Eritrea neu denken

Es tut sich was in Eritrea! Sollte sich der Annäherungsprozeß zwischen Äthiopien und diesem kleinen afrikanischen Land bestätigen, sollte es tatsächlich einen „eritreischen Frühling“ geben, dann dürfte das auch für uns Konsequenzen haben. Grund genug, erneut einen Blick auf das eritreische Problem zu werfen.

Wenn ich die Eritreer fragte, weshalb sie in Deutschland sind, wurden sie schmallippig. Nur Adlan, der Aufgeweckteste unter ihnen, sagte was von „democracy“. Fragte man, was Demokratie für ihn bedeutete, erhielt man Schweigen oder Gemeinplätze wie: „freedom“. Fragte man schließlich, wo es am schönsten  auf der Welt sei, begannen die Augen zu leuchten: ERITREA – kein schöner Land!

Eritrea sollte uns alle angehen. Seit Jahren fließt ein konstanter Strom an eritreischen Flüchtlingen nach Europa. Zu Hochzeiten sollen es 5000 pro Monat gewesen sein, alarmistische Quellen sprachen von unglaublichen 360 000 allein im  Jahr 2015, meist Männer, und das bei einem Land von nur knapp sechs Millionen Einwohnern. In Deutschland kamen davon 2014 13 253 und ein Jahr darauf 10 102 offiziell an, aber diesen Zahlen ist kaum zu trauen – es schwirren alle möglichen Ziffern durch die Medien. Einmal sollen die Eritreer mehr als 8%, ein andermal 3,3% oder 2,6% der Flüchtlinge ausmachen, diese Zahlen können mit den absoluten Zahlen nicht übereinstimmen, wenn man von einer Million Asylsuchenden im Jahr 2015 ausgeht, eine Nummer, die ohnehin zu niedrig sein muß und aller Logik entbehrt, denn allein im Herbst 2015 dürften so viele Menschen die deutsche Grenze überschritten haben.

Die Eritreer jedenfalls sind in Massen hier, sie prägen mit ihrer auffälligen Physiognomie alle Städte. Was bringt sie dazu, den gefährlichen Weg über das Mittelmeer zu wagen, der so viele Menschenleben fordert?

Schon diese Frage ist nicht korrekt gestellt. Alle Eritreer, die ich befragen konnte, kamen nicht auf einem Seelenverkäufer übers große Wasser, sondern nutzten ganz offiziell Fähren und Passagierschiffe. Was die deutsche Öffentlichkeit aus der Presse über das ostafrikanische Land weiß – obwohl sie zugibt, daß sie so gut wie nichts weiß -, ist in Kürze dies: eine brutale Militärdiktatur unterdrückt die eigene Bevölkerung, preßt sie massenweise und auf unabsehbare Zeit ins Militär, wo gehungert und gefoltert wird – ein freudloses Leben in Angst und Elend; die Menschen sind bitterarm; auf dem Pressefreiheitsindex steht Eritrea an letzter Stelle, es ist – in einem Wort – das Nordkorea Afrikas. So wird es uns in der Presse präsentiert.

Tatsächlich gibt es nur eine Zeitung und einen Fernsehsender, von Meinungsvielfalt kann keine Rede sein. Tatsächlich gibt es den sogenannten „Zivildienst“, der für die meisten Männer, aber auch viele Frauen einen 18-monatigen Militärdienst bedeutet, welcher unbegrenzt verlängert werden kann. Von meinen 20 Eritreern war es einer, der in der Armee gedient hat oder dies äußerte (als ich meine 36 Monate erwähnte, staunte man mich wie einen Helden an). Meist wird der Zivildienst dann auch zivil fortgesetzt – die Menschen werden in einen zivilen Job gezwungen, wo sie für 30 Euro im Monat als Kellner oder Landarbeiter oder Lehrer etc. arbeiten müssen, also ganz normale Berufe ausüben.

Aufgrund des Militärkonflikts mit dem mächtigen Äthiopien, von dem man sich 1993 emanzipierte, meint Präsident Afewerki und seine „Volksfront für Demokratie und Gerechtigkeit“ die Notwendigkeit einer starken Armee begründen zu können. Man kann Afewerki mit Fidel Castro vergleichen, ein in sich selbst erstarrter einst verdienstvoller Freiheitskämpfer.

Sieht man sich dagegen italienische und afrikanische Quellen an, kann ein ganz anderes Bild entstehen. Italien hat als ehemalige Kolonialmacht ein besonderes Interesse an Eritrea, zudem nahm und nimmt es auf Lampedusa, Sizilien und in Kalabrien den Großteil der Boatpeople auf und muß sich auch den hunderten Leichen immer wieder stellen. Die Dokumentationsserie „Settesera“, wesentlich von der Afrika-Korrespondentin Marilena Dolce gestaltet, spricht zwar ebenfalls von großer Armut in einem agrarischen Wüstenland, zeichnet hingegen auch Szenen des Friedens, der Eintracht, der Einfachheit. Auch diese haben etwas für sich. Eritrea besteht aus neun verschiedenen Ethnien und ist jeweils zur Hälfte christlich und muslimisch. Von Spannungen keine Spur. Es scheint überhaupt ein Land ohne Straßenkriminalität zu sein. Die Menschen werden als gelassen, zufrieden und mit natürlichem Stolz ausgestattet beschrieben, es sei „wie in den 40er oder 50er Jahren in westlichen Ländern“.

Dort berichtet auch Christine Umutoni von den Vereinten Nationen über ihre Arbeit vor Ort und sie betont die enormen Fortschritte, die das Land auf dem Weg zur wirtschaftlichen und sozialen Eigenständigkeit gerade macht. Von den sogenannten „United Nations Millenium Development Goals“ wurden drei bereits erreicht: das Senken die Kindersterblichkeit, der Müttersterblichkeit und die Bekämpfung von AIDS und Malaria. Eritrea hat für seine Verhältnisse ein ausgesprochen avanciertes Gesundheitssystem. Fortschritte gibt es auch in allen anderen Punkten: Armutsbekämpfung, Schulbildung für alle, Geschlechtergleichheit, ökologische Nachhaltigkeit und globale Zusammenarbeit. So liegt Eritrea in der Pro-Kopf-Nutzung der Sonnenenergie weltweit an Stelle zwei. Die UN-Vertreterin sieht jedenfalls ein aufstrebendes afrikanisches Musterland in Eritrea, niemand muß hungern, Bildung und medizinische Versorgung sind flächendeckend und frei. Sie bewundert den Stolz der Eritreer, deren Liebe für ihr eigenes Land und den Willen, dafür zu arbeiten, sie sieht in Eritrea einen der wenigen afrikanischen Staaten, die den „richtigen Weg eingeschlagen haben, um die Milleniumsziele zu erreichen“. Sie wirbt für verstärkte internationale Hilfe und wendet sich unausgesprochen gegen die Isolationspolitik der EU und der USA und stellt sich auf die Seite Großbritanniens, wo Eritrea als sicheres Herkunftsland gilt. „Jeder investierte Dollar trägt reiche Früchte in diesem Land“. In Wirklichkeit leidet Eritrea unter westlichen Sanktionen.

Sieht man die Bilder aus Asmara, der Hauptstadt, dann scheinen diese jene Worte zu bestätigen. Die Armut als Problem verschweigt niemand und auch der „Zivildienst“ wird immer wieder erwähnt. Sehen die einen darin ein Repressionsinstrument, so machen die anderen daraus eine ökonomische Notwendigkeit. Signora Dolce – deren Beiträge erbitterte pro- und contra-Diskussionen auslösen – versorgt uns mit Bildern von erfolgreichen Unternehmern, von enttäuschten Müttern, die ihre geflohenen Kinder zurückflehen, von Lehrern, die an die Jugend appellieren, doch das eigene und nicht fremde Länder aufzubauen, sie weist auf ein reiches Kulturleben (Musik und Film – siehe Youtube) hin, auf ein mediterranes Flair. Ich selbst habe eine italienische Freundin in Asmara, die dort als Lehrerin an der italienischen Schule arbeitet und vom Land schwärmt.

Nach diesem „Narrativ“ flüchten die jungen Leute also nicht primär vor Unterdrückung, sondern vor der relativen Armut und Einfachheit des Lebens. Demnach sind sie vom westlichen Lebensstil angezogen, suchen das angenehme, bunte Leben, den Wohlstand, scheuen die Anstrengung, wollen Internet, sind kurz und gut: Wirtschaftsflüchtlinge. Meine nichtrepräsentativen persönlichen Erfahrungen tendieren in diese Richtung.

Die innere Logik wäre dann diese: Je mehr junge Menschen das Land verlassen, desto mehr werden die Zurückgebliebenen gezwungen sein, soziale und materielle Härten auf sich zu nehmen. Ein so radikales Urteil wie Andreas Strixner, ehrenamtlicher Flüchtlingshelfer und AfD-Mitglied, möchte ich mir nicht zutrauen – für ihn sind die Eritreer schlicht und einfach Wehrdienstverweigerer. Angesichts der weiterhin auf uns zukommenden Welle an Asylsuchenden scheint eine Neubewertung der eritreischen Situation – zumal auch Äthiopier und Somalis sich aufgrund der überwältigenden Anerkennungsquote von über 90%, die zudem wie ein mächtiger Magnet wirkt, gern als Eritreer ausgeben – allerdings unbedingt erforderlich. Statt das Land durch Sanktionen wirtschaftlich zu schwächen, könnte eine ökonomische und logistische Hilfe möglicherweise viele Probleme lösen.

Im Übrigen unterstützt der Westen mit seiner Asylpolitik das diskreditierte Regime und hält es finanziell am Leben: der eritreische Staat fordert von jedem im Ausland lebenden Eritreer zwei Prozent des Einkommens ein und da die meisten von sozialer Unterstützung leben, bezahlen westliche Sozialsysteme das vom Westen verteufelte Regime.

siehe auch: Noch einmal Eritrea

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