Sommermärchen 2024

Nun wird alles gut! Deutschland bekommt sein nächstes Sommermärchen geschenkt. Wir wissen aus Erfahrung, daß dann alle Probleme gelöst sein werden, die unendliche Konjunktur um weitere 0,3 Prozent zulegen wird, die ausländischen Fachkräfte alle in Lohn und Brot kommen, Millionen türkischer Fans der deutschen Nationalmannschaft zujubeln werden und stundenlange nächtliche Halal-Autoparaden allerseits – diesel- und emissionsfrei natürlich – Glück vergasen werden.

UEFA-Präsident Ceferini sah zwar nicht sonders glücklich aus, so als fürchtete er höhere Rückzahlungsforderungen an die Denizbank, als er den Sieger verlas, dafür erhoben sich Grindel, Lahm, Bierhoff und diese dunkelhäutige Quotenfrau immerhin vom Stuhl, als das Urteil verkündet wurde.

Leider hat man nicht auf den genialen Heribert Prantl gehört, der das gemeinsame Austragen der Meisterschaft in Deutschland und der Türkei ins Spiel brachte, mit der unwiderlegbaren Argumentation: „Es wäre dies ein wunderbares Zeichen des Miteinanders, ein Zeichen der Verbundenheit, ein Zeichen dafür, daß diese beiden Länder eng zusammen gehören, daß sie eine gemeinsame Geschichte haben und eine gemeinsame Zukunft brauchen.“ Amen/Inschalah. Es fehlt nur das Wort „Völkerfreundschaft“.

Mir kam eine Vision:

Unter großem Jubel läuft die „*-Schaft“ im neuen Trikot auf, das alle Farben des Spektrums vereint, außer Schwarz, Rot und Gold. Ein starkes Signal! Zuerst betritt Mesut Özil, die „Respectsperson“ – man nannte das bis vor kurzem „Kapitän“ und ganz ganz früher „Spielführer“ –, zum ersten Mal nach sechs Jahren wieder einen deutschen Rasen. Er verdient seine Millionen nun bei Basaksehirspor.

Unter großem medialem Trara fand endlich, nach der überfälligen Entschuldigung für systemischen Rassismus im DFB, die Versöhnung mit dem Buntescoach Jogi Löw statt – gesponsert von „Nivea In-Dusch Bodymilk“. Der war zwar bei den Turnieren 2020 und 2022 jeweils in der Vorrunde gescheitert – immerhin gegen Albanien und Afghanistan (der muslimische Fußball profitierte von der lang erhofften islamischen Reformation) –, konnte jedoch überzeugend eine „harte Aufarbeitung“ und eine „Revolution“ versprechen, in deren Folge er sich auch mit Özil versöhnte. Den Weltfußballer der letzten drei Jahre, Leroy Sané, hatte Löw in weiser Voraussicht und nach ersten Testspielen wieder ausgeladen und sich auf die bewährten Kräfte besonnen: im Sturm steht der Halbspanier Mario Gomez neben den Halbpolen Klose und Podolski.

Während die Spieler des heutigen Auftaktgegners, der Mongolei – sie wurde vor einigen Jahren in die EU aufgenommen –, fanatisch ihre Nationalhymne singen („Unsere standhafte unabhängige Nation, Heiliges Erbe aller Mongolen“), schweigen die Deutschen unisono. Nur Manuel Neuer, der bereits durch sein allzu blondes Haar unangenehm herausstach, zucken aus alter Gewohnheit noch die Lippen, was wenige Stunden später einen Shitstorm in den sozialen Medien auslösen und das Ende seiner Karriere bedeuten wird. Immerhin hatten doch die „Grünen“, nachdem sie die Koalition mit der CDU durchsetzen konnten, den Text der einstigen Nationalhymne auf den Index setzen lassen. Vokabeln wie „das deutsche Vaterland“ oder „brüderlich“ seien sexistisch, nationalistisch, diskriminierend und spiegelten die moderne Gesellschaft nicht adäquat wider. Mit ihrer Maximalforderung, die Hymne gänzlich durch den Text von „Friede, Freude, Eierkuchen“, einer Adaption von „Freude schöner Götterfunken“, zu ersetzen, waren sie am harten Widerstand der Rechtspopulisten gescheitert. Neben Neuer steht das neue Star der „Schaft“, ein zweimal gegenoperiertes * und bekanntes Sport-BH-Werbemaskottchen, das sich kurz vor der Nominierung entschied, nun Mann sein zu wollen.

Angela Merkel, die soeben eine sechste Wahlperiode nicht ausgeschlossen hatte – „wenn die Gesundheit mitspielt, ich habe Lust auf Zukunft“ – formt verzückt eine Raute vor ihrem Fußballkugelbauch. Seit sie ihre Marionettenfalten im Gesicht hat entfernen lassen und ihren Teint zugleich etwas in die Mitte der Gesellschaft veränderte, sieht sie zehn Jahre jünger aus. Sie trägt nun in der Presse den Ehrentitel „Sonnenkanzlerin“, der Chor der Schmeichler singt: „Du göttliche Frau, du all unser Glück, geh du stets voran und tritt nie zurück!“.

Rechts von ihr steht Theo Zwanziger, frisch gebackener Präsident des DFB und Nachfolger des des Rassismus überführten Reinhard Grindel. Der Stuhl zu ihrer Linken ist leer. Dort sollte Philipp Lahm sitzen, dessen Funktionärskarriere nach seinem Outing und mutigen politisch korrekten Statements einen mächtigen Sprung nach oben gemacht hatte, allerdings abrupt abgebremst wurde, nachdem zwei ehemalige Jugendspieler der Freien Turnerschaft München-Gern über seltsame Rituale in der Duschkabine berichteten.

Deutschland wird das Spiel 5:0 verlieren. Özil spielte den entscheidenden genialen Paß zum ersten Tor dem mongolischen Spieler direkt in den Lauf, gemeinsam feiern sie das Kunstwerk durch ein kurzes vereintes Gebet. Jogi Löw wird ihn nach dem Spiel hervorheben: seine Vorlage sei der beste Beweis für das neue Deutschland, das ein glänzendes Beispiel der Völkerfreundschaft sei und dazu gehöre es nun mal auch, auf „den Gegner, sage ich mal“ – hier hüstelt er einen Moment verlegen – „ich meine irgendwie natürlich sozusagen den Mitspieler“, einen Schritt zuzugehen. „Als Deutschland zum letzten Mal irgendwie in großem Stile sage ich mal gewinnen wollte“, setzt er fort, „hatte es irgendwie alles verloren. Wir haben die historischen Lehren irgendwie gezogen, zhhh“.

Aber vielleicht kommt alles auch irgendwie ganz anders …

Ein Gedanke zu “Sommermärchen 2024

  1. Till Schneider schreibt:

    Visionen mag ich, und diese lässt eigentlich keine Wünsche offen. Im organisatorisch-praktischen Teil gefällt mir besonders die prickelnde Mischlings-Aufstellung Gomez-Klose-Podolski (naturalmente senza Sané!), im repräsentativen Teil der neue Nationalhymnen-Text „Friede, Freude, Eierkuchen“ (Haydn spielt mit! Das geht ja wirklich!), und im sporttheoretisch-ideologischen Teil … nun, der ist für mich der Höhepunkt. Jogi: „… den Gegner, sage ich mal“ (hüstel), „ich meine irgendwie natürlich sozusagen den Mitspieler“, und dann auch noch: „Als Deutschland zum letzten Mal irgendwie in großem Stile sage ich mal gewinnen wollte“, das ist ganz großes Kino. Nur das „zhhh“ hatte ich eine Spur früher erwartet, aber sonst ist alles original Jogi.

    Vor allem: Von Jogi kann man sich das i n h a l t l i c h so vorstellen. Das ist der eigentliche Hammer. Jogi ist so etwas wie ein verklemmter Engel, der würde sich (wenn auch unter hörbaren Qualen) sogar Absurditäten abringen wie die Ersetzung des „Gegners“ durch den „Mitspieler“. Ich hör’s förmlich. Daher: Große Satire.

    Und zum Sporttheoretischen: Das ist genau der Knackpunkt, dass der „Gegner“ weg muss. Darauf wartet die Welt. Also bitte: Man kann doch nicht mehr ernsthaft GEGEN jemanden sein! Es kann und darf in unserer Zeit nur noch das FÜR geben. Wer gegen den Geg, äh, Mitspieler ist, der ist gegen DIE MENSCHEN, basta. Der hat seine Teilhabe an der demokratischen Debatte verwirkt usw. usf. ad infinitum.

    Ich denke schon seit Jahren: Die letzte Konsequenz des Gutmenschentums in puncto Sport kann doch eigentlich nur in der Abschaffung der Mannschafts-Sportarten bestehen. Dieses Konzept ist hoffnungslos veraltet und nicht mehr zu retten. „Gegnerische“ „Gruppen“, die „aufeinander losgehen“, ja absichtlich (!) aufeinander losgelassen werden, das ist doch wohl der Inbegriff gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Kurz: Eine zynische Absurdität.

    Übrigens, die „sechste Wahlperiode“ Merkels gehört natürlich zwingend dazu. Ich hatte sie selbst schon ins Auge gefasst, und zwar im folgenden Vierzeiler vom 3. Juni 2018:

    Rückblick aus der Zukunft.

    Was hat das Land dahingerafft?
    Die fünfte Kanzlerinnenschaft.
    Die sechste aber, so ’n Experte,
    war wieder von sehr hohem Werte.

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