Ignazio Silone: Vino e Pane

Pensare con la propria testa oder: Der Sozialismus als Gottesdienst. Rezension eines Klassikers

Das ist das Signum eines wahren Meisters: einfach erscheinen lassen, was letztlich hochkomplex und -kompliziert ist. Erst wenn man über dieses Meisterwerk rückblickend reflektiert, wird einem der enorme Anspruch bewußt, denn oberflächlich besehen hält sich Ignazio Silone an sein Credo des kongenialen Vorwortes: „In quanto allo stile, mi pare che la suprema saggezza nel raccontare sia di cercare di essere semplice.“


Selbst seine Hauptfigur, der illegale Kommunist Pietro Spina, stellt auf den ersten Blick einen rein positiven Helden dar, etwas, das man in der ernsthaften modernen Literatur fast schon ein Sakrileg nennen könnte. Er ist gezwungen, sich in Duce-Zeiten in den Talar des Priesters zu kleiden, versteckt sich in einem abruzzischen Bergkaff, dort, wo die Menschen, die „Cafoni„, seit Generationen alle Hoffnung auf gesellschaftlichen Wandel verloren, ja, nie gehabt haben, „povera gente la cui capacità di sofferenza e di rassegnazione non aveva veramente limiti, abituati a vivere isolatamente, nell’ignoranza, nella diffidenza, nell’odio sterile delle famiglie.

Silone liebt diese trockene, rauhe, kantige Heimat, an ihr schärft er seine Sprache, er beschreibt sie in wundervollen Bildern und haßt zugleich deren Rückständigkeit. Freilich gibt dieser Konflikt – der Kommunist im Priesterrock unter faschistischer Entgeisterung – jede Menge Gelegenheit mit vollem Sarkasmus und reicher Ironie, die auch vor der eigenen Person nicht halt macht, eine vielfältige, im Grunde genommen trinitarische Wahrheit auszuposaunen: der Faschismus ist die Rettung nicht, der Kommunismus auch nicht und auch die Kirche kann es nicht richten.

Mit diesem Roman verabschiedet sich Silone vom moskautreuen, orthodoxen Marxismus; der wahre Heilige des Buches sagt über Don Paolo, alias Pietro Spina: „Il socialismo è il suo modo di servire Dio“ – aber auch das stimmt zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr.

Was also bleibt? Der einzelne Mensch! Er kann in diktatorischen Zeiten zur Macht werden! Silones zeitloses Credo – man sollte es auswendig lernen – lautet:

„In ogni dittatura un solo uomo, anche un piccolo uomo qualsiasi, il quale continui a pensare con la propria testa, mette in pericolo l’ordine pubblico.“

„In jeder Diktatur gefährdet ein Mensch – auch ein gewöhnlicher kleiner Mann – der sich das Denken mit dem eignen Kopf nicht abspenstig machen läßt, die öffentliche Ordnung.“

Ins klassische Latein übersetzt hört sich das so an: „Etiam si omnes, ego non“.

Und es bleibt das existentielle Risiko – „Vita spirituale e vita sicura, non stanno assieme. Per salvarsi bisogna rischiare.“

Nur so kann der humane Mensch auch in der Diktatur frei sein, Spiritualität und gesellschaftlichen Fortschritt vereinen, Sozialismus und Christentum aufheben: „Si può vivere anche in paese di dittatura ed essere libero, a una semplice condizione, basta lottare contro la dittatura“.

„Man kann auch in einem diktatorischen Land leben und zugleich frei sein – unter einer einfachen Bedingung: man muß gegen die Diktatur kämpfen.“  – innen und außen.

Ein Gedanke zu “Ignazio Silone: Vino e Pane

  1. lynx schreibt:

    Silones „Wein und Brot“ (ja, gibt es auch auf deutsch) war eine wichtige Jugendlektüre, ein erster Baustein, mich gegen Ideologie jeglicher Art abzuhärten. Nicht minder wichtig war danach Che Guevaras „Bolivianisches Tagebuch“, das unfreiwillig überzeugend die Nichtsnutzigkeit von beseelter Revolution und Partisanenkampf vorführt, das geschilderte Geschehen ist grotesk lächerlich bis überaus tragisch. Zeigt, wie es enden kann, wenn man sich in die Ideologie verbeißt. Wenn man unfähig oder unwillig ist, die kleinen Schritte zu gehen, die Qualitäten des Hinterlands zu schätzen, das menschliche Sein und Zusammensein als solches als wichtig zu erachten und lediglich einer Idee unterordnet. Sich verrennt in die Vorstellung, die Leute würden in einem Regime leben, das sie ablehnen, dabei wollen sie nur ihre Ruhe haben und ihrem Alltagsleben nachgehen können (was das Militärregime der damaligen Zeit nicht verharmlosen soll).
    Vor längerem kam ich allerdings auch nicht umhin, darauf zu verweisen, wie beliebt Silone als „linker Zeuge“ bei den Rechten ist. Was leider ein Missbrauch ist, aber er kann sich halt nicht mehr wehren: https://lynxblox.wordpress.com/2017/11/04/armer-ignazio/ – Dennoch, da bin ich ganz Ihrer Meinung, kann man seine Einsichten auch heute noch lesen und sich aneignen.

    Ergänzung: Bevor Sie mir jetzt wieder vorwerfen, ich könne nicht einmal die feine Differenziertheit bei Silone erkennen: es heißt natürlich, auch auf deutsch: Wein und Brot – nicht Brot und Wein. (= Thema Frühstück)
    Da Sie ihn so programmatisch-selektiv zitieren, möchte ich auch noch ein Zitat aus dem direkten Kontext Ihrer Zitate beisteuern: „Il male da combattere non è quella triste astrazione che si chiama il Diavolo; il male è tutto ciò che impedisce a milioni di uomini di umanizzarsi. Anche noi ne siamo direttamente responsabili…“ Silone war letztlich ein Idealist des durch und durch humanen Urchristentums der Bergpredigt geworden, was eine schöne persönliche Entwicklung ist

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