Grenze und Fläche

Noch ein Versuch, Links und Rechts zu erklären.

Es gibt an sich berechtigte Argumente, die durch ihren inflationären und inhaltsleeren Gebrauch vollkommen mißhandelt wurden. Der Satz „das muß man differenzierter sehen“ ist so einer. Natürlich muß man es differenzierter sehen, immer und alles, aber wenn wir das immer täten, wäre ein Gespräch gar nicht mehr möglich. Man muß es also differenzierter sehen und zugleich muß man aber auch den Mut haben, irgendwann einmal eine Schlußfolgerung zu ziehen. Dieser Satz dient mittlerweile nur noch zum Totschlagen, denn egal, was der Gesprächspartner sagt, lassen sich dessen Argumente damit aushebeln und ihn im Übrigen schlecht aussehen, denn es wird ihm fehlendes Differenzierungsvermögen unterstellt – zum einen – das man selbst – zum anderen – für sich natürlich beansprucht. Das Gespräch wird damit nicht nur in der Sache, sondern auch in der kommunikativen Ebene beendet, weil der eine Partner dem anderen offensichtlich überlegen ist.

Man muß es also differenzierter sehen und man muß zugleich die Differenzierung beenden können, vor allem muß man mit dem Satz „Das muß man differenzierter sehen“ sehr vorsichtig umgehen, muß ihn selbst differenzierter sehen. Letztlich erliegen wir hier objektiven Aporien der Sprache, für die es keine Generallösung gibt, nur Kompromisse und guten Verstehenswillen.

Ähnlich liegt der Fall bei der Rechts-Links-Dichotomie, von der man immer wieder hört, daß sie zu einfach sei. Na klar, sie ist zu einfach. Wir wissen alle, daß es „den“ Rechten oder „den“ Linken nicht gibt, daß innerhalb dieser Kategorien eine enorme Spielbreite existiert. So gilt ein rechtsextremer Fanatiker gemeinhin als rechts und ein wertkonservativer englischer Snob ebenfalls, aber beide haben nichts miteinander zu tun.

Dennoch ist die Begrifflichkeit berechtigt. Sie beschreibt – ganz allgemein, ganz abstrakt – zwei grundsätzlich verschiedene Wahrnehmungsweisen, die, wenn man sie genau betrachtet, nicht klar voneinander abzugrenzen sind. Und das ist die Crux.

Die These lautet: rechts ist, wer Zustände sieht, links ist, wer Bewegungen sieht.

Noch so ein Totschlagargument ist das „dichotomische Denken“, wenn jemand nur „schwarz-weiß“ sehe und nicht die Grautöne, nur zwischen gut und böse unterscheide und dergleichen. Dabei ist unsere Welt wesentlich zweigeteilt, sie besteht aus Gegensätzen. Ob etwas tot ist oder lebendig, läßt sich definitiv feststellen, ob etwas ist oder nicht auch, ob ein Stoff giftig ist oder nicht, können wir bestimmen, ob jemand betrunken ist oder nüchtern ebenfalls und in vielen Fällen können wir eindeutig bestimmen, ob etwas gut oder böse, schön oder häßlich ist. Aus-Ein, Mann-Frau, Deutsch-Nichtdeutsch … das alles läßt sich festlegen. Wenn wir einen Stein sehen, dann wissen wir, daß er nicht lebt, ebenso wie wir von der Katze, die mir gerade um das Bein schnurrt, sagen könne, daß sie lebt. Das sind Zustände. Sie haben klare Abgrenzungen.

Zwischen diesen Zuständen gibt es aber Übergänge, meist fließende Übergänge. Die Katze, die in ihren Eingeweiden am Straßenrand liegt, ist tot. Das kann ich mit gleicher Bestimmtheit aussagen. Dennoch fällt es uns schwer – wenn wir genau hinschauen – den Zeitpunkt des Todes festzustellen. Es gibt überbordende ethische Diskussionen darüber, ab wann ein Mensch als tot zu deklarieren ist, denn daraus ergeben sich komplizierte rechtliche Fragen. Umgekehrt gibt es heiß umkämpfte pränataldiagnostische Debatten, ab wann das Leben oder das menschliche Leben oder das beseelte Leben oder das bewußte Leben beginnt. Auch daraus ergeben sich schwerwiegende rechtliche und moralische Probleme.

Man kann extreme Positionen einnehmen, etwa indem man bereits den Samen als quasi-beseelt betrachtet und also die Onanie als Tötungssünde. Tatsächlich sind Sperma und Follikel halblebendige Entitäten mit einer Potenz zur Lebensentwicklung, mit einer Entelechie. Sie haben ein „Wozu“, also einen Sinn und ein Ziel und das lautet: Leben. Auf der anderen Seite kann man auch erst das bereits geborene Kind als schützenswertes Leben betrachten, denn nur ab dann ist es selbständig „auf der Welt“.

Wir wissen nicht abschließend, ab wann ein Mensch tot oder ein Mensch ist, aber wir erkennen einen toten Menschen, wenn er tot ist, und einen Menschen, wenn er zur Welt gekommen ist.

Zenon von Elea war der erste, der die Problematik in seinen berühmten Paradoxien der Bewegung und der Teilung ins Bewußtsein rief. Er trat damit als Vermittler der Positionen Heraklits – Alles fließt – und Parmenides‘ – das Seiende ist, das Nichtseiende ist nicht – auf. Die beiden stehen in gewisser Weise jenseits der Links-Rechts-Dichotomie, weil absolute Positionen stets selbstwidersprüchlich sind und daher beiden oder keiner Kategorie angehören. Aber Demokrit etwa, Parmenides‘ Schüler, der den atomistischen Materialismus lehrte, könnte demnach als rechts eingestuft werden und Diogenes oder Sokrates – beides vielleicht nicht zufällig athenische Clochards, jedenfalls notorische „Alles-in-Frage-Steller“ – als links. Doch will ich mich auf diese strittige Diskussion gar nicht einlassen – es sollte nur gezeigt werden, daß Links und Rechts, Zustand oder Übergang betonen, zwei ursächliche menschliche Sichtweisen sind.

Übergänge betonen heißt, Grenzen und Ränder unter die Lupe zu nehmen, die Flächen- oder die Zeitlupe. Die Grenze ist in der Regel nur ein Strich zwischen zwei gigantischen Flächen (Zuständen). Wenn man sich diesen Strich aber genauer anschaut, ihn quasi heranzoomt, dann sehen wir zum einen, daß sich in ihm unendlich viel verändert und daß er eigentlich gar kein Strich ist, denn seine Ränder fransen aus, verfließen mit den „angrenzenden“ Flächen und er selbst besteht aus vielen kleinen Flächen mit eigenen Kontinuitäten. Das, was aus der Distanz wie eine Grenze aussieht, wie ein abrupter Übergang von einem Zustand zu einem anderen, entpuppt sich nun als Prozeß, als mehr oder weniger fließend und je näher wir herankommen, desto komplizierter wird es – alles, was aus der Entfernung klar und eindeutig erschien, wird nun beweglich, greift ineinander, verfließt ineinander, bedingt sich einander.

Spiegelbildlich kann man aber auch in den Zuständen feine und langsame Veränderungen beobachten und letztlich zu dem Schluß kommen, daß es gar keine Flächen, sondern nur Übergänge, Bewegungen gibt.

Wer sich dieser Optik verschreibt, muß zu dem Schluß kommen, daß es nichts Beständiges gibt, daß alle Definitionen, alle Begriffe nur Konstrukte sind.

Er, Sie, Es sieht das Weibliche im Mann und das Männliche in der Frau, vor allem jene Übergänge, wo die klare Zuschreibung schwierig wird. Es kann auch ein Drittes oder Viertes daraus entstehen. Wenn der Mensch sich vom Tier durch sein Bewußtsein und Selbstbewußtsein, durch sein Leidempfinden oder durch seine Vorgängigkeit – mit verschiedenen Qualitäten – unterscheidet, ab wann kann dann eine befruchtete Eizelle oder ein menschliches Zeugungsergebnis ohne diese Eigenschaften, tatsächlich ein Mensch sein?

Selbst technische Übergänge verschwimmen bei genügend naher Herangehensweise. Wir schalten das Licht ein oder aus und wissen, daß es aus ist, wenn der Raum dunkel ist. Da aber Licht und Elektronen bestimmte begrenzte – wenn auch für unsere Wahrnehmung sehr hohe – Geschwindigkeiten haben – gibt es zeitliche Übergänge, die durch mechanische Trägheiten noch verstärkt werden. Es ist nicht leicht zu sagen, ab wann der Schalter an und ab wann er aus ist, es ist alles eine Frage der Wahrnehmung, der Lupe oder der Spulgeschwindigkeit.

Linkes Denken nun vertieft sich einseitig in die Betrachtung der Grenze, in deren immer weiterer Vergrößerung und kommt damit zu dem Schluß, daß es an sich nichts gibt, daß nichts ist, daß alles in Bewegung ist, alles nur Konstrukt oder menschlicher Begriff: Geschlecht, Staat, Volk, Tradition, Individuum, Identität … alles kann dekonstruiert, alles in Frage gestellt werden.

Daß die linke Sichtweise – man könnte sie auch ganz anders nennen, darauf kommt es nicht an – sich als politische und weltanschauliche Macht just in den Jahrhunderten des entfesselten technischen Fortschritts mehr und mehr durchsetzt, ist kein Zufall, denn dieser garantiert jene Wahrnehmungen, die dem Menschen von seiner physischen Ausstattung her nicht zustehen: das ganz Große, das ganz Kleine, das ganz Schnelle, das ganz Langsame, das ganz Alte, das ganz Neue etc. Die Entdeckung der Zelle durch Schwann und Schleiden oder der Evolution durch Darwin waren nicht von ungefähr die naturwissenschaftlichen Grundlagen des Marxismus, die sich wunderbar mit der Hegelschen Bewegungslehre „Dialektik“ verbinden und zu einer Relativierung aller gesellschaftlichen Zustände verallgemeinern ließen. Auch Marx vertiefte sich in die Grenzbetrachtung zwischen den „Gesellschaftsformationen“.

Die Technik gab uns die Mittel in die Hand, die Grenzen ins Unendliche zu dehnen, so daß sie selbst scheinbar das Ausmaß von Zuständen einnehmen. In den Grenzen der Grenzen wurde die Vielfalt entdeckt und die Grenzen der Grenzen selbst als unbegrenzt perzipiert.

Rechtes Denken hingegen konzentriert sich auf die Zustände, auf das, was ist und schon immer war. Es versucht per se den Draufblick, den Überblick.

Beide Wahrnehmensweisen haben ihre Berechtigung – sie verkörpern ewige Prinzipien – und beide verlieren an Bedeutung, wenn sie ihr anderes und dessen Wahrheit negieren. Das rechte Denken, das Zustandsdenken ist insofern fundamentaler, als es die – um im Bild zu bleiben – viel größeren Flächen favorisiert, das linke Denken erinnert permanent an das berechtigte „Aber“.

Es gibt einen weiteren Grund für die Dominanz linker Wahrnehmung: Die Seins-Flächen sind in der modernen Gesellschaft hoffnungslos parzelliert, es werden immer neue Grenzen – oft begrifflicher Art – in die Flächen eingezogen und auch diese unters Mikroskop genommen. Wenn die Wahrnehmung darauf trainiert ist, Grenzen und Ränder zu betrachten, wenn alles Grenze wird, dann wird auch die Fläche als eine solche angesehen. Am Ende dieses Prozesses steht die Rhizomatisierung. Die Bewegung selbst wird zur Fläche. Das ist eine komplett neue Phase der Entwicklung, für die es keine Erfahrungswerte mehr gibt, deren Ergebnis nicht bewertet, aber mit Sorge bedacht werden kann.

7 Gedanken zu “Grenze und Fläche

  1. Michael B. schreibt:

    Natürlich muß man es differenzierter sehen, immer und alles, aber wenn wir das immer täten, wäre ein Gespräch gar nicht mehr möglich.

    Das sehe ich nicht so. Im Gegenteil gibt es Gruende, Dinge ganz prinzipiell nicht zu differenzieren. Sieht man sich eine Brownsche Bewegung in einem Quadrat ausschliesslich aus der Naehe an, sieht man genau das – nur Rauschen. V.a.D. sieht man aus der Naehe das Quadrat nicht. Das ist aber eine wesentliche Eigenschaft, der ganze innere Vorgang ist darauf beschraenkt. Das will man schon wissen.
    Problem ist, es ist nicht ein einfaches Problem der Skala, es ist ausdruecklich keineswegs auf die Frage des sogenannten ‚grossen Bildes‘ zu reduzieren. Den Fehler machen im Umgang mit Menschen viele Leute die sich in einer Position befinden, in der sie erst einmal so weit oben sitzen, dass sich das anbietet. Vertreter – oder besser anfaellig dafuer – sind grosse oekonomische Mitspieler, Politiker, akademische Sozialtheoretiker u.v.a.m.

    Ich schreibe ja Software fuers Leben. Eines der Dinge die ich gelernt habe ist, dass weder das ganz Kleine (die „Bitschubserei“) noch das ganz Grosse in diesem Bereich erfolgreich ist, wenn man bei einer reinen Skalenauffassung speziell im Sinn von aufbauenden Schichten oder gar auf einer einzelnen dieser Ebenen stehenbleibt.
    Im Gegenteil sind die Leute die Besten, die die Trajektorie mit der man sich frei zwischen diesen Betrachtungsweisen bewegen kann als grundlegendes Kriterium betrachten. Die also Kontext wechseln koennen und das nicht nur vertikal statisch mechanisch klickend, sondern glatt, fluid, aufwandslos in verschiedener Staerke an der richtigen Stelle immer wenn das Problem es erfordert. Damit zu der These der Unterscheidung, die der Artikel versucht.

    Dieser ganze Rechts/Links-Unterschied scheint mir ueberbewertet. Manchmal ist eine Zigarre halt einfach nur eine Sitzordnung. Ich selbst finde in meiner eigenen Person je nach Kontext beide Dinge, grundsaetzlich orientiere ich mich aber an o.g. Trajektorien. Der Fixpunkt ist nicht Draufblick vs Uebergang, sondern das zugrundeliegende Problem.

    An dieser Stelle einmal zur sich selbst voellig unbegruendet elitaer sehenden Sezession, speziell aber nicht nur dem Kommentariat dort. Der Blick auf den signifikanten Unterschied zwischen Selbst- und Fremdbild dieses Klientels draengte sich mir beim Lesen auf. Einem geruettelten Anteil dieser Leute fehlt schon allein die Qualifikation und Faehigkeit zum zitierten vorgeblich gerade ihnen gegebenen ‚Draufblick‘. Nach den Flat-Earthern und billigstem Kreationismus kommen jetzt die Virenverwerfer (ich rede nicht von Corona, sondern dem gesamten Konzept). Das Technologie- und naturwissenschaftliche Verstaendis bewegt sich auf unterstem Niveau und ist oft in der ersten Haelfte des zwanzigsten Jahrhunderts stehengeblieben (zu nicht kleinen Teilen noch frueher). Wer Draufblick haben will, muss das auch fuer aktuelle Dinge unter Beweis stellen. Mindestens muss sein Wille erkennbar sein, dies zu tun. Im Gegenteil gibt es dort aber dazu deutlich sichtbare innere Ablehnung. Das ist mit ‚was schon immer war‘ nicht zu entschuldigen. Wer den Anspruch hat, muss aktuelle Realitaet qualifiziert einbetten wollen und wenn das nicht geht seine eigene Auffassung anpassen. Den Anspruch habe ich naemlich dann an diese Leute. Und der ist m.E. ueber meine Person hinausgehend berechtigt und abzufordern. Mit einfachem Dualismus kommt man dabei nicht weiter.

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  2. NIKODEMUS schreibt:

    Die rechts/links-Unterscheidung benutze ich fast ausschliesslich im politischen Kontext. Gebräuchlich ist sie m. W. erst nach der französischen Revolution und auf die Sitzordnung im Parlament zurückzuführen. Ihr Unterscheidungsmerkmal passt natürlich insoweit dazu, als die Rechte den status erhalten wollte, die Linke Veränderungen, also Bewegung. Die Situation verändert sich, wenn die Linke zumindest partiell ihre Veränderungen durchgesetzt hat. Dann steht die Rechte unter Zugzwang. Manche Veränderungen erweisen sich als für das Bewusstsein irreversibel.

    Wie sieht es mit der identitären Linken aus? Hier geschieht doch folgendes: Die Identitätszuschreibung entlang der Unterscheidung Opfer/Täter bezeichnet eine quasi unabänderliche Zustand. Die Grenzen sind unverrückbar. Es gibt keine Dialektik, keine Dekonstruktion der Begriffe. Dennoch würde man diese linke Identitätspolitik nicht als rechts bezeichnen. Wie ist das einzuordnen?

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    • @ Nikodemus

      Mit ihren Dogmen, Tabus und Sakralisierungen, somit formal betrachtet, sind die gegenwärtigen identitätspolitischen Denkweisen und Bewegungen (BLM, MeToo, LGBTQ) etwas Rechtes. Hier stehen die Grenzen fest, darf nichts dekonstruiert werden, weil damit die ganze heilige Ordnung angegriffen würde. Ein Ketzer ist ein Ketzer, ein Rassist ein Rassist, ein Weißer Mann ein Weißer Mann, gleich ob heute oder vor zweihundert Jahren. Dieses Denken ist verharrend, platonisch, universalienrealistisch.

      Inhaltlich betrachtet aber ist solches Denken links: Mit seiner Überhöhung des Opfers steht es (entartet) in der Tradition der größten Neuerung der Menschheitsgeschichte, nämlich des Christentums. Und mit seiner Überhöhung des Glaubens steht es (ebenso entartet) auch in jener der zweitgrößten Neuerung, der Reformation.

      Sowohl formal als auch inhaltlich gleicht es damit den beiden totalitären Sozialismen. Ob wir dieses Denken (wie auch jene Sozialismen) eher von der Form oder vom Inhalt her einordnen, hängt oft davon ab, ob wir mit ihm sympathisieren oder nicht. Und die Sympathie liegt bei den meisten Menschen, als tausendjährigen Ethnokulturchristen, auf der Seite des fortschrittlichen Inhalts.

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      • NIKODEMUS schreibt:

        Natürlich kann man jedes noch so säkulare Phänomen in unserer Kultur auf das Christentum zurückführen, aber bei der linken Identitätspolitik fällt dieser Zusammenhang schwer. Sie haben ja „entartet“ hinzugefügt, umso mehr stellt sich die Frage, was die Herleitung erhellen kann. Der Begriff „Opfer“ ist zwar originär religiös, hat sich aber im linken Kontext von dieser Bedeutung gelöst.

        Der Inhalt linker Identitätspolitik ist auch keineswegs fortschrittlich, wenn eine Art neuer Sippenhaftung installiert wird. Ich sehe darin die blanke Regression bzw. Anmassung: Anscheinend will die Linke Weltgericht spielen.

        Wo ich wiederum zustimme: das Christentum auf der fortschrittlichen Seite zu verorten. Unter Fortschritt kann aber nicht alles subsumiert werden, was heute als Fortschritt angepriesen wird.

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        • Robert X. Stadler schreibt:

          @ Nikodemus

          Opfer meint hier victima, bezieht sich also auf die vor- und außerchristlich nicht übliche Hochschätzung der Armen, Schwachen, Fremden. Die linke Identitätspolitik hat daraus einen Kult gemacht, spiegelbildlich zum rechten, aristokratischen, nietzscheanischen, rechtshegelianischen, maskulinen etc. Kult des Täters und des Helden.

          Sippenhaftung und ähnliches ist tatsächlich nicht fortschrittlich im Bezug auf das Christentum. Ich ordne es auf der formalen Seite ein, weil ja offen bleibt, wer aus welchen Gründen kollektiv haftbar gemacht wird.

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  3. JJA schreibt:

    Man kann das Phänomen sogar mathematisch illustrieren. Mandelbrot publizierte 1967 einen berühmten Aufsatz mit dem Titel „How long is the Coast of Britain?“. Darin legt er dar, dass die Länge dieser Grenze (Ironie der Geschichte!) ganz davon abhängt, wie genau man hinsieht. Selbst die Dimensionen verschwimmen! Betrachtet man sie nur hinreichend genau (also ins Unendliche gehend), hat die Grenze eine Dimension zwischen 1 und 2. Betrachtet man sie dann als reine Linie (Dimension=1), hat sie unendliche Ausdehnung, als Fläche betrachtet aber Größe 0. Ich überlasse die Ausdeutung mal den Lesenden…

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  4. Test Bild schreibt:

    Lange beim Frühstück nicht mehr so gelacht. Ich musste mich an unsere Reise an Bord des Raumschiffs „Dekonstruktor“ an die Grenze des uns bekannten Universums erinnern. Ein regnerischer Tag hat uns drei Jugendliche in die Kneipe getrieben. Da langweilig, schlugen wir die Zeit mit Theoretisieren tot. Um zwei erhitzte Stunden abgekürzt: Warum gibt es Polizei? Warum werden Menschen kriminell, klauen und lügen. Weil die Umstände sie dazu treiben. Haben wir andere Umstände, sind die Menschen anders und dann braucht man keine Polizei. Autonome, aufgeklärte Individuen regeln ihre Sachen auf humane, zivilisierte Weise, weil eben die Umstände sie nicht mehr zu Tieren machen. Dann braucht man keinen Repressionsapparat, um sie unter Kontrolle zu halten, Streit zu schlichten oder Ordnung zu schaffen. „Dann polier ich XY so die Zähne!“ Aber auch XY wäre dann kein Nazi, er wäre ganz anders und ihr würdet euch ganz anders begegnen. „Mir ist es scheißegal, ob XY ein Nazi ist. Er ist eine dumme Sau und hat es verdient. Morgens, mittags und abends.“ Zwei Blicke bohrten sich in den Boden. Schweigen. Tequila? Sambuca. Ich hol beides.

    Seidwalk: Selten so gestaunt!

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