Lustige Geschichten andersrum

Immer wieder fragt man sich: wozu all das Neue, wenn es so viel, so unerschöpflich viel Altes und Bewährtes gibt. Schaut man sich im Geschäft die Kinderbuchregale an, kann einem oft seltsam ums Herz werden. Buntes, Grelles, Aggressives, Lautes, Modernes, Fortschrittliches buhlt um die Aufmerksamkeit.

Mir kam gerade ein Kinderbuch in die Hände, das schwärmen läßt: die „Lustigen Geschichten“ von Wladimir Sutejew sind ein Klassiker, bewährt seit vielen Jahrzehnten und in mehr als 40 Sprachen. Ihr Erfolg hat ein Geheimnis: in wunderschön illustrierten Geschichten werden archetypische und zugleich tatsächlich lustige Tiergeschichten erzählt, in denen soziale Positivwerte wie Freundschaft, Hilfsbereitschaft, Zusammenhalt, Bescheidenheit, Ressourcennutzung, Offenheit, Freundlichkeit und vor allem Aufmerksamkeit und Klugheit ohne didaktischen Zeigefinger und ohne offenbare ideologische Agenda[1] versinnbildlicht werden. Sie sprachen und sprechen Kinder aus verschiedenen Zeiten und Kulturen an und leisten damit mehr für die Vielfalt als alle Propaganda.

Mir ging das Herz auf, als ich es las – es wird der Enkelin geschenkt und auf Wirkung getestet.

Aber das Buch ist in Gefahr, denn es stellt sich quer zu „modernen“ Trends, auch wenn es nur das ganz Normale und Natürliche lehrt. Nehmen wir die letzte Geschichte – „Was mag das für ein Vogel sein?“ lautet der Titel in der deutschen Ausgabe.

Darin wird von einer Gans berichtet, die immer neidisch auf andere war und von allen das Beste haben wollte. Den Schwan beneidete sie um seinen schlanken Hals, den Pelikan um seinen großen Schnabel, den Reiher um seine langen Beine, den Rabe um seine schwarzen Federn, den Pfau um seinen bunten Schwanz, den Hahn um seinen roten Kamm. Mit allen tauschte sie das beste Stück und wurde ein bunter Vogel, ein Hybrid und wähnte sich nun schöner als alle anderen Gänse.

© Móra Könyvkiádo

Aber als es zum Grasen ging, taugte der große Schnabel nicht und beim Schwimmen im Teich mußte der Mischling passen, als aber der Fuchs kam und alle anderen Gänse davonflogen, da war es um die Sondergans geschehen – sie wurde vom Fuchs geschnappt und weggetragen und wären die anderen Gänse nicht tapfer gewesen und hätten den Fuchs nicht gemeinsam vertrieben, es wäre böse ausgegangen.

Das dumme Tierchen hat seine Lektion gelernt und gibt reumütig alle Zierereien zurück, verwandelt sich zu dem, was es ist, eine Gans. Die natürliche Ordnung ist wieder hergestellt, die Gans ist eine Gans, wie sie im Buche steht, der Schwan ein Schwan, der Pelikan ein Pelikan, der Reiher ein Reiher, der Pfau ein Pfau, der Rabe ein Rabe, der Hahn ein Hahn.

Schuster, bleib‘ bei deinem Leisten – vielleicht drückt diese alte Redewendung und Volksweisheit die Quintessenz der Geschichte am besten aus.

Doch wie gesagt, so schlicht und natürlich uns diese Geschichte erscheint, sie ist doch in Gefahr gecancelt zu werden. Das zumindest muß man befürchten, wenn man Pädagoginnen wie Christiane Kassama hört. Sie gehört zu jenen progressiven Vorreiterinnen, die Jim Knopf oder Pippi Langstrumpf gern aus den Leselisten der Kleinen gestrichen sehen möchten, da sie „rassistische Klischees“ verbreiten würden. Mit dieser Botschaft bereist sie das Land und kann über mangelnde mediale Sprachrohre nicht klagen.

Aber sie geht noch weiter, auch ein Kinderlied wie „Der Katzentatzentanz“ wird unter Diskriminierungsverdacht gestellt. Darin will eine kleine Katze tanzen, kann mit einigen  Tanzpartnern aber keinen gemeinsamen Rhythmus finden – der Igel ist zu stachlig, der Hase zu zapplig, der Dackel zu wacklig usw. –, muß also allein tanzen, bis dann endlich der richtige Tanzpartner kommt, nämlich der Kater.

Es kann in dieser neuen Pädagogik nicht sein, daß Artgleiche zum Paar werden und damit indirekt andere „ausschließen“, es muß nach dieser Lehre bedingungslos gemischt werden, auch die Katze muß offen für den Igel sein.

In unserer Geschichte von der Gans geht es um das gleiche Thema: Identität. Sie lehrt in eindrücklichen Bildern, daß ein Identitätsverlust ganz zwangsläufig zum Funktionsverlust führen muß und letztlich existenzgefährdend ist.

Mehr noch: Sutejew konnte es noch gar nicht ahnen, aber sein Hybridvogel hat ganz auffällige Ähnlichkeiten zu heutigen Transvestitenerscheinungen.

Olivia Jones © Welt.de

Wir wissen selbstverständlich, daß die Natur auch Abweichungen von der Normalität kennt, die daher selbst natürlich sind – dies zu negieren wäre dumm. Auch muß diesen Menschen gleiches Recht und das gefahrlose Ausleben zugestanden werden. Aber wir sehen auch, daß dabei weit über das Ziel hinausgeschossen wird und eine Art Fetischisierung der Abweichung stattfindet, weit über ihre reale Bedeutung und lebensweltliche Präsenz hinaus. Das führt zu massiver geschlechtsidentitärer Verunsicherung bei jüngeren Generationen. Es gibt einen regelrechten Hype um diese Themen, die Zahl der operativen Eingriffe explodiert ins Absurde, Psychotherapeuten investieren heutzutage einen Großteil ihrer Energie für sexuell entwurzelte Jugendliche, Mediziner empfehlen irreversible Hormontherapien bereits vor der Pubertät und auch Lehrer haben nun plötzlich immer wieder mit Umgewandelten zu tun – die im Übrigen in den seltensten Fällen glücklich wirken. Das Geschlecht zu wechseln, ist heute scheinbar ein Ausweg aus verfahrenen Biographien geworden.

Sinnbild dieser Entwicklung ist Deutschlands berühmteste Dragqueen, die in Kindergärten in vollem Gefieder aus dem Buch „Keine Angst in Andersrum“ vorliest und dabei willig von der Presse begleitet wird – allein die Kinder behalten ihre Natürlichkeit und stellen die richtigen Fragen. Ihnen wäre mit Sutejew wohl besser gedient.

(Quelle: ©dpa/t-online)

[1] Daß sie mit der sowjetkommunistischen Ideal-Ethik konform gehen, zeigt nur, daß das Ideal in der Theorie, moralisch gewertet, kein schlechtes war. Nimmt man heute ein realsozialistisches Ethikbuch oder einen Sexual- oder Gesundheitsratgeber zur Hand, wird man ob der Idylle erstaunt sein.

7 Gedanken zu “Lustige Geschichten andersrum

  1. Michael B. schreibt:

    es wird der Enkelin geschenkt und auf Wirkung getestet.

    Klappt schon. Habe es kuerzlich der Juengsten (4 Jahre) vorgelesen, die fand es gut wie ich selbst als Kind. Das Naechste ist der „Zauberer der Smaragdenstadt“. Damit habe ich damals in vier Monaten so ziemlich vollstaendig lesen gelernt, weil die Mutter zu muede war um meine Neugier auf das Fortschreiten der Handlung befriedigen zu koennen. Eines der wenigen Buecher, die – fuer mich – besser sind als das Original (The Wizard of Oz)

    Seidwalk: Absolut. Hatte als Kind ähnliche Leseerlebnisse – Bebilderung auch grandios. Wir hatten vor ein paar Wochen den „Wizard of Oz“ im Auto als Hörbuch gehört und waren danach zum gleichen Ergebnis gekommen – Wolkow ist besser. Auch die Folgeromane stehen kaum nach, besonders „Urfin und die Holzsoldaten“ ist heute ein Lehrstück.

    Es lohnt sich übrigens, nach der DDR-Ausgabe zu fahnden – ist ein anderes Gefühl: Geruch, Haptik, Papierverfärbung …

    Interessant wäre, die Bücher noch nach Cancelbarem abzuscannen. Dorothy (Elli bei Wolkow) ist schon mal verdächtig weiß …

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    • Stefanie schreibt:

      Habe neulich auch so ein „spin-off“-Buch verschenkt, dass mir besser gefällt als das Original: „So ein Struwelpeter“ von Hans-Georg Stengel. Besonders die Geschichte vom fernsehverrücktem Frank ist schon fast prophetisch. – Mal sehn ob sie anschlägt.

      https://epdf.pub/so-ein-struwwelpeter.html

      Der „richtige“ Struwelpeter ist ja schon seit Jahren auf der Abschussliste-zusammen mit Grimms Märchen und Wilhelm Buschs Comics avant le lettre -wegen all der Grausamkeiten der sogenannten „schwarzen Pädagogik“ ( ist der Begriff eigentlich noch zulässig?). Merkwürdigerweise ist dann das Gemetzel in den Tributen von Panem wieder pädagogisch wertvoll ; gut ist für eine ältere Zielgruppe, aber wird das wirklich so von jüngeren Geschwistern abgeschirmt? Die Story ist in weiten Teilen an „Todesmarsch“ von Stephen King bzw. Richard Bachmann angelehnt und ich fand die noch mit +/-18 ziemlich krass.

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    • Michael B. schreibt:

      Hörbuch

      Wuerde mich einmal interessieren, @seidwalk. Wie stehen Sie prinzipiell zu dem Medium? Ich persoenlich mag es ja kaum. Es nimmt mir meist irgendeine Dimension – nicht so stark wie eine Verfilmung, aber es waehlt halt eine bestimmte Realisierung aus den Myriaden Moeglichen aus und klopft sie anders fest als mein Gehirn beim Lesen. Es gibt Ausnahmen, die sind aber selten. Oskar Werner liest Rilke faellt mir ein (schon die Stimme!). Es gab vor 20 Jahren auch einmal eine woechentliche Lesung von E.T.A. Hoffmanns „Goldenen Topf“ – DLF oder -Radio, wenn ich mich recht entsinne.

      Aber eine Fahrt nach Ungarn dauert wohl halt auch 🙂

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      • Sicher, jedes Vorlesen ist eine Interpretation und insofern kritisch zu sehen. Ich mag das Medium trotzdem, allerdings fast nur in Fremdsprachen. Ein guter Leser kann dem Werk auch ganz eigene Dimensionen im positiven Sinne hinzufügen. Der König ist – in der deutschen Sprache – m.E Gert Westphal gewesen, allerdings auch nur für bestimmte Literaturtypen. Der Mann ist dafür geboren worden, Fontane zu lesen. Es gibt alle großen Romane von ihm gelesen: https://www.amazon.de/Die-gro%C3%9Fen-Romane-Box-Audio-CDs/dp/3829114532
        Unvergeßlich auch seine Dostojewski-Lesungen – „Schuld und Sühne hatte er mir neu erschlossen. Oskar Werner, Udo Samel, Otto Sander, Ulrich Mühe … sind sicher auch große Vorleser gewesen. Ich kenne mich da wenig aus, weil – wie gesagt – ich das Medium meist nur fremdsprachlich nutze.

        Ganz intensiv sind Hören und Lesen zugleich – mache ich gerade mit Terzani und vorige Woche schrieb ich gerade einen kleinen Artikel über einen dänischen Roman (liegt noch in der Rauchkammer).

        Gutes Englisch zu hören ist immer ein Genuß. So hatte ich mich einst durch die gesamte Agatha Christie durchgehört. Vor allem das upper-class-Englisch ist unglaublich faszinierend. Es bringt mich ganz sicher zum Lachen vor Entzücken.

        An sich ist das Hören von Belletristik natürlicher als das Lesen, denn wenn es um Geschichten geht, dann sind wir durch unsere jahrtausendalte orale Geschichte stark geprägt. Nur bei theoretischen Texten scheint es mir nicht zu funktionieren – was vielleicht schon ein Argument dagegen ist. Da überfordert die schnelle Abfolge der Gedanken und der Kausalität das Gehör oft – Lesen kann hier besser einteilen, anhalten, wiederholen, wo nötig. Geschichten Hören ist linear, philosophisches Lesen kann komplexer sein.

        Aber es gibt noch mehr gute Gründe. Für Vielleser ist die Leistungskraft der Augen eine Frage – in Computerzeiten noch mehr. Das Hörbuch kann helfen, die Augen zu entspannen.

        Und schließlich ist es ideal zur Repetition. So habe ich mir durch wiederholtes Hören des NT eine gewisse „Bibelfestigkeit“ angeeignet und meine ungarischen Gedichte, die ich aufsagen kann, habe ich alle hundert Mal gehört, z.T. auch in Strophen zertrennt.

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        • Pérégrinateur schreibt:

          Damit fremdsprachliche Hörbücher erträglich sind, dürfen die eigenen Lücken im angetroffenen Vokabular aber nicht zu groß sein. Zwar kann man sich die Bedeutung eines Teils der neuen Worte auch aus dem Kontext erschließen, aber wenn der Rest zu groß wird, ärgert man sich ohne Wörterbuch doch sehr. Besonders untauglich finde ich die Methode Hörbuch zum Sprachlernen übrigens für Französisch-Neulinge, nämlich wegen der halbe Sätze umfassenden phonetischen Worte. Wenn da schon die Segmentation scheitert, ist es aussichtslos.

          Insofern wundert mich etwas, dass Sie gerade das schwierige Ungarisch über Hörbücher lernen wollen. Phonetisches Einprägen wie bei Gedichten geht wohl an – es sei denn, man hätte es mit reim- und maßlosen freien Versen zu tun, da zerrinnt dann alles wieder durchs Neuronensieb.

          Meine Empfehlung: Die großen Romane von Jane Austen, in Oxbridge-Englisch gelesen. Aber stellen Sie sich vorher ein Dossier zusammen mit möglichst allen Worten aus der Sphäre Mitgift & Erbschaft. Test: Was bedeutet „moiety“?

          Und wenn Sie Ihren Bibelkenntnissen aufhelfen wollen, dann dürfen Sie auf keinen Fall das AT auslassen, das weniger fade und öde ist als das NT mit seinen Wundern, Gleichnisreden, seiner auf die Nerven gehenden paulinischen Rechthaberei und der Apokalyptik für donnerfürchtige Kinder jeden Alters. Im AT dagegen gibt es Saft, Kraft, Leben, (mythische) Geschichte – und als Sahnehäubchen die „Eitelkeit der Eitelkeiten“ des Ecclesiastes.

          Leseproben, die mir eben in den Sinn kommen: Ri 19, Hos 1. Lo!

          Seidwalk: Jane Austen als Hörbuch ist ein Genuß – und bei den zahlreichen Angeboten kann man sogar verschiedene Leseweisen vergleichen. Ich habe Susannah Harker gehört. Natürlich muß man – will man jedes Wort verstehen – den Finger am Knopf haben oder den Bleistift in der Hand, das Wort zu unterstreichen und später nachzuschauen.

          Ungarisch geht als Hörbuch noch nicht. Hatte „„Adjátok vissza a hegyeimet!” probiert – findet man auf YT, aber das war zu viel des Guten. Agglutinierende Sprachen, mit ihrer anderen Wortbaulogik, muß man einfach wie Rätsel knacken und also lesen.

          Das AT kenne ich tatsächlich nur in Auszügen. Geht mir gerade umgekehrt – finde das eher schwierig zu lesen und das NT „spannender“; habe auch einen Faible für Ergriffenheit und Paulus war schon ein ernstzunehmender Philosoph. Seit 20 Jahren liegt es als Hörbuch bereit, noch als Kassetten-Set, vier solche Boxen a 12 Kassetten: auf Englisch, „The Authorized Version“

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  2. Vielleicht kennen Sie ja „Peppa Pig“? Eine wirklich gut gemachte, amüsante Zeichentrickserie für Kinder aus Großbritannien mit pfiffigem Humor, die sogar uns Erwachsenen zu sehen Spaß macht. Auch die ist, wenn es nach den „Woken“ geht, nicht mehr anzuschauen: Veraltete Rollenbilder (https://www.bento.de/politik/ist-peppa-wutz-sexistisch-wie-die-kindersendung-veraltete-rollenklischees-vermittelt-a-00000000-0003-0001-0000-000002761655).

    Was mich bei solchen Leuten immer frappiert, ist, daß sie anscheinend weder dem eigenen Nachwuchs noch noch der eigenen Erziehung gegenüber großes Vertrauen haben: Für wie schwach muß man sich und seine Kinder halten, wenn man glaubt, ein Kinderbuch oder ein Filmchen würde ihren Charakter mehr prägen als das täglich Vorgelebte, was immer das auch ist? Wie begrenzt müssen Horizont und Widerstandsfähigkeit notwendigerweise werden, wenn man alles ausschließt, was den eigenen Werten nicht 1:1 entspricht? Und wie wenig Auge und Sinn muß man für die ja bei den „Klassikern“ ja immer auch vorhandenen anderen Qualitäten (Erfindung, Sprache, Zeichnung – sonst wären es keine Klassiker geworden) haben, um sie komplett beiseite zu schieben zugunsten ja doch zumeist geringerwertiger Dutzendware?

    Nun, das Phänomen läßt sich ja derzeit auch gut in der Welt der Erwachsenen beobachten; vielleicht führt da eines zum anderen.

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  3. Otto schreibt:

    Man erkennt, daß die Geschichte zuerst kommt, dann die Wirklichkeit, also, wo sie gewirkt hat. Wahrscheinlich hat der Tusser die Geschichte in Kindesalter vorgelesen bekommen, ….

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