(Konservatives) Denken und seine Fehler

In den Sommerferien genehmige ich mir gern ein Buch, das ich sonst nie gelesen hätte. Es ist wie beim Schatzsuchen – man hofft auf einen seltenen Fund … und wird doch meist enttäuscht.

In den letzten Wochen war eine neue Stimme im Forum der „Sezession im Netz“ zu lesen. Ich folge diesem Blog seit Jahren, wenn auch mit abnehmendem Interesse. Es war das inhaltlich stärkste mir bekannte Forum, hat durch den Verlust einiger Hauptdiskutanten und den Zuzug einiger selbstverliebter Vielredner gerade an Substanz verloren. Nun also diese neue Stimme, die durch einige originelle Äußerungen auffiel. Eine kurze Suche im Netz führt mich zu einem soeben erschienen Buch im Selbstverlag.

Selbstverlag ist immer schon ein bißchen verdächtig und Lektorate haben einen guten Grund. Man wird das Gros des Lesenswerten – es ist ja, gemessen am Gesamtvolumen, sehr wenig – wohl doch nur bei gestandenen Verlagen finden; dennoch: es liegen irgendwo noch ungehobene Schätze …

Das Buch enttäuschte – ich nehme es vorweg. Es leidet an einem typischen Fehler geisteswissenschaftlichen und leider oft auch rechten Schreibens, von denen ich zwei artverwandte hier kurz vorstellen möchte.

Die Autorin will uns von einer großangelegten, die gesamte Geschichte durchziehenden Manipulation der Massen überzeugen und da wird man schon stutzig. Nicht, daß Massen seit eh und je manipuliert werden, das ist vollkommen banal, wenn aber jemand eine Kontinuität, eine manipulatorische Identität annimmt, also ein handelndes Subjekt, das trotz der Jahrtausende und der vielen Generationen mehr oder weniger es selbst bleibt, dann wird es schnell haarig.

Anfangs konnte sie mich noch durch ein überbordendes Wissen in kirchengeschichtlichen Fragen oder ein paar gute Gedanken zur Differenz von „Kosmos“ und „Äon“ bei Jesus oder die Trinität oder den Irrtum des radikalen Feminismus oder ihr Wissen über den Jesuitenorden oder eine gewisse Neubewertung des Nationalsozialismus narren, aber immer wieder tauchen Sätze wie der folgende auf, die mich komplett abstoßen:

„Eine auf totale Weltmacht versessene Elite handelt seit den Tagen Konstantins mit mörderischen Denkvorgaben, seit dem 16. Jahrhundert parallel zu einer schleichenden Seelenprogrammierung oder, modern gesprochen ‚Gehirnwäsche‘. In der Administration immer seltener durch strukturklare Gesetze, wovon auch der ominöse ‚UN-Migrationspakt‘ ein weiteres, absurdes Zeugnis ist …“ (157f.)

In einem Satz von Konstantin über die Jesuiten zur UN. Oder von Jesus über Hitler zu Sarrazin. Oder von der Katholischen Kirche über Coudenhove-Kalergi – wenn dieser Name fällt, ist höchste Wachsamkeit geboten! – zur EU oder den Habsburgern. Naja, ich übertreibe etwas, aber im Prinzip geht es so.

Es sind immer „Mächte“ am Werk, von denen wir nie erfahren, wer sie personal sind. Sie wirken überall. Selbst die AfD ist eine Systempartei, Pegida, die Gelbwesten, der IS, die Flüchtlinge, Greta, der NSU … alles „wirkt wie eine (große) Choreographie“ mit dem Ziel „die Gesellschaft zu spalten“ oder „Haß zwischen den Völkern“ zu säen. Was ist das Ziel dieser Spaltung? Die Herrschaft, die Macht. Wessen Macht? Die Macht der Mächte. Oder „die global vollendete ‚neue Ordnung‘“. „Es ist ein dialektisches Spiel, und nur wenige Deutsche durchschauen es.“ (290)

Und dieser Satz, den es in vielen Varianten gibt, ist ein untrügliches Zeichen für ein verschwörungstheoretisches Werk; die Konspirationisten immunisieren sich mit diesem Argument ganz sicher selbst, denn jeder, der nicht sieht, was sie sehen, ist blind oder eben manipuliert. Und das betrifft natürlich auch mich und diese Kritik.

Dabei will ich auf den Verschwörungskram, dem die offene Auseinandersetzung mit der Geschichtsphilosophie fehlt, gar nicht eingehen. Oben angekündigter Denkfehler ist ein ganz anderer. Es ist dieses freie Vagieren und Flottieren und das gibt es in mindestens zweierlei Form. Es gibt eine Poker-Variante und eine akademische.

Im vorliegenden Buch wird gepokert. Mit jeder neuen Ableitung, mit jeder neuen Schleife wird der Einsatz erhöht, der Eindruck geschaffen, man besäße ein Bombenblatt – doch dieses wird nie aufgedeckt. Die Autorin schafft ein Labyrinth, das keine Tiefe, sondern nur Ebene und Höhe hat. Begründungen werden also nicht verwurzelt, sondern verluftet – die Abstraktionsebene gehalten oder sogar erhöht.

An allen kritischen Kreuzungen wird nicht nach dem Herkommen, sondern nach dem Ziel gefragt und da man in diesem Fall die große Konspiration nachweisen will – es funktioniert auch bei anderen, seriöseren Themen –, muß statt einer Begründung ein weiterer verdächtiger Fall eingeführt werden. Reale Fragmentierung wird als heimliche Zentralisierung gedeutet, dort, wo man keine Zusammenhänge sieht, müssen sie umso mehr vorhanden sein: sie wurden dann nur umso besser versteckt. „Jeder unabhängige Geist, wo immer er steht, wird systematisch ignoriert oder isoliert“ (299) und das funktioniert selbstredend auch im Umkehrschluß: Wer repräsentiert, also sichtbar ist, kann kein unabhängiger Geist sein.

So hangelt sich dieses Denken von einem Raunen zum nächsten und wenn man dann einen ganzen satten vielstimmigen Chor zusammen hat, der alles übertönt, dann hat man den Beweis der Richtigkeit erbracht. Allein, man weiß noch immer nicht wovon!

Ein anderer Denkfehler kann ebenfalls auf dem SiN-Forum studiert werden. Sein Protagonist ist der Teilnehmer „Maiordomus“, ein vollkommen durchstudierter Mann, der vermutlich unter einem absoluten Gedächtnis leidet. Bei ihm, dem habituellen Akademiker, funktioniert das Ganze meist umgekehrt. Es genügt, einen  beliebigen Satz zu zitieren:

„Was Sie ausführen über virtù bei Machiavelli, die republikanische Tugend als Voraussetzung einer in der Realität funktionierenden Verfassung, ist das schon um 1905 theoretisch auf den Punkt gebrachte protestantisch-westliche Arbeitsethos nach Max Weber, das interessanterweise aber schon im vorprotestantischen Italien der Renaissance seine Urstände feierte; in jenem Jahrhundert, da Papst Martin V., gewählt am 11.11. 1417 in Konstanz, das Zinsverbot lockerte und damit die Grundlagen des Kapitalismus schuf, eines Systems wiederum, das nach Wilhelm Röpke ohne „Tugend“-Kriterien „Jenseits von Angebot und Nachfrage“ (Buchtitel 1957) keine Zukunft haben kann.“

Auch hier wird regelmäßig ein Labyrinth geschaffen, aber eines mit Wurzeln und Kapillaren. Der Diskutant kommt vom Hundertsten ins Tausendste, von einer allgemeinen These zum Urschleim in einem Satz, ist Opfer seines überbordenden Wissens oder der unwillkürlichen Schaltungen seiner Synapsen. Konjunktions- und Adverbschlangen sind das Signum dieser Aneinanderreihungen, sie brauchen konstitutionell Worte wie „wiederum“, „desweiteren“ „allerdings“, „wobei“, „wiewohl“ und dergleichen, die man – will man gutes Deutsch schreiben – bedächtig einsetzen sollte.

Auch hier haben wir also ein freies Flottieren, aber nicht nach oben, sondern nach unten. Es wird immer auf Wissen, auf noch spezielleres  rekurriert, vor dem man ehrfürchtig steht, dem letztlich aber jegliche Botschaft und Aussage abhanden gekommen ist. Heraklit hatte diesen Typus mit einem frühen Bonmot bereits erledigt: „Vielwisserei bringt noch keinen Verstand“.

Im ersten Fall findet man fast nur Abstraktionen, im zweiten fast keine. Beides fällt unter die heideggersche Kategorie des „Geredes“, mehr noch, des Redeschwalls. Man fürchtet irgendwann, diesen Leuten in persona zu begegnen, denn wenn sie so reden wie sie schreiben, dann sitzt man da ein paar Stunden und kommt nicht mehr weg, ohne ganz unhöflich zu sein und als gänzlich verbohrt zu gelten. Dieser Typus Mensch spricht aus – oder schreibt auf – was ihm gerade in den Sinn kommt.

Das Ganze ist eigentlich hochgradig tragisch: Beide könnten großartige Köpfe sein und sind es vermutlich auch, beide sind klug und gebildet, aber beiden fehlen wesentliche konservative Urtugenden: Ordnung, Disziplin, Genügsamkeit!

Quelle: Hanna Jüngling: Das Schillern der Dinge. Karlsruhe Juli 2016

10 Gedanken zu “(Konservatives) Denken und seine Fehler

  1. Ich finde den Punkt „Verschwörungstheorien“ interessant auch in Bezug auf den Islamismus. Wie es die Autorin Gudrun Harrer in „Nahöstlicher Irrgarten“ auf den Punkt gebracht hat: „Nirgends anders ist das Gefühl, Spielball von fremden Mächten zu sein, so stark ausgeprägt wie im Nahen Osten.“
    Doch entspringen Verschwörungstheorien wirklich „konservativem“ Denken oder zeigen sie nicht vielmehr, wie sehr selbsternannte Traditionalisten von ihrer eigenen Tradition entfernt sind (der Glaube an eine göttliche Vorsehung).

    Vielleicht hat es Karl Popper gut auf den Punkt gebracht, als er sagte: „Die Verschwörungstheorie der Gesellschaft entsteht dadurch, dass man Gott verlässt und dann fragt: „Wer ist an seiner Stelle“?“

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    • Stefanie schreibt:

      Der letzte Satz, verdreht den Kernpunkt der Verschwörungstheorien: Derjenige, der hinter sämtlichen Verschwörungen steckt, ist natürlich nicht Gott, sondern sein Widersacher.

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      • Pérégrinateur schreibt:

        Vielleicht war die Menschheit noch besser bedient mit dem naiven Polytheismus, der aus der animistischen Deutung der Elementarkräfte entstanden ist – Vulkan, Sturm, Regen, Blitz, Donner usw., jede Kraft hatte ihre eigene Willensursache. In einem solchen Weltbild streiten die Höheren Herrschaften heftig auch untereinander, siehe etwa die Ilias, in welcher der verdroschene Kriegsgott mit dem Gebrüll von zehntausend Stieren vom Schlachtfeld flieht.

        Sobald aber das gesamte numinose Personal auf den einzigen Welthausmeister zusammengezogen ist, neben dem allenfalls noch im Kellergeschoss der calibaneske Weltkohlenklau ein minderes Mitwirkungsrecht genießt, dann liegen vermutlich in zweiter, umgekehrter Projektion auch die Totaldeutungen des innerweltlichen Geschehens aus einem einzigen Punkte näher.

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  2. Michael B. schreibt:

    >> […] In jedem Fall müsste man eine Perspektive von mehreren hundert Jahren einnehmen.“

    > Dieser Satz bestätigt doch kongenial meine Poker-Theorie: es wird vom Großen aufs Größere verwiesen.

    Das kann man verschieden lesen. Fuer mich kam das eher in der versoehnenden Variante des „ich will euch mit dem ‚albern‘ mal nicht ganz vor den Kopf stossen“ an.
    Aber sei es drum. Es ist wieder ein in gefuehlt jedem Beitrag ins Essay ausufernder Schreiberling mehr unter den Kommentatoren dort. Fuer mich wird diese Drechselei immer fragwuerdiger, generell zu viel Eitelkeit / Abarbeitung von undurchsichtigen Befindlichkeiten dabei. Der Hausmeier scheint ja – zumindest im Moment – nach dem n-ten Anlauf seine Ankuendigungen zur Enthaltung in Handlung umzusetzen und sich damit seinen eigenen proklamierten Strengeanforderungen auch einmal in Person anzunaehern.
    Generell blitzt immer einmal sehr erhellend aeusserst bemerkenswerte Feigheit dieser staendig in wichtige und hehre Kaempfe in virtuellen Schuetzengraeben verwickelten Kommentatoren auf (jetzt nicht zwingend auf zeitschnur bezogen), die mich gelegentlich frappierend dastehen lassen. Die Anlaesse sind oft so nichtig, dass man nur den Kopf schuetteln kann. Vielleicht ist auch der Nihilismus derart ueberwaeltigend, was allerdings kein gutes Zeichen fuer das Weltbild selbst darstellt.
    Die einfachen aber stringenten Stimmen sind dann fast eine Erfrischung, so wie unter den Kommentaren letztlich zu den Ereignissen vor diesem Haus in Halle: „Wir waren dort, alles gut und schoen. Aber jetzt kommt mal wieder runter, statt die 300 anwesenden Hanseln als grossen Erfolg hochzuschreiben“

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    • Sie haben wohl mit Ihrer Lesart recht – das war die „versöhnende Variante“; ich habe da zu sehr mein eigenes gesehen.

      Im Kommentar finde ich sie dennoch immer wieder originell, viel besser als im Buch. Diese Diskrepanz verstehe ich nicht. Der verlinkte Artikel ist ebenfalls von geringerem Niveau. Warum aber sollte jemand sein Niveau senken, wenn er mit Klarnamen arbeitet und es unter Pseudonym anheben?

      Prinzipiell leidet das SiN-Forum an den gleichen Krankheiten wie (fast) jedes andere. Es wird in der Regel kaum auf den Initialbeitrag eingegangen, stattdessen wird oft ein einziger Gedanke, ein Satz, ein Triggername herausgegriffen und dann das eigene Steckenpferd geritten. In der Regel springt jemand auf oder andere lassen sich aus dem Sekundärbeitrag triggern usw. und schon hat man eine oder mehrere Pseudodiskussionen, in denen zudem einige Teilnehmer nur ihr „Wissen“ – das sie oft tatsächlich haben – unter Beweis stellen wollen. Da es auch ein paar von einem – ich meine dem – einzigen Thema Besessene gibt, endet es oft in den immer gleichen Tiraden. Man ist darüber bei den Veranstaltern wohl alles andere als glücklich.

      Insgesamt ist das Forum ein Zeichen dafür, daß man sich in der Regel nicht mit anderen Menschen gepflegt unterhalten kann – aber es ist dennoch gehaltvoller als das meiste andere. Die Unfähigkeit zu diskutieren ist freilich allumfassend und überparteilich.

      Dieser Tage stand ich in einem Antiquariat und hielt ein Buch des Maiordomus in der Hand, preiswert zudem. Dort schien er akzeptables Deutsch geschrieben zu haben – ich habe es trotzdem nicht genommen, war zu sehr vom Forum geprägt und abgeschreckt.

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      • Michael B. schreibt:

        > Es wird in der Regel kaum auf den Initialbeitrag eingegangen,

        Das ist steuerbar. Ich bin sehr lange in diesem Internet unterwegs (seit Anfang der Neunziger Jahre). Es tummelten sich auch damals Leute mit in jenem Fall z.B. sehr ruppigen, bewusst provozierenden oder eben auch abschweifenden Umgangsformen. Und seeehr entflammbar fuer die eigene Meinung.
        Mit Moderation, was ja SiN durchaus betreibt, und die durchaus auch im Stil ‚benevolenter Diktatoren‘ als Moderationsprinzip – was noetig ist und gerade bei der konservativen Klientel dort trotz des Hanges zum Abdriften akzeptiert werden sollte – liesse sich das aber wieder auf den Punkt bringen. Man kann auch einmal jemand fuer einen gewissen Zeitraum sperren und abkuehlen lassen. Ressourcen sind rar, aber wenn man schon moderiert, dann kann man es auch gleich richtig tun. Das eindimensional lineare Format macht es auch etwas schwieriger als vielleicht noetig.

        Grundsaetzlich spiegelt sich natuerlich auch die gesellschaftliche Situation in ihrer Auspraegung einer derart prinzipiellen Haltung zur (Nicht-)Auseinandersetzung vertikal durch alle Schichten hindurch, dort besonders deutlich wieder. Denn nahezu jeder Schreiber bringt seine eigenen Erfahrungen mit seinem Umfeld in frustrierter Form mit, da muss viel von der Leber. Und die aktuelle Situation ist eben bei diesen Themen aus meiner Lebensperspektive heraus betrachtet doch beispiellos. Gerade die Risse bis in die Familien hinein, das verbissene (*) Ablehnen jeglicher Diskussion – ich kann mich auch aus DDR-Zeiten heraus keiner solchen umfassenden Kluft erinnern. Einzelfaelle ja, Verweigerung als gesamtgesellschaftliches Merkmal, nein.

        (*) Eigentlich nicht das richtige Wort. Es ist eine Art und Umfang von Konsequenz des Ignorierens, die mich oft fast sprachlos laesst.

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  3. Gebe bei weitgehender Zustimmung bloß zu bedenken, daß das mit den „Verschwörungstheoetikern“ noch einen Haken hat, weswegen ich dieses Etikett selber zu vergeben stets vermeide.
    Es ist nämlich mit diesem Etikett elegant möglich, bestimmte Gedanken auch über weite Zeiträume für unäußerbar zu erklären. Wagt es jemand, sie zu äußern, wird ihm das V-Etikett aufgeklebt. Das Miese an dieser Vorgehensweise ist, und zwar egal, wer sich ihrer bedient, rein argumentationslogisch, daß sich damit „Verschwörungstheoretiker“ selber durch einen Fehlschluß legitimieren: „Weil es tabu ist, ist es die Wahrheit, die keiner wissen kann außer mir“, sie also unglaubwürdig werden, UND ihr Befund trotzdem stimmen kann. In unserem speziellen Falle könnte die Autorin also sehr genau wissen, welche „Mächte“ das sind, und es aus den genannten Gründen nicht sagen, was wiederum den Eindruck vermittelt, hier komme ein pokernder V-Theoretiker vom Hölzchen zum Stöckchen.

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    • Pérégrinateur schreibt:

      Das Ärgenis ist, dass die Begriffsbildner gewöhnlich auf die durch das deutsche System der Nominalkomposition erwartbare Wortbedeutung pfeifen. Ein Arbeitgeber gibt keine Arbeit, sondern nimmt sie, was er dem Arbeitnehmer gibt, der sie wirklich gibt, ist ja doch die Stellung. Ein Antisemit hegt gewöhnlich keine Feindschaft gegen alle Sprecher semitischer Sprachen, sondern nur gegen Juden, und zwar ganz gleich, on die nun hebräisch sprechen oder nicht.

      Ein nicht weiter charakterisierter Verschwörungstheoretiker ist, strikt das semantische Produkt der Wortkomposition genommen, eine Person, die Theorien über eine oder mehrere Verschwörungen oder vermeintliche Verschwörungen hat. Zum Beispiel übte sich der Kardinal von Retz in seiner kleinen Abhandlung über die Verschwörung des Grafen Fiesco in Genua als Verschwörungstheoretiker, nachdem er selbst einiges an Erfahrung in der Verschwörungspraxis der Fronde erworben hatte, und man kann nicht sagen, dass das Ergebnis des Theoretisierens, einen gewissen zeittypischen hagiographischen Zug abgerechnet, ihm Unehre machte.

      Da es Verschwörungen wirklich gibt, ist das Theoretisieren darüber selbstverständlich sinnvoll und legitim. Das Wort „Verschwörungstheoretiker“ wird aber meist ziemlich einschränlkend und zudem etwas schief so verwendet, dass man damit einen Menschen bezeichnet, der obsessiv an eine einzige, alles durchziehende Weltverschwörung glaubt und jede Kritik an seinen Gespinsten wiederum in sie einbaut, der nach jeder unabweislichenWiderlegung einer von ihm behaupteten Bestrebung gleich eine noch perfidere Absicht unterstellt, dass die von ihm vorher noch felsenfest behauptete Bestrebung nur zur Täuschung des Publikums eben doch nicht verfolgt wurden sei usw. Dergleichen Volk ist unbelehrbar und ziemlich ermüdend, aber zum Glück durch die obsessive Natur ihres Vorbringens sehr leicht zu erkennen. Diese Obsession, das Totalisierende und die animistische Sichtweise, hinter wirklich jedem Ereignis eine wirkende Absicht zu unterstellen, sind die Hauptmerkmale dieser Menschenklasse, sie treten aber in der leider gebräuchlichen Bezeichnung für sie gar nicht auf.

      Bezeichnenderweise ist auch der Ausdruck „Nichtverschwörungstheoretiker“, im selben Sinne genommen, völlig ungebräuchlich, nämlich für das Leugnen offensichtlicher Verschwörungen. Wie war das noch mit dem humanitaristisch legitimierenden Begleitchor, als in den USA und weltweit vor dem Beginn des letzten Irakkrieges die öffentliche Meinung kriegsbereit gemacht wurde? Ehre wem Ehre gebührt, Herrn Richard Perle kann man dieses rarere und deshalb vielleicht nicht ganz so billige Etikett billigerweise nicht anheften.

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    • Der Begriff der „Verschwörungstheorie“ ist – wie wir nun aus argumentationslogischer und semantischer Sichtweise gesehen haben – an sich unglücklich, das sehe ich sofort ein. Er ist durch seine mehrfache Selbstimmunisierungspotenz widersprüchlich und führt schnell ins Paradoxe. So könnte zum Bsp. der „Verschwörungstheoretiker“ seinem Kritiker – die die Zusammenhänge „leugnet“ oder nicht sieht – jederzeit der Verschwörungstheorie verdächtigen, die es – durch bestimmte Mächte und Interessen legitimiert – verbietet, Verschwörungen aufzudecken und also Verschwörungstheorien per se zu verhindern.

      Zudem wird der Begriff ja auch „instrumentalisiert“. Der Begriff des „Bevölkerungsaustausches“ – den ich für wenig geglückt erachte, der aber eine Tatsache beschreiben soll, nämlich den „demographischen Wandel“ oder die „Ersetzungsmigration“ – wird ja nun auch mit diesem Etikett beklebt und damit massenmedial verunglimpft. Aber zwischen der „jüdischen Weltverschwörung“ und dem demographischen Wandel besteht nun mal ein massiver kategorialer und sachlicher Unterschied, in etwa wie zwischen „Mutterkuchen“ und Mutters Kuchen.

      Ich habe den Begriff hier im volkstümlichen Sinne verwandt und ich meine, jeder kann verstehen, welche Bedeutung er hat, zumal ich mehrfach auf den Versuch, eine historische und personale Identität zu konstruieren eingegangen bin.

      Im Übrigen war das ja nur ein Nebeneffekt der Argumentation. Mir ging es weniger um die Verschwörung als um das unsaubere Denken. Jeder soll das Recht haben nach seiner Facon Theorien aufzustellen und zu verbreiten und jeder soll das Recht behalten, diese für Unsinn zu halten. Letztlich ist es ein Aufklärungskampf. Ich lasse mich gern von allem überzeugen, wenn es denn überzeugend ist. Umgekehrt äußere ich meine Zweifel. Ein Diskurs …

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    • Michael B. schreibt:

      > Kalergi

      Die Autorin zeigt ironischerweise hier eine ganz aehnlich skeptische Haltung zu Verschwoerungstheorien:

      https://charismatismus.wordpress.com/2018/01/10/warum-merkels-asylpolitik-weder-dem-wohl-der-deutschen-noch-der-migranten-dient/

      Seidwalk: „Die Angst vieler kritischer Deutscher, irgendwelche „Drahtzieher“ wollten die einheimischen Bevölkerungen vermischen und zerstören, rekurriert zwar auf entsprechende alberne ideologische Ideen, die es gibt („Kalergi“-Plan), aber die Geschichte zeigt, dass solche Vermischungen, wenn überhaupt, nur sehr schleppend oder auch gar nie geschehen. In jedem Fall müsste man eine Perspektive von mehreren hundert Jahren einnehmen.“

      Dieser Satz bestätigt doch kongenial meine Poker-Theorie: es wird vom Großen aufs Größere verwiesen. So kann man die Verschwörung ablehnen, indem man sie in eine größere einbindet.
      Trotzdem ist ja die Rede vom „schmutzigen Spiel“ und, ganz typisch, vom „stutzig machen“. Die Verschwörung wird auch als solche akzeptiert, nur für kurzfristig unwirksam erklärt.

      „Ich weiß nicht, welch schmutziges Spiel hier gespielt wird, aber eines weiß ich: Niemals verlassen Millionen ohne „Schiebung“ und Lügen und Terror oder weil man sie zu Hause regelrecht nach Deutschland „entsorgt“, ihre Länder.

      Für letzteres spricht das Problem, dass Herkunftsstaaten ihre Bürger nach Ablehnung des Asylantrages hier nicht mehr „zurücknehmen“. Auch dieses Detail sollte uns doch stutzig machen. Das ist ein völkerrechtlichen Novum und auch ein krimineller Akt seitens der Länder.“

      Ich könnte mir jetzt die Mühe machen, ein paar längere Passagen zu Coudenhove-Kalergi zu zitieren, die ihn etwa mit Merkel oder Sarrazin, die sexuelle Revolution, die EU, die „im Sinne CK die derzeitigen Völker verändern wolle, den „westlichen Rassismus“ der im Sinn von CK „subtiler wirkt etc. in Verbindung bringen, aber es genügt ein Blick ins Personenregister: dort ist der Name – nach Jesus Christus – der wohl zweithäufigste.

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