Viro-Logisches II

Ursula von der Leyen beschwört die Europäische Union und tadelt jene Nationalstaaten, die souveräne Entscheidungen fällen. Tatsächlich bestätigt die Corona-Krise die Macht des Egoismus, nicht nur an den Verkaufsregalen, sondern auch auf nationaler Ebene. Die Nation zeigt sich nun als das, was sie ist: primär. Die nationale Frage ist – wie Bahro feststellte – „eine objektive Realität von tieferen Gründen als die Klassenfrage“. Nicht Klassen und Schichten finden in der Not zueinander, sondern die Nation. Entitäten wie ein die Nationen negierendes Ideal einer Europäischen Gemeinschaft, in der das Eigenartige nivelliert wird, entpuppen sich plötzlich als Konstrukte, sie sind noch nicht mal „eine objektive Realität“. Umgekehrt bedeutet das: Länder, in denen das Nationalgefühl – und also das Zusammengehörigkeitsgefühl –  systemisch gestört und zerstört wurde, werden derartige Krisen schlechter überstehen können, als mythisch geeinte Länder. Dort, wo sich ein Volk im Selbstverständnis gebildet hat, wird man gemeinsam handeln und auch leiden, sich opfern können; in einer parzellierten Gesellschaft dürften sich die Teile irgendwann gegeneinander wenden.

Unter allen Parteien dürften langfristig am meisten die  Grünen vom Virus profitieren. Denn die zu erwartenden 300 000 bis 600 000 Toten – bei voller Durchseuchung – stammen aus jener Alterskohorte, aus der den „Volksparteien“ bei Bundestagswahlen anteilig die meisten Stimmen zuwachsen. Auch der AfD würden anteilig viele Wähler wegbrechen. Eine statistische Verjüngung der bundesdeutschen Wählerschaft führt zwangsläufig zu irgendwas in Grün und mit Rot. (dieser Abschnitt wurde korrigiert)

Wenn die ältere Kohorte dezimiert wird, die jüngere aber durch Zuwanderung und Geburtenkontrollverlust zunimmt, dann wird jener Prozeß evidenter, den man mit dem Namen „Bevölkerungsaustausch“ bedacht hat.

Sollte das Virus tatsächlich von Fledermäusen oder anderen Wildtieren auf den Menschen übertragen worden sein, dann haben wir einen eindringlichen Fall, der die Relativität der kulturellen „Errungenschaften“ beweist. Nicht alles, was tradiert ist, nicht alles, was einer Kultur inhärent ist, ist schützenswert. Gerade in der globalisierten Welt können antiquierte Bräuche und Gewohnheiten bislang unbekannte ruinöse – übrigens auch förderliche; man muß von Fall zu Fall unterscheiden – Effekte zeitigen. Vor allem die einst ehrwürdige und nun weitgehend verlotterte chinesische Kultur muß ihr Eßverhalten radikal überdenken. Der Chinese – so hat es den Anschein – frißt alles, was sich bewegt. Dieser Brauch muß aus vielerlei Gründen gestoppt werden: zur Erhaltung der Arten, um massive Tierquälerei zu vermeiden und um die Menschheit selbst nicht zu gefährden. Selbiges gilt natürlich auch für einige afrikanische oder sonstige Traditionen – man erinnert sich, daß das wesentlich gefährlichere Ebola-Virus von verspeisten Affen übertragen wurde und auch das HIV-Virus, das uns seit den 80er Jahren beschäftigt, geht darauf zurück.

Alle diese neuartigen Plagen enthalten ein inneres Vegetarismus-Gebot.

Auch die Familie feiert plötzlich wieder eine Renaissance. Wenn Cafés und Bars geschlossen sind, wenn man in Isolation geht – wohl dem, der eine Familie hat! In schweren Zeiten setzen sich die tief verinnerlichten Grundmuster sozialer Gemeinschaft wieder durch: Familie, Stamm, Volk, Nation. Der Wort- und Wertenebel wird hinweg geblasen.

Nun haben die „ermutigenden Zeichen“ Konjunktur, die „Gänsehaut-Momente“: italienische Familien, die auf dem Balkon Lieder singen oder ähnliche Szenen aus Wuhan, wo man sich über Häuserschluchten mutmachende Worte zuruft und Durchhalteparolen skandiert. Diese Menschen – obgleich Nachbarn – waren sich bisher vollkommen fremd. In Not und Angst leben die eigentlichen Bedürfnisse wieder auf, werden längst verloren geglaubte Sozialtechniken wie gegenseitiges Interesse, miteinander sprechen, füreinander da sein, sich sorgen und helfen unter den Monaden wieder aktualisiert. Konservatismus ist nichts anderes, als der Versuch, diese basalen Soziotechniken vor der Katastrophe zu erhalten, zu hegen und zu pflegen.

Es ist vielleicht auch ein Verdienst der Fridays-for-Future-Bewegung, daß wir auf Krisen oder eingebildete Krisen nur noch im Panikmodus reagieren können. Jedes Problem enthält nun apokalyptische Obertöne. Der Reaktionsmodus wird immer weiter eingeübt. Jahrtausendelang bemühte sich die Philosophie kulturübergreifend – von Buddha, Laotse und Konfuzius über die Stoa und die christliche und islamische Mystik bis hin zu Heidegger – die Kategorie der Gelassenheit populär und verständlich zu machen, weil die Menschen in diesen Zeitaltern viel zu leiden und wenig zu erwarten hatten. Jetzt, wo ihre vergeblichen Hoffnungen nach einem friedlichen und satten und ruhigen und langen Leben endlich erfüllt wurden, wo man tatsächlich in Seelenruhe leben könnte, verschwindet die Gelassenheit aus unseren Denkmöglichkeiten. Sie ist keine Notwendigkeit mehr, weil sie sich verwirklicht hat.

Heute habe ich mich auf den Facebookseiten einiger alter italienischer Freunde umgeschaut. Sie gehören alle zur unschuldigen, saturierten Linken. Dort schickt man sich gerade exzessiv metapherngesättigte erbauliche Traktate zu, in denen bis zum Abwinken von Hoffnung, Menschlichkeit, Humanität und dergleichen die Rede ist. Die Phrasenmaschine läuft auf Hochtouren. Der quasi-religiöse Grundton dieser Pamphlete – alle von Atheisten verfaßt – ist nicht zu überhören.

14 Gedanken zu “Viro-Logisches II

  1. Das Faszinierende bei Corona ist für mich, wie fucking schnell der ganze Kackladen vor einem lumpigen Virus in die Knie geht.
    Von „Nur ne Grippe“ zu „Mein Führer, befehlen Sie den Volkssturm, die Front ist gebrochen!“ in ein paar Tagen.
    Hab gestern zu einem Kumpel gesagt – „wenn ich heute nach einem 3-Tage-Exzess aufgewacht wäre & den Newsfeed gecheckt hätte, dann hätte ich meinen Augen nicht getraut.“

    Diese verkackte „Gesellschaft“ wird und wurde immer lediglich von Spachtel und Sprühlack zusammengehalten, wie mein alter mattschwarzer V6 Granada, Ford hab´ ihn selig.
    Als wenn mir das nicht die ganze Zeit klar gewesen wäre – was ist eigentlich mit diesen „normalen“ Leuten los, ich hab immer mehr das Gefühl als wären die tatsächlich nur simple NPC-Programme die per Zufallsgenerator ein paar Dutzend Sätze sprechen können.
    „Die Supermärkte sind doch voll, es ist doch alles da, was willst Du?!“
    Spricht´s und läuft dann in Dauerschleife gegen ne Wand weil hängengeblieben, da hülft nur Neustart.

    Wer jetzt anfängt Mehl und Toilettenpapier zu horten, der zeigt lediglich wie planlos er bereits vor der Panikmache mit dem Corona Virus war und wie planlos er auch in einer tatsächlichen Krise sein wird. Diese Leute schleppen lediglich ihren materiellen Käfig mit sich herum und haben, sollte es tatsächlich großflächig materielle Knappheiten geben, ganz andere Probleme als sich den Arsch abzuwischen. Mehl ist gehört übrigens zusammen mit Aluminium, Ammonium Nitrat und Benzin eine Komponente für C-4 Plastiksprengstoff. Es gibt Leute die nehmen mindestens 9/10 Ausgangsmaterial PETN für ihr C-4, allerdings wissen wir hier alle bei Post Collapse dass solche Leute auch beim Boxen einen Helm tragen und „heute Abend noch Auto fahren müssen“. Also Laberfach Studenten, Steam Sales Kunden, Friseurgänger, Leute die ihr Weib fragen was es heute essen will und solche Poser. Übrigens bin ich auch ein großer Kritiker von „Toilettenpapier“ da es in einer Pandemie wo das Virus sich durch Fäkalpartikel überträgt nicht das schlauste wäre sich diese noch weiter in die Falten zu drücken. Nur das wäre halt das Szenario wenn ich eine Pandemie mit vielen Toten verhindern wollte.

    Wie beknackt muss man eigentlich sein um zu denken Leute ohne Überlebenschancen sollten an ein Beatmungsgerät gehängt werden die schließlich nicht auf Bäumen wachsen. Der eigentliche Skandal ist dass sie ansonsten Leute ohne Überlebenschancen an diese Beatmungsgeräte hängen um weiter abrechnen zu können.

    Gestern noch ne Stunde mit dem Fahrrad rumgedüst & mit Blicken getötet:
    „Du alter hustender Scheißhaufen da wirst sterben, und Du fette Sau da wirst Dich einkoten während Du Deine Lunge auskotzt, und Du und DU UND DU UND DU. Und DU AUCH!“
    Die Straßen waren voll, weil seit Tagen wieder schönes Wetter (und keine Scheiß Bundesliga), und die ganzen Spacken sind rumgelaufen wie auf Droge. All diese Fotzen mit ihren Kotpumpen, das sind so unglaublich viele.
    Es war wie in einem Doomsday-Film am Anfang, wenn sie die harmonische Welt zeigen bevor der große Stein aus dem All einschlägt.
    Oh Gott, wie geil das Alles wird. In meinem Alter brauch ich schon richtig harten Porno für eine dauerhafte Erektion, also liefer bitte, Corona-Chan.

    Seidwalk: Sie haben sich viel Mühe gegeben – rein zeitlich -, deswegen lasse ich das noch mal durch. Die nächste Suada – egal, wie lang sie ist – bleibt im Filter hängen. Außerdem sehe ich nicht, wie diese Beiträge die Diskussion bereichern. Nichts gegen Misanthropie, aber sie sollte doch ohne – gibts ein passendes Synonym für „Haß“?; ich mag das Wort nicht mehr nutzen -, ohne Ressentiment (das klingt schön Nietzschisch) vorgetragen werden – zumindest hier!

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  2. Pérégrinateur schreibt:

    Es heißt nicht Phrasenmaschine, sondern Phrasendreschmaschine. Ein altes Landkind hat deren Musik im Ohr und weiß deshalb auch wieso.

    Wieso man keine Hühner, Schweine und Rinder essen sollte, nachdem und weil andere sich beim Fledermausverzehr etwas fingen, ist mir nicht einsichtig. Früher zumindest wurden an den Stalltüren der Höfe jedes Jahr neue Plaketten angenagelt, die dikumentierten, dass der Stall nach Prüfung brucellosefrei usw. war; die Inzidenz entsprechender, auch auf den Menschen übertragbarer Krankheiten war also noch viel höher als heute, In der Summe war die Milch- und Fleischkost trotzdem förderlich; ich hatte als Kind zum Beispiel Rachitis, und da auch noch die Milchkost abzusetzen, wäre der Heilung etwas hinderlich gewesen. Zusätzlich und ersatzweise konnte man natürlich Lebertran zu sich nehmen, aber dann ist es wieder nichts mit dem Fischfauna-Vegetarismus. Und angesichts der Vielfalt der Welt und der Meinungen auf diesem Feld ist jeder konkrete ethische Universalismus ohnehin nur ein versuchter Machtspruch.

    Die Medien beleuchten gewöhnlich nur einen kleinen Fleck. Für ein informiertes, rational bilanzierendes Urteil ist das zu wenig. Aus der aktuellen Sensation ein Argument zu drechseln gegen etwas, „wogegen ich doch ohnehin schon bin“, ist deshalb allzu simpel.

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    • @ Pérégrinateur
      „Aus der aktuellen Sensation ein Argument zu drechseln gegen etwas, „wogegen ich doch ohnehin schon bin“, ist deshalb allzu simpel.“

      Sie verkennen das Wesentliche: Ich bin nicht gegen das Fleischessen, ich habe lediglich versucht – in „Warum ich kein Vegetarier bin“ – alle mir ersichtlichen Argumente pro und contra rational abzuwägen und bin zu dem Schluß gekommen, daß es kein starkes Argument für den Fleischkonsum – zumindest in der jetzigen Form – gibt, außer eines und das ist schwach und noch ein halbes – das geht in Ihre Rachitisrichtung. Wenn schon tierische Eiweiße, so war die Schlußfolgerung, dann besser von niedriger organisierten Lebewesen wie Würmer, Maden, Insekten … damit wären die meisten Probleme gelöst oder doch stark reduziert.

      Ich mußte zur Kenntnis nehmen, daß auch die Masse der Argumente hier kaum jemanden überzeugt hat und nahm das als Anlaß, die Argumente zu überdenken und zu verfeinern. Übrigens – es war also doch nicht ganz umsonst – hatte mich einer dieser ominösen „Vordenker der Neuen Rechten“ damals angeschrieben mit dem Grundtenor: „Eigentlich haben sie recht, aber …“ Und dieses Aber ist auch mein Problem, denn auch ich esse vom Tier. Was uns lehrt, daß Vernunft und Handeln mitunter inkommensurable Größen sein können, vor allem dann, wenn sie Vorlieben und Gewohnheiten in Frage stellen. Ecce Homo.

      Zum Problem „Wieso man keine Hühner, Schweine und Rinder essen sollte, nachdem und weil andere sich beim Fledermausverzehr etwas fingen, ist mir nicht einsichtig.“ empfehle ich noch einmal den von Michael B. (danke!) eingesandten Beitrag: http://nautil.us/issue/83/intelligence/the-man-who-saw-the-pandemic-coming
      Dort heißt es u.a.: „It was avian influenza in the 2000s. What you saw with avian influenza was a direct consequence of how much poultry was being produced to feed people. If you look at China today, it produces something on the order of 15 to 20 billion poultry per year. But if you went back and you looked at the data from the 1960s, you see that, at best, only a few hundred million poultry were under production. When you look in Bangladesh, Vietnam, and elsewhere in Asia and Indonesia, you see that the amount of poultry that was being produced 50 years ago was orders of magnitude less than poultry being produced today.“
      … woraus sich ein vielfach höheres Risiko an Zoonosen ergäbe, je mehr Menschen mehr Fleisch essen. Die von Ihnen erwähnten Plaketten an den Stalltüren sind ja nun gerade ein Beweis für die Problematik. Wo man kontrollieren muß, besteht die Möglichkeit, ja die Wahrscheinlichkeit, daß die Kontrolle irgendwann einmal versagt.

      Daß ausgerechnet China, ein weitflächig traditionell vegetarisch ausgerichtetes Land, heute immer wieder zum Problemherd in punkto Zoonosen ist, scheint mir doch signifikant.

      Allein die Liste der üblichen Zoonosen spricht eine eigene Sprache und Schwein und Rind sind darin ebenfalls prominent verteten:
      Affenpocken
      Alkhurmavirus
      Barmah-Forest-Virus
      Büffelpocken
      California-Encephalitis-Virus
      Chikungunyafieber
      Colorado-Zeckenfieber
      Östliche Pferdeenzephalomyelitis
      Ebolafieber
      Encephalomyocarditis-Virus
      European Brown Hare Syndrom
      Gelbfiebervirus
      Hanta-Virose
      Herpes B
      Hendravirus
      Hepatitis-E-Virus
      Humane Rotaviren
      Japanische-Encephalitis-Virus
      Krim-Kongo-Hämorrhagisches-Fieber-Virus
      Kuhpocken
      Kyasanur-Forest virus
      La-Crosse-Virus
      Lassa-Virus
      Louping-Ill-Virus
      Lymphozytäre Choriomeningitis
      Marburgvirus
      Maul-und-Klauenseuche-Virus
      Menangle-Virus
      Murray-Valley-Encephalitis
      Newcastle-Disease-Virus
      Noroviren
      Orf-Virus
      Pseudokuhpocken
      Rifttalfieber-Virus
      Ross-River-Virus
      SARS
      Schweinegrippe
      Sindbisvirus
      St.-Louis-Enzephalitis-Virus
      Tahyna-Virus
      Tanapox-Virus
      Tick-borne encephalitis-Virus
      Tollwut
      Venezuelan-Equine-Encephalitis-Virus
      Vesicular stomatitis virus
      Vogelgrippe
      Wesselsbron-Virus
      West-Nil-Virus
      Western-Equine-Encephalomyelitis-Virus

      Die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit durch BSE ist dabei noch nicht erwähnt, wie auch die vielfältigen allgemeinen Gesundheitsprobleme des westlichen Menschen, die durch zu hohen Fleischkonsum (mit)verursacht werden.

      Übrigens war mir das Zoonosen-Argument tatsächlich entgangen, dank Corona haben wir nun noch eines mehr.

      PS: Dennis Carroll: „These viruses inherently have the ability to mutate. What we’re looking at today isn’t necessarily what we’ll be looking at in a few months. It could become more deadly or it could attenuate and disappear, like the common cold. The big issue is, Are we tracking that? Do we have enough data and transparency and the availability of samples? What’s showing up in Iran? What’s showing up in Israel? What’s showing up in Italy? What’s showing up in the United States? Is there enough open transparency in real time that allows us to keep our finger on the pulse? I’m an internationalist. Figure out how to care for our people. Pay attention to communities around the world that need assistance. We’re all part of the same ecosystem. This is a global issue. We either prepare for it and respond to it in the context of a global lens, or we don’t. If our preparations and responses are country-centric, we’re in for some serious trouble.“

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      • Pérégrinateur schreibt:

        Gegenüber den Vorlieben ziehen rationale Argumente immer den Kürzeren, bzw. sie erweisen sich sehr bald als Rationalisierungen. Nicht einmal die Vorliebe für Nutz und Frommen des menschlichen Lebens und sogar des eigenen ist rational zu begründen. Alle Argumente in diesem Bereich sind hier gewöhnlich nur Appelle an die Konsistenz des vertretenen Meinungssystems und fallen deshalb, wie die Menschen nun mal meist beschaffen sind, ins Wasser.

        Aber defokussieren wir auch hier den Scheinwerfer. Die Evolution hat die Menschen vermutlich mit einem System von Antrieben ausgestattet, das auf ausreichende Nährstoffversorgung in jedem Sektor drängt. Kann man das wirklich durch eine selbstgewählte „gesunde Ernährung“ vorteilhaft ersetzen? Insbesondere beim Blick auf die filiforme, ernährungsfanatische Weiblichkeit kommen mir da gewaltige Zweifel. Vielleicht ist das Naturam expelles furca, tamen usque recurret in der Hinsicht noch ein Segen. Die Molkereindustrie ist wohl einem Bedürfnis gefolgt, als sie erst Magerjoghurts angeboten hat, danach aber immer mehr mit süßen Früchten in immer wilderer Mischung vermischten Joghurt. Welches Ausweichverhalten träte wohl ein, wenn wir auf Formfleisch-Maden umstiegen? Besonders gut schmeckt ja doch nur Protein von Tieren, mit denen wir nahe verwandt sind; schauen Sie nur, wieviele Menschen prinzipiell keine Pilze essen!

        Was ich Ihnen blank zugestehe: Wir essen wegen des Wegfalls der natürlichen Ressourcenknappheit zuviel von der Nahrung, für die wir keine natürliche Appetitbremse haben und werden deshalb zu fett. Gegenüber unseren Primatenvettern, deren seltene Protein-Leckerbissen Mäuse und Ratten sind, dürften wir aber eher weniger unter Zoönosen leiden.

        Die gewaltige Ausdehnung der Geflügelzucht in Ost- und Südostasien ging wohl mit einer Industrialisierung einher. Ich habe hierzulande bei der Putenaufzucht schon gesehen, wie das dann abläuft. Die Jungvögel für ein Gebäude werden zusammen eingestallt, automatisch gefüttert, zusammen ausgestallt und verkauft. Nach ein paar Runden baggert der Bauer den inzwischen meterhoch bedeckten Stallboden wieder frei. (Die Sedimentmischung sieht alles andere als appetitlich aus.) Wenn die Jungtiere genauso großtechnisch aufgezogen wurden und man in der gesamten Kette auf gute Isolation achtet, können Zoönosen viel besser verhindert werden als bei kleinbäuerlicher Aufzucht bei ständigen Kontakt mit Natur und anderen Nutztieren in allen möglichen experimentellen Zuchtanordnungen (für Zoönosen). Zudem ist die veterinärmedizinische Aufsicht zumindest prinzipiell leichter durchzusetzen und zu realisieren. Ich wäre deshalb nicht so sicher, dass wir wegen der Entwicklung in Asien wirklich mehr Seuchenzüge erwarten müssen als zuvor. Auch dürfte das jüngste Geschehen die chinesische Regierung sicher nicht gerade dazu verleiten, die veterinärmedizinische Aussicht zurückzufahren. Und wenn nicht, glauben Sie wirklich, dass die Welt folgen würde, wenn Deutschland wieder mal den cavalier seul machte und seiner entsagungsbereiten Bevölkerung Madenkost oktroyierte? Einen Wandelt gäbe es wohl erst, wenn ein attraktives Alternativangebot bereitstünde. Biotechnik voran – aber natürlich auf keinen Fall in Deutschland, die Industrie will uns doch nur umbringen!

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  3. Ich lese mit einer gewissen Genugtuung, dass meine zurückliegenden Kommentare nicht ganz spurenlos geblieben sind. Und kann natürlich nachvollziehen, dass man dennoch nicht einfach vom Glauben ablassen will. Bahro ist ein wirklich schlechter Gewährsmann, es sei denn man ist religiös motiviert. Die Nation hat allenfalls organisatorische Relevanz, das bildet sich aktuell deutlich ab. Aber in Krisenzeiten sind es die viel kleineren Einheiten, eben Familie, Nachbarschaft, vielleicht noch Kommune. Man muss nur einen Blick in die Endzeit des nationalistischen tausendjährigen Reiches werfen. Aber noch sind wir ja nicht im Krieg. Nation im Sinne eines Über-Organismus bleibt, was sie schon immer war: eine Fiktion, die wie alle Fiktionen zeitweilig funktioniert und Spuren in der Realität hinterlässt, niemals aber „Erfüllung“ sein kann. So groß kann der Mensch sein Subjekt nicht fassen. Vielleicht in „trunkenem“ Zustand, doch nicht, wenn er Herr seines Verstandes ist.

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    • @ Lynx

      Gerade die traditionelle Familie wurde aber systematisch zerstört und entwertet. In globalistischen Zeiten sind ihre Restbestände zudem auf die ganze Welt zerstreut. Der natürliche Generationenpakt existiert oft nur noch als Abstraktum (z.B. Rente, Versicherungen), die eigentlichen Familien können sich nicht mehr beistehen, weil sie räumlich und auch lebensweltlich getrennt leben. Umgekehrt sind die Familien- und Clanstrukturen in anderen Bevölkerungsteilen stark ausgeprägt – sie haben in Situationen wie dieser einen starken Überlebensvorteil, dürften sogar gestärkt daraus hervorgehen.

      Sie unterschätzen die Nation. Sie ist tatsächlich ein Wunder – Sloterdijk widmete sich dem immer wieder und fragte sich, wie etwas derart Großes so lange Bestand haben kann. Tatsache ist, daß es Bestand hatte und hat, was uns gerade jetzt wieder deutlich wird. Sloterdijk ging von einer „psycho-akustischen Inszenierung“ aus, einer „telekommunikativen Glocke“, von „Erregungsgemeinschaften“. Darin stecken beide Aspekte: „Inszenierung“ und „Glocke“ deuten auf den virtuellen Charakter hin: „Was es zu begreifen gilt, ist eben nichts anderes als der Umstand, daß es Nationen erst geben kann, wenn sie in einer bestimmten Weise und Hinsicht herbeigeredet werden.“

      Oberflächlich gelesen scheint dies den Dekonstruktivisten der Nation recht zu geben. Dabei übersehen sie (und Sie) den wesentlichen Fakt, daß die Nation dennoch existiert, historische Realität ist. Ihre materielle Grundlage ist- da es sich ja um ein Reden handelt – ein gemeinsamer Code, der sich aus gemeinsamer Sprache, Tradition und einem gewissen Mentalitätsgleichgewicht ergibt.

      Mehr noch: wenn das vage und volatile Medium „Herbeireden“ die Basis der Nation ist, wie viel vager und volatiler müßte dann erst eine „Europäische Union“ – als Großstaat und nicht als vertraglich und kapillar abgesicherter gedacht – sein? Ein Babel kann keine Nation werden – maximal ein Staat und das meist mit Gewalt in irgendeiner Form.

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      • Als Antwort auf seidwalk.

        Zunächst freut es mich, dass Sie Bahro vorerst zur Seite gelegt haben. Sloterdijk hat intellektuell mehr Gewicht, wenn er sich auch nur schwer und insbesondere ungern für politische Zwecke intrumentalisieren lässt (das weiß ich zufällig aus erster Hand), er denkt, schreibt und redet halt gerne und viel, mal stimmig, mal verläuft er sich. Ich bin in solchen Dingen Materialist und sehe, dass die Nation als Ordnungssystem durchaus funktioniert, „Erregungsgemeinschaft“ klingt für mich bedenklich.

        Was die Familie angeht: in vielen Familien gibt es die von Ihnen beschriebenen Phänomene, in vielen Familien gibt es sie (noch?) nicht. Ich kenne alle Varianten und könnte von keiner sagen, dass sie eine Mehrheit abbilden würde. Im näheren Umfeld dominieren aber ganz klar die traditionellen, sehr stabilen Familienstrukturen und erweisen sich als viel persistenter als angenommen (was womöglich bereits wieder ökonomische Gründe hat, wie seit jeher).

        Mit der Nation ist es in gewisser Weise so wie mit dem Modell der Erde als Scheibe: so lange man es nicht besser weiß, ist das eine funktionierende Vorstellung. Selbst dann, wenn man es schon besser weiß, sprich neue Erkenntnisse hat, kann das Modell immer noch gut funktionieren, wie z. B. in der Alltagskartographie: flache Karten sind viel praktischer als leicht gekrümmte. Zumindest derzeit noch. Dennoch bedienen wir uns zugleich auf höherer Ebene des aktuellen Kenntnisstands der Welt als ungefähre Kugel. Sozusagen eine subsidiäre Arbeitsteilung in der Geographie.
        Das Wissen schreitet fort, auch die Fähigkeit von Menschen, sich in Verbünden zusammenzuschließen: Familie, Sippe, Dorf, Landschaft, Region, Nation, Supernation. Die Stabilität der Nation zu beschwören zeugt doch irgendwie von einem verkürzten Zeithorizont. Seit wann gibt es Nationen im klassischen Sinn. 200 Jahre? Was ist das schon? Unter normalen Umständen: ein Durchgangsstadium, wie alle vorherigen Aggregatszustände von Gesellschaften auch.

        Übrigens zeigen sich ja, just in time, die hässlichen Seiten der Nation und des Nationalismus. Für mich aktuell herausragend: der Versuch Trumps, ein Tübinger Labor exklusiv zu übernehmen. Da ist nun tatsächlich zur Not sehr rabiater deutscher Nationalismus gefragt. Besser aber die Verpflichtung auf den Multilateralismus, davon würden wir letztlich am meisten profitieren.

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        • Pérégrinateur schreibt:

          Als Antwort auf lynx.
          Die zweihundert Jahre sind zu wenig, Vor schon über 550 Jahren verfolgte zum Beispiel eine kriegerische Lothringerin das Programm « de bouter dehors les Anglois » , also die Engländer aus Frankreich herauszuschmeißen. Und etwa fünfzig Jahre später trieb der Gedanke, wie man die fremden Mächte aus Italien vertreiben könnte, Machiavelli zu seinem schriftstellerischen Werk an. Sie sehen, selbst bei einer der sprichwörtlich verspäteten Nationen wie der italienischen reicht die wirksame Nationalidee sehr viel weiter zurück. Weitere Beispiel auch außerhalb Europas sind zur Genüge zu finden. Dem General Giap wurde nach dem Vietnamkrieg in einem Interview von einem amerikanischen Journalisten die Domino-Theorie als Kriegsgrund Amerikas aufgetischt. Er hielt dem entgegen, Vietnam habe alle seine vorigen Kriege gegen China geführt und er fragte rhetorisch, ob die Amerikaner denn keine Geschichtsbücher läsen? Ein Manko, das auch woanders besteht. Zum Beispiel gint es da die politologisierende Pro-EU-Lobbyistin Ulrike Guérot, die vor einiger Zeit meinte, die deutsche Nation gebe es erst seit den Bismarckschen Sozialreformen. Sie ist offenbar intellektuell ein Opfer des Gedankens, die Nation falle mit dem Sozialstaat ineins; von ferne her hört man da noch das Kommunistische Manifest nachhallen, wonach alle bisherige Geschichte die Geschichte von Klassenkämpfen sei.

          Motto: Was ich nicht weiß oder was mich nicht heiß macht, das gibt es auch gar nicht.

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  4. Parkgänger schreibt:

    Im Osten ist die AfD keine Partei der alten Leute. Das haben die zurückliegenden Landtagswahlen und bereits die Bundestagswahl gezeigt. Eine kurze Recherche der Primärquellen (Wahlumfragen der Institute) und der Sekundärquellen im Netz (nach Ursachen orakelnde Presse) reicht um dieses Bild zu korrigieren.
    Bleibt alle schön gesund, liebe Landsleute, von Alt bis Jung und Links bis Rechts!

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  5. Tommy schreibt:

    „Unter allen Parteien müßte die AfD langfristig das Corona-Virus am meisten fürchten. Denn die zu erwartenden 300 000 bis 600 000 Toten – bei voller Durchseuchung – stammen aus jener Alterskohorte, aus der der Partei bei Wahlen die meisten Stimmen zuwachsen.“

    Glaube nicht, dass das so stimmt, die AfD-Wählerschaft ist ja durchaus ausgeglichen in ihrer Alterszusammensetzung und erzielt, abgesehen von den ganz jungen, auch gerade bei der berufstätigen Bevölkerung recht gute Ergebnisse. Stark überaltert in ihrer Wählerstruktur sind eher die Unionsparteien und die SPD, das sind tatsächlich Rentnerparteien, deren Wähler oft einfach nur aus gedankenloser Gewohnheit das wählen, was sie wahrscheinlich auch schon vor 40 Jahren gewählt haben. Etwas zynisch formuliert (und ich möchte ausdrücklich betonen, dass ich mir das NICHT wünsche): Das politische Personal von CDU/CSU und SPD könnte durch sein eigenes eklatantes Versagen in der Corona-Krise erheblich zum Niedergang ihrer Parteien beitragen, weil größere Teile ihrer Stammwählerschaft durch den Virus buchstäblich wegsterben könnten.

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    • Zur AfD und Wählerkohorte: Die Kritiker haben recht – hier bin ich einem persönlichen Mythos aufgesessen. Die CDU wäre im jetzigen Zustand die größte Verliererin. Die Aussage ist insofern korrekt, als der konservative Block – sofern man die CDU/CSU dazu zählen will – geschwächt werden dürfte und vor allem die Grünen, z.T. auch die Linke, „profitieren“ würde.

      Die Studie „WAHLVERHALTEN BEI DER BUNDESTAGSWAHL 2017 NACH GESCHLECHT UND ALTER“ (S. 146ff.) kommt zu folgendem Schluß:

      „Von 100 Wählerinnen und Wählern waren 63Männer. Insgesamt war über die Hälfte der Wähler-schaft der AfD zwischen 45 und 69 Jahre alt, die jüngste und älteste Altersgruppe waren jeweils gemessen an allen Wahlberechtigten demgegenüber unterdurch-schnittlich vertreten. In der Kombination von Geschlecht und Altersgruppe waren vor allem die 45- bis 59-jähri-gen Männer stark vertreten: Sie allein machten 22,5% aller AfD-Wählerinnen und -Wähler aus.Gegenüber der letzten Bundestagswahl 2013 hat sich insbesondere die Wählerschaft der LINKEN, GRÜNEN und der FDP verjüngt, während die der CDU, CSU und SPD weiter gealtert ist.“

      Das Bild ist also uneindeutiger, als von mir gezeichnet. Ich habe den Abschnitt verändert. Ursprünglich stand hier – darauf beziehen sich die Kritiken von „Tommy“ und „Parkgänger“:

      „Unter allen Parteien müßte die AfD langfristig das Corona-Virus am meisten fürchten. Denn die zu erwartenden 300 000 bis 600 000 Toten – bei voller Durchseuchung – stammen aus jener Alterskohorte, aus der der Partei bei Wahlen die meisten Stimmen zuwachsen. Eine statistische Verjüngung der bundesdeutschen Wählerschaft führt zwangsläufig zu irgendwas in Rot und Grün. Die zynische Konsequenz dieser Einsicht überlasse ich den Aktivisten.“

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      • Michael B. schreibt:

        Ich finde es leider nicht wieder, aber die ersten Artikel unter dem Tenor „Jetzt kommen die 40- bis 45-Jaehrigen dran“ sind schon erschienen. Insofern…

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  6. Michael B. schreibt:

    > enthalten ein inneres Vegetarismus-Gebot.

    Ich denke, es ist etwas komplizierter:

    http://nautil.us/issue/83/intelligence/the-man-who-saw-the-pandemic-coming

    aber ein vergleichbarer Gedanke zu Essgewohnheiten als Ursache kommt auch in diesem Artikel vor. Ich hatte einmal eine chinesische Freundin. Originalton: „Wir essen alles, was vier Beine hat und kein Tisch ist“. Und mehr, moechte ich mit Kenntnissen von seafood-Maerkten aus der Gegend ergaenzen, die mich trotz akzeptabler Faunakenntnisse in diesem Bereich oft ratlos bzgl. des Inhaltes dastehen liessen. Trotzdem loest die Pflanze als solche natuerlich das Problem auch nicht. Frueher gab es Mutterkorn, heute weiss der Teufel was fuer Bestandteile, die auch nur in Grenzen gesund sind.

    Interessant uebrigens auch die Bemerkungen zur Notwendigkeit internationalen Vorgehens, dort wo es [auch nach meiner Meinung] noetig ist.

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