicht zu vermeiden ist, dass sich hier Autoren mit Federn schmücken, die ihnen nicht gehören.

    Seidwalk: Assheuer ausgenommen – dessen Essay ist wirklich großartig.

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  2. Otto schreibt:

    Es ist interessant, daß im Türkischen die Worte für Feind und Denken dieselbe Wurzel benutzen: Düşman und Düşün. K. Schmitt sagte einmal sinngemäß: Politik machen, heißt den Feind bestimmen. Oberflächlich könnte man jetzt ergänzen: Denken heißt, den Feind bestimmen. Vielleicht ist aber auch das Denken selber der Feind?

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