Der Riß

Wer begreifen will, wie tief der Riß im Lande ist, der muß nur acht Minuten „Titel, Thesen Temperamente“ schauen und nicht nur auf die unfaßbaren Botschaften, sondern auch auf Mimik, Gestik, Tonfall achten. Es ist, als stünden sich fremdsprachige Völker gegenüber.

Titel Thesen Temperamente von 8:00 bis 16:25

Nebenbei: die eloquente „Extremismusforscherin“ Julia Ebner ist identisch mit jener blondperückten Detektivin, die sich vor einem halben Jahr „undercover“ bei den Identitären einschlich und – nichts fand, aber trotzdem seither Stories darüber schreibt.

Zum Riß zwei Geschichten des heutigen Tages.

  1. Sprachkurs Ungarisch, am Tag nach der Wahl. Über Politik kein Wort. Am Ausgang setze ich dann den Stich: „Und, die Wahl? Was denkt ihr?“ Das sind zwei Dresdner mit unglaublich breitem Maul und eine mit ihnen befreundete Osnabrückerin/Saarbrückerin und eine Ungarin. Alle leben seit vielen Jahren im Land. Und in Nullkommanichts blitzen die Augen auf beiden Seiten – nur bei der Ungarin nicht, die stumm bleibt – und heben sich die Stimmen. Der Graben ist der alte: Ost-West. Die einen sehen, die anderen relativieren.
  2. In einem Büro hängt ein Abreißkalender. Darauf ein Cartoon von Bernd Zeller. Man – bekennend links und tolerant – zeigt eine böse Zeichnung, die gut ins linke Weltbild paßt, und wartet auf Zustimmung; Zeller zeichnet für alles Mögliche, von der „Huff[1] bis „Tichys“. „Ach, ist das der von der ‚Zeller Zeitung?‘“, wird gefragt. Man kennt sie nicht, aber man recherchiert und am nächsten Tag: „Haben Sie sich den Zeller mal angeguckt? Der ist ja wirklich ganz gut, ganz gut … Aber da ist ja auch ein Link zu dieser Lengsfeld. Die ist ja ganz rechts. Das ist ja AfD, ganz brauner Rand – damit will ich nichts zu tun haben. Wenn der Zeller mit denen macht, dann will ich den nicht mehr.“
[1] Zumindest bis November 2017 – seither ist er dort verstummt.

2 Gedanken zu “Der Riß

  1. Ich like jetzt hier mal kühn den Kommentar des Herrn Pérégrinateur (und einige andere), auch wenn ich weiß, daß er von der bloßen Affirmation durch ein Sternchen nicht viel hält. Nehmen Sie es als einen „gelesen“-Vermerk (der übrigens in Chrome durch mich nicht zu setzen ist, deshalb kommt er oft verspätet, ich muß dann immer bei passender Gelegenheit auf den IE ausweichen).

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  2. Pérégrinateur schreibt:

    Man hat es wohlweislich nicht gewagt, die im Grunde nur Selbstverständliches fordernde Erklärung auch nur eineml lesbar ins Bild zu rücken – sonst wäre das Entrüstungssoufflé sicherlich zusammengefallen. Also handelt man ersichtlich böswillig.

    Ich lasse die politischen Warnungen der interviewten Erziehungsberechtigten, die ob der alarmistischen Dringlichkeit teilweise das pronunciamento eines südamerikanischen Militärputsches schmücken würden, einmal beiseite und beschränke mich auf eine kleine Anthologie der genossenen sprachlichen und argumentativen Brillianz:

    • „In der selbstherrlich so genannten ‚Gemeinsamen Erklärung 2018‘ […]“ – Es ist eine Erklärung, sie ist gemeinsam, und sie erfolgte im Jahre 2018. Wenn man denn den Datierungsteil der Erklärung kritisieren wollte, weil die insinuieren könnte, sie sei eine bedeutende Erklärung, so hätte man die Titelwahl „anmaßend“ nennen müssen, vermutlich hat unsere abwehrintellektueller Moderator das sagen wollen. Eine an die Öffentlichkeit gegebene Erklärung ist aber in diesem Sinne immer anmaßend, weil man etwas zu Gehör bringen will, was die meisten Menschen vielleicht gar nicht hören wollen. Unter wieviel öffentlichen Resolutionen wohl die uns gezeigten Berufsbetroffenen wohl schon selbst signiert haben? Aber vielleicht will das „selbstherrlich“ doch nur sagen, dass die Kritisierten Falschmeinende sind, man selbst aber rechtmeinend, weshalb die anderen gefälligst das Maulhalten sollen.

    • „Natürlich wissen diese Leute selbst, das ist absurd.“ – Ich würde die Möglichkeit nicht ganz ausschließen wollen, dass unter den Unterzeichneten viele unterschrieben haben, weil sie die Gefahr der Beschädigung der Republik wirklich sehen. Woher weiß denn der Herr Moderator so genau, was die Unterzeichneten wissen? Ist das nicht vielleicht sogar eine viel größere Anmaßung von Wissen durch den Moderator? Doch er gehört zur beglaubigten öffentlich-rechtlich meinungsbildenden Klasse, also müssen wir bei ihm immer Gutwilligkeit unterstellen.

    • „Es geht hier ja nicht um Tatsachen, sondern um Suggestion. Alternative Fakten werden einfach so lange penetrant behauptet, bis sich immer mehr Menschen bedroht fühlen, irgendwie, und nach dem starken Mann rufen, der endlich aufräumen soll. Altbewährtes Despotenrezept.“ – Am Anfang sicher eine treffende Beschreibung, nur für wen und was? Der Schrei nach dem starken Mann ist mir bisher entgangen, vermutlich weil von den Inkriminierten zu laut nach der Wiederherstellung rechtsstaatlicher Verhältnisse gerufen wird, da kann man das schon mal überhören. Vor dem beschriebenen Endpunkt des stillen Schreis habe ich weniger Furcht als der Moderator; wir haben ja schließlich eine zureichend durchregierungswillige Kanzlerin, die bisher jeden Herausforderer frühzeitig beseitigt hat und das doch sicher mit jedem despotiewilligen Herausforderer genauso machen wird.

    • „Wenn kluge Menschen, gebildete Menschen […] solche Fehlleistungen machen, dann wissen sie, was sie tun. Die Fehlleistung besteht darin, dass sie anderen Menschen in diesem Land, die Angst haben, die verunsichert sind, noch eins draufgeben und so tun, als ob jetzt eine hochqualifizierte Gruppe, eine intellektuelle Gruppe, eine wissende Gruppe, ihnen den Stempel draufdrückt, sie hätten recht.“ – Eine „Fehlleistung“ ist eine Handlung, die ihr vom Urheber angestrebtes Ziel verfehlt, auch negativ, sie kann also auch etwas bewirken, was ihr Urheber gerade vermeiden wollte. Wer „weiß, was er tut“ , setzt aber taugliche Mittel an und erreicht seinen Wunsch, den der dies Äußernde mit diesem Ausdruck aber missbilligt. Jemandem „noch eine draufgeben“ heißt, jemandem, der schon einen wirklichen Schaden erlitten hat, noch einen weiteren solchen bereiten. Den Ängstlichen und Verunsicherten in diesem nicht mehr nur ihrem Land ist aber doch, wie die hier vorgestellten Selbstgewissen und Versicherten so genau wissen, in jüngster Zeit gar kein Leids geschehen und kein Schaden widerfahren. Wieso dann „noch eins“? Man könnte den Ausdruck rechtfertigen damit, der Befragte und so wortkundig Antwortende sehe den Schaden in der vermehrten Angst und Verunsicherung des betreuten Zuschauergutes. Im zweiten Punkt mag das zumindest im Sinne des „Was du nicht willst, dass man dir tu“ psychologisch höchst einsichtig sein, denn ein durch was auch immer verunsicherter Michel Friedman könnte sein einträgliches Alleinstellungsmerkmal verlieren, nämlich von Selbstunsicherheit ungetrübt immer fort und fort zu reden. Doch wie sieht es, von Interviewtenpsychologie einmal abgesehen, mit der Angst des von ihm zu schützenden Publikums aus? Ist diese vor dem „noch eins“ so massenhaft entstanden, weil viele zufällig zugleich die Einnahme der ihnen verschriebenen Anxiolytika verweigert haben? Weil sie bei deutschen Sendern zuviele blutige Krimis gesehen haben?Oder weil Godzilla jetzt auch in Deutschland gesichtet wurde und unsere Presse leider nicht fürsorglich die Berichterstattung darüber verweigert hat? Nun, das würde ich niemals glauben wollen, diese Angst kann einfach nicht durch Fehlleistung oder sogar „Fehlleistung“ der staatlichen und medialen Fürsorger entstanden sein. Ich würde mir aber wünschen, dass man doch bitte neben den Nocheinsdraufgebern, bei denen schon sattsam getan wurde auch die Zuvoreinsdraufgeber endlich eben so kundig benennt und anklagt. Sonst könnten böse Menschen auf die Idee kommen, ihren Betreuern den halt immer schändenden „Stempel aufzudrücken“, sie „hätten“ zwar immer „recht,“ es fehle ihnen aber ganz offensichtlich ein Wörterbuch für bestimmte Wirklichkeitssegmente ebenso wie ein Lexikon der Redewendungen und ihrer Bedeutung. Oder sie hätten zu oft Frau Merkel interviewt, was bekanntlich missliche Folgen für den Gyrus frontalis und temporalis haben kann.

    Jetzt habe ich aber genug von dem Rotz.

    Seidwalk: Mäßigen Sie sich bitte im Ton!

    Leonore: Chapeau! – für Blog-Eintrag, Karikatur und Pérégrinateurs „Allegro furioso“-Kommentar.

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