Das Hitler-Gen

Zwar verstehe ich nicht viel von Politik und ich kenne auch Friedrich Merz nicht, doch bekümmert es mich zutiefst, wie meine Deutschen – mal wieder – nach dem starken Mann schreien. Das Land des klassischen Denkens und Schreibens, das Land Goethes, Kants und Hegels, das Land des Rationalismus und das Land des Erzskeptikers Nietzsche … bringt seit Generationen immer wieder die gleiche stromlinienförmige Begeisterung hervor, zeigt einen Untertanengeist, der vor diesem Volk grauen läßt.

Sie rufen nicht fanatisch „Heil“, aber sie kennen noch immer und erneut in wachsendem Maße die Sehnsucht nach Erlösung, die eine wahre Führergestalt bringen könne.

So jubelten sie einem Martin Schulz zu und ließen ihn ebenso gnadenlos fallen, als er sich als der Falsche entpuppte. So hatten sie zuvor lange wie gebannt auf die Kanzlerin gestarrt, ihr jedes Augenzwinkern abgelesen, jeden Zungenschlag ins Geniale gedreht, selbst ihr peinlicher Abgang wird noch als „Wunder“ gefeiert und wenn sie sagte „Wir schaffen das“ oder wenn sie eine Lösung anbot – im Wort, nicht in der Tat –, dann sank man beruhigt zurück in die Sessel: die Kanzlerin weiß, was sie tut, sie hat einen Plan, wir sind gerettet. Der Sprung in den Glauben.

Diese Erleichterung ist aber nichts anderes als das Eingeständnis des tief innigen Bewußtseins, daß dieses Land längst verloren ist, daß ihm im Herbst 2015 die Axt an die Wurzel gelegt wurde. Und es ist das heimliche Bekenntnis zum „Führer“.

Nun, da die Aureole der alten faltigen Frau verblaßt und von ihr nur übrigbleibt, was sie ist – eine gewöhnliche Alte –, nun, da man das braune Gespenst wieder an die Wand malen kann, da strömen sie alle zur Grünen Partei – die neue Heilsbringerin, die nichts ändern mußte, nur ein paar neue Gesichter und ein paar Floskeln und fertig ist die Projektionsfläche für die Glaubenswilligen, Glaubensdürstenden. Und jene, die daran nicht glauben können, die glauben nun an Friedrich Merz.

Man hat es natürlich längst bemerkt: ich spreche nicht vom Volk, ich spreche von unseren Medien. In ihnen mutiert sich das Hitler-Gen in rascher Folge und von dort aus seminiert und sediert man die Masse. Und hat Erfolg!

Wie sonst kann ein Mann, der mehr als eine Dekade verschwunden war, um für eine dubiose Fund-Gesellschaft Lobbyarbeiten zu erledigen und im Stillen am Untergang mitzuwirken, quasi über Nacht zum Messias auch der „Gesamtbevölkerung“ werden? Schon wähnt man die AfD auf dem Schutthaufen der Geschichte, wenn der Merz kommt.

Das ist die allergrößte Gefahr, die von diesen Männern und Frauen in den Redaktionsstuben ausgeht. Darauf muß man hinweisen, davon muß man sich abkoppeln und mit den Lehren Nietzsches oder Marx‘ oder Hegels oder Kants oder Goethes, mit deren agilen Methoden arbeiten, zweifeln, in Frage stellen, relativieren, widerlegen.

Die Gefahr geht gerade nicht von den dämonisierten AfD-Wählern aus – auch wenn dort offensichtlich einige Hitler-Homunkuli mitlaufen –, nicht von den widerständigen Pegidisten etc., sie geht von den stromlinienförmigen, angepaßten, mitlaufenden Nullen und ihren Einpeitschern in den Leit- und Leinenmedien aus.

Dabei darf man eines nicht vergessen, nie! Es geht um Deutschland, es geht um Europa und nicht um eine Partei, auch nicht die AfD. Sollte eine andere Partei die historisch notwendigen Aufgaben erkennen, angehen und lösen können, dann: Tschüß AfD! Daran erkennt man, ob Politik im eigentlichen oder im politischen Sinne betrieben wird – solange die Parteien sich vordergründig um sich, ihr eigenes Überleben kümmern, solange schaden sie dem Land.

Eine eigentliche Partei oder Kraft ist nirgendwo in Sicht und wer der CDU, die bis in die Haarspitzen merkelisiert ist, jetzt blind abnimmt, die Lösung für das Problem zu werden, das sie selbst ist, der hat nicht mehr alle Tassen im Schrank, der nimmt leichtfertig das Hitler-Gen der Deutschen aus der Rechnung heraus und trägt es vielleicht selbst in sich.

Die Gefahr droht nicht vom rechten Parteienrand, die Gefahr steckt in den totalitären Grundverfassungen des deutschen Gemüts.

5 Gedanken zu “Das Hitler-Gen

  1. Stevanovic, Stevan schreibt:

    Was die Medien angeht, möchte ich an Herrn Steinbrück 2013 erinnern. Damals war ich noch Parteimitglied und habe die Kanzlerkandidatenkür sehr interessiert verfolgt. Über Monate fand eine Medienkampagne statt, dass nur Steinbrück die SPD zum Sieg führen könne. Auch Mitglieder, die sein Wirken kritisch sahen, lockte die Macht- und damit Gestaltungsoption. Heute würde man das einen anfahrenden Steinbrück-Zug nennen. Einen Tag nach seiner Kür zum Kandidaten, haben die gleichen Medien ihn innerhalb von einem Monat zum Halbtrottel niedergeschrieben. Merkel gewann. Ich kann mich nicht mehr erinnern, warum Steinbrück Kanzler werden wollte. Zwei Tage berichteten die Medien ausführlich über die Millionen und Flugzeuge des Friedrich Merz, um dann Kommentare zu veröffentlichen, dass das ja eine typisch deutsche Neiddebatte und vollkommen unerheblich sei. Stimmt, schön das wir bereits eine Woche Mist gelesen haben. Deutschland wird die nächsten Jahre seine Ausgaben in diesem Sektor beträchtlich erhöhen, eine menge Material wird angeschafft. Es wäre durchaus der Zeitpunkt darüber zu sprechen, wofür dieses Material eingekauft wird. Die Bewaffnung wird den Einsatz bestimmen. Mit dem Namen unserer Verteidigungsministerin verbinden ich ein undurchsichtiges Vergabeverfahren an smarte Berater, die ihr beim Einkauf helfen, aber keinen sachlichen Grund, warum wir unsere Soldaten in Friedensmissionen nach Afrika schicken. Vielleicht gibt es ja welche. Verantwortung übernehmen mag ja einer guten Leistungsethik entsprechen, Politik ist es nicht.
    Wenn unsere größten Probleme im Diskurs einzelne Personen und ihre Persönlichkeiten sind, ist doch der Gedanke, dass eine starke Person die Lösung sei, doch gar nicht so abwegig. Was haben wir über Putins nackten Oberkörper gelacht. Jetzt frage ich mich, ob Merz sein Flugzeug eigentlich selbst fliegt.

    PS: Das intellektuelle Raunen der Rechten sind oft des Kaisers neue Kleider. Am Ende des Vortrags weiß zwar keiner, was eigentlich gemeint sei, aber auf ein Merkel-muss-weg kann man sich immer sofort einigen. Verstanden werden ist wichtig, wenn es wichtig ist und das ist es bei den Rechten mangels Verantwortung noch nicht. Jetzt ist Gemeinsamkeit gefragt. Nuscheln in der Ehe hat so manches Wochenende gerettet, wir sind alle nur Menschen.

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  2. lynx schreibt:

    Ausnahmsweise teile ich den kritischen Blick auf Merz, wenn auch aus wahrscheinlich anderen Beweggründen. Mich sorgt der erwartbare Niedergang der AfD bei einem Merz-Szenario nicht (denn diese Panik riecht man förmlich, drum wird gleich wild um sich geschlagen, die ultimative Keule: Hitler!). Mir deucht eher, dass hier eine Art Midlife-Crisis des Politestablishments heraufzieht, die in Rekonstruktion und Restauration münden wird.
    Doch viel mehr würde mich interessieren: was sind denn die „historisch notwendigen Aufgaben“? Und sind sie historisch wegen ihrer Ableitung aus und des Rückblicks auf die Geschichte? Oder historisch im Blick auf die globale Zukunft unserer biologischen Art?

    Seidwalk: Historisch notwendige Aufgaben erkennt man daran, daß man sie erkennt.

    Lynx: All(t) right: ich liebe dieses Raunen.

    Seidwalk: Empfehle dazu diesen Artikel.

    Lynx: Ich meinte eigentlich mit Raunen nur das Vermeiden von Klarheit in der Beantwortung konkreter Fragen, die offenbare Freude an Andeutungen, verbunden mit einem Hochgefühl, damit schon alles gesagt zu haben: das meint doch Raunen, oder nicht?

    Seidwalk: Wenn jemand auf dem Schlauch steht, dann ist das kein Raunen, oder? Wenn jemand den Satz des Pythagoras nicht versteht, hat dann Pythagoras geraunt?

    Und im Übrigen kennen Sie unsere historische Aufgabe doch besser als wir: Abschotten, ausmerzen, kaputtmachen, böse sein …
    (Apropos AltRight: ich bin glühender Marxist – allerdings mit einem Faible für Realität und Wahrheit.)

    Lynx: Man nennt es auch Diskursverweigerung. Was Marx dazu sagen würde?

    Seidwalk: Marx war leider – eine persönliche Schwäche – mitunter auch ein genialer Diskursverweigerer. Im Übrigen setzen Diskurse ein Vorverständnis voraus, was ein Diskurs ist und den Willen daran teilzunehmen, also die Position des anderen kritisch und rational zu prüfen. Sie haben sich noch nicht mal die Mühe gemacht, die hier vertretene Position wahrzunehmen. Andernfalls gäbe es diese absurden Zuschreibungen nicht.

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  3. Pérégrinateur schreibt:

    Ich zweifle, dass der Glaube an den Mann des Schicksals, dem man ruhig alles überlassen kann, spezifisch deutsch oder auch nur deutsch-medial ist. Schauen Sie sich doch nur die französischen Verhältnisse an! Man hat die Nase voll von einem sozialistischen Präsidenten, weil er nicht gegen die Probleme der kleinen Leute tut, dann tritt ein Ex-Rothschild-Banker auf dem Plan, der in sieben oder acht Jahren 5 Millionen Euro verdient hat, von denen zufolge seiner Steuererklärung kein Cent mehr vorhanden ist. Er sammelt illegal Wahlspenden satt, raten Sie mal, von welchen Kreisen, die Presse schreibt ihn hoch und vernichtet seinen Konkurrenten zur Rechten, weil der sich empörenderweise ein paar Anzüge von einem Freund schenken ließ, worauf der junge Mann mit einer binnen weniger Monate aus dem Boden gestampften Truppe von offenbaren Dilettanten als unterstützender Bewegung die Wahlen gewinnt, und zwar im Wesentlichen, weil die anderen Kandidaten im Feuer der Presse stehen und ein Bündnis von linken und rechten Souveränisten infolge habitueller Feindschaft unmöglich ist. Auch die Franzosen lassen sich also durch eine mit Werbemethoden produzierte Aura über den Löffel balbieren.

    Das Hauptproblem scheint mir zu sein, dass die meisten Bürger ihre Entscheidungen immer emotional treffen; füttert man sie mit entsprechenden Bildern, kann man diese Esel überall hinführen, wo man nur will.

    1, Beispiel. Ein Gespräch eines Freundes mit seiner Mutter über den Guttenberg-Rücktritt

    Mutter: „Die sagen alle, der Guttenberg seiso ein mitreiißender Politiker. Aber wenn man’s genau nimmt, dann ist er doch ein Betrüger.“
    Freund: „Du hast es genau getroffen.“
    Mutter: „Und wenn ich mir den Neuen anschaue, diesen de Maizière. Der wirkt doch recht sympathisch, also der kann das sicher.“
    Freund: „Du hast nichts verstanden.“

    2. Beispiel. Gespräch vor etwa einem Jahr in einer größeren Gruppe über die Migrationskrise.

    Einigen der anfangs in Gänze willkommensseligen Damen ist inzwischen ein Licht aufgegangen, man sieht es an ihren Gesichtzügen beim Thema, sie möchten nicht, dass die Lawine weiterläuft, aber so recht dazu bekennen wollen sie sich auch wieder nicht. Ich sage schlankweg, man müsse den Deutschland-Aspiranten eben jede Hoffnung nehmen, dass sich ihre Reise hierher auszahlen wird. Daraufhin verziehen sie ihre Gesichter, als hätten sie Kröten verschluckt. Den Zulauf drosseln, natürlich. Aber doch nicht wirksam! Ganz wie eine arachnophobe Verwandte von mir: „Bitte mach sie tot! Aber ich will es nicht sehen!“

    Die Heuchelei der Politik hierzuland ist nur eine Widerspiegelung der Heuchelei im Volk. Wasch mich, aber mach mich nicht nass. Viele wähnen sich in einer Welt, in der man nie harte Entscheidungen treffen muss, die zu irgendjemandes Nachteil geraten.

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    • Sicher, der Herdentrieb und die Sehnsucht nach dem Betrogenwerden, um den Wolf vor der Scheunentür nicht wahrzunehmen, hat eine anthropologische Komponente. Aber Sie dürfen nicht vergessen: Vor dem Hintergrund unserer Geschichte haben wir eine besondere Verantwortung!

      Die Linke würde Salvini oder Trump als Meister der Projektion anführen.

      Wir können uns sicher einigen, die heutige Zeit in der westlichen Welt als eine zu beschreiben, die aufgrund ihrer Hyperkomplexität und der objektiven Unlösbarkeit der drängendsten Probleme (von Ökö bis Migra), dazu neigt, den „demokratischen Konsens“, der eben nicht nur – wie das GG §20 schreibt – in der Wahl und in der Abstimmung begründet liegt, sondern auch in der aktiven Teilnahme am Meinungsfindungsprozeß, zu verlassen – woran die Medien wesentlich mitarbeiten! – und noch ungeahnten, wohl aber mehr oder weniger diktaturischen Zukünften zustrebt.

      Auf nationalen Sonderwegen, wie es sich gehört.

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      • Pérégrinateur schreibt:

        Ich fürchte, der Hintergrund unserer Geschichte wird gewöhnlich mit allzu wenig Tiefe gemalt, weswegen die Deutschen sich des ganzen Ausmaßes ihrer Erbschuld gar nicht bewusst werden. Die Deutschen und Mitteleuropäer haben sich nämlich schon im Hochmittelalter bei Liegnitz fürchterlich intolerant gezeigt. Statt die Ausicht auf Diversität zu begrüßen, hat man dort die mongolische Bereicherung blutig verhindert. Hätte man das mal nur nicht gemacht, dann wäre vielleicht in der gesamten Alten Welt ein Universalreich entstanden, also zu zwei Dritteln, was sich alle Universalisten heute so sehnlich wünschen. DIe erbsündengenfreien Mongolen hätten bestimmt danach auch die folgende Begegnung mit den indigenen Kulturen Amerikas erfreulicher gestaltet. Wer Pferde mag, ist immer ein guter Mensch.

        Absalon von Lund: Nichts für ungut, aber wenn die Deutschen nach einem starken Mann schreien, dann sollten sie nicht nach Friedrich Merz schreien. Es gibt in Deutschland keien starken Männer und die, die wirklich stark sind in Europa, werdne ihnne nicht gefallen!

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