Was existiert, sind ungenaue Wörter, außerstande, etwas genau zu bezeichnen. Schaffen wir außergewöhnliche Wörter – unter der Bedingung, von diesen den allergewöhnlichsten Gebrauch zu machen, und die Entität, die sie bezeichnen, nicht minder existent werden zu lassen wie den gewöhnlichen Gegenstand. Gilles Deleuze
Wenn man eine ausführliche Antwort schuldet und sie im Moment nicht geben kann, dann rettet oft ein Witz. Mit dem schnell hingeworfenen Wort, „daß Poppers Hauptwerk eines der katastrophalsten philosophischen Fehlleistungen der Moderne ist und voller intrinsischer Totalitarismen steckt“, wurde ein Faß aufgemacht, das ich jetzt nicht leeren kann. Aber ein alter Text fällt mir dazu ein – und Popper findet darin nur ein Mal Erwähnung –, den ich hier etwas verschämt einwerfe.
Er entstammt einer Arbeit, die Ende der 90er Jahre einen Paradigmenwechsel beschreiben und diesen u.a. an der Komik festmachen wollte, wobei Helge Schneider als erster Protagonist kenntlich gemacht wurde (siehe unten Teil 2, als Abkürzung). Es ging dabei um das Sagbare und das Unsagbare und in der folgenden Passage um die Möglichkeit des Ausdrucks durch Nichtausdrücken, um die Lücke, das Schweigen, das Verfremden, das Spiel etc.: etwas Betonen, indem man es in irgendeiner Form weg läßt.
Eine Möglichkeit ist das „esoterische Wort“, dem Deleuze in der „Logik des Sinns“ Aufmerksamkeit zollte. Damit wollte er den Sinn im Unsinn, den sense im nonsense, begreifbar machen:
1. „Der Unsinn bricht oftmals unversehens, panisch herein, wütet für die Dauer eines Wortes, zerreißt die Sinnstränge, knüpft neue Verbindungen und verschwindet nicht weniger überraschend, wenn er sein Werk der Verunsicherung geleistet hat. Es sind die sinnlosen Wörter, die dem Zuhörer die permanente Präsenz des Unsinns unbarmherzig in Erinnerung rufen: daß aller Sinn über den Abgründen des Unsinns schwebt. …“
Diese Wörter können ganz verschieden wirken.
„Es ist, um ein Rätsel von Borges zu stellen, wie beim Schach. „Wie lautet das einzige Wort, das nicht ausgesprochen werden darf? … Das Wort ‚Schach‘“ (87). So verwandt, ist es ein paradoxes Wort, das zum einen das Spiel konstituiert und benennt, es in seine Existenz setzt, aber andererseits selbst gar nicht mehr zum Spiel gehört, denn es markiert sein Ende. Mit dem Schach (Matt) des Königs, mit dem Besetzen seines Platzes, gibt es das Spiel nicht mehr. Borges nutzt dieses Rätsel in einer seiner wohl bekanntesten Erzählungen, dem „Garten der Pfade, die sich verzweigen“, um jenes Paradox zu verdeutlichen, das darin besteht, daß es keine bessere Art gibt, über etwas zu sprechen als nicht darüber zu sprechen.
Derrida hat sich auf diese Suche bei Heidegger begeben, jenes geheime Wort ausfindig zu machen, das es nicht gibt, um das sich aber alles dreht, in seinem Buch „Geschlecht“. Bei Borges ist es in dem Buch, das ein Labyrinth ist, das Wort „Zeit“. „Der Garten der Pfade, die sich verzweigen“ hat die Zeit zum Thema, aber nie wird sie genannt, oder genauer, nie wird ihr Name erwähnt.
Dieses Wort kann nun aber auch Unsinn sein und es kann versinnbildlicht werden. So etwa fragte Zappa vor seinem letzten öffentlichen Auftritt, dem Konzert „The yellow shark“, nach dem „secret word for tonight“, worauf ein aus Pappe gefertigter gelber Hai auf die Bühne getragen wurde.
Letztlich kann das Wort, das Unsinn sein kann, auch Unsinn heißen; es sagt sich dann selbst aus und bildet das eine Wort im Sinn, das ausgelassen wird, um das sich also alles dreht, in dem aller Sinn versinkt. Borges: „Ein Wort immer auszulassen, sich mit untauglichen Metaphern und offenkundigen Umschreibungen zu helfen, ist vielleicht die betonteste Art, darauf hinzuweisen“ (88) – man denke an die literarischen Experimente von Georges Perec und Uwe Johnson. Innerhalb eines Sinnzusammenhangs muß es ein sinnvolles Wort sein (Schach, Zeit), im Sinn selbst jedoch kann es sich nur um Unsinn handeln. Daraus ergeben sich die beiden Funktionstypen sowohl der Lücke als auch des sinnlosen Wortes. …
Bereits die Stoiker schufen, aus ähnlichen Überlegungen heraus, ein sinnloses Wort: βλίτυρι, „Blituri“. Es ist ein Beispiel für ein sich selbst aussagendes Wort. Um dem unendlichen Regreß entgehen zu können, bedarf es eines Dingkorrelats, das es ist und zugleich von ihm differiert. Bei den Stoikern ist es das σκινδαψός, „Skindapsos“. Das Blituri ist ein Skindapsos, wie der Snark ein Bandersnatch war[1].
Dieses Wort, das sich selbst aussagt, ist Unsinn. „Der Unsinn ist eins mit dem Wort ‚Unsinn‘ und das Wort ‚Unsinn‘ ist eins mit den Wörtern, die keinen Sinn haben“ (L 93). Insofern sind diese Wörter identisch: „Es gibt nur ein Wort, das sich selbst und seinen Sinn aussagt, eben das Wort Unsinn, Abraxas, Snark oder Blituri“ (D 200). Es reicht dabei nicht aus zu sagen, daß es der Sinn des Unsinns sei, keinen Sinn zu haben, vielmehr geht es Deleuze um „den originellen Typus eines intrinsischen Verhältnisses“ (L 94), das keine Adäquation zum Wahr-Falsch-Verhältnis besitzt, nicht als Gegensatz zu verstehen ist, vielmehr sind beide so eng miteinander verknüpft, daß es möglich wird zu sagen, der Sinn kann ohne den Bezug auf den Unsinn nicht existieren.
Es muß folglich ein Verfahren geben, das den Sinn mit Hilfe des Unsinns ermöglicht, produziert, und dieses Verfahren ist der eigentliche Sinn des Unsinns; es ist die Sinnstiftung. Anders herum: die Sinnstiftung durch den Unsinn garantiert, daß, wenn er auch keinen bestimmten Sinn hat, dieser doch nicht mit der Abwesenheit des Sinns zu verwechseln ist. Die Sinnstiftung durch den Unsinn verweist sowohl auf die affirmative Grundbefindlichkeit des Unsinns als auch auf seine nicht-absurde Verfaßtheit[2]. Beides zusammen zeigt, daß es keinen Sinn an sich gibt, den es zu entdecken gälte, der ein apriorisches Ruhekissen beanspruchen könnte, sondern daß dieser Sinn, den es an sich natürlich gibt, herzustellen, zu produzieren, zu stiften ist. Das kann sowohl im Unsinn selbst, in dessen Vollzug geschehen, aber ebenso im Nachhinein durch Beihilfe eines Sinnstifters, des affirmativen Rezipienten.
Für diesen affirmativen Rezipienten, der zur Sinnstiftung befähigt ist, hat der Unsinn einen weiteren Sinn, nämlich seinen Nutzen. Der Sinn des Unsinns für den affirmativen Sinnstifter ist der Nutzen des Unsinns. Der Unsinn selbst aber ist nutzlos, weshalb er sich, im Sinne des Werkzeugs, zwar benutzen läßt, sich dafür zur Verfügung stellt, aber nie ausnutzen, solange er „Erselbst“ bleibt. Deshalb ist er für die Philosophie nach den großen Verdrehungen und Mißbräuchen (z.B. Marx und Nietzsche) interessant.“
Es folgen Überlegungen zur „Nutzlosigkeit“ der Kunst Helge Schneiders – die ich hier weglasse -, der einen „Nullpunkt des Sinns“ herstellt, welcher nicht nur nützlich, sondern auch notwendig ist. …
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2. „Das esoterische Wort Schneiders schlechthin, das längst schon als wandelbarer Neologismus Einlaß in die Sprache (bestimmter Schichten) gefunden hat, ist das Wort „poppen“. Als infinites Verb ist es zweifellos ein mehr oder weniger bekanntes Wort, wenn auch regional begrenzt, aber bei Schneider erfährt es überraschende Veränderungen, ja es kann sogar auf eine Genealogie verweisen. Ursächlich fungierte es als Synonym für Vulgärausdrücke, die die Kopulation bezeichnen, aber interessant ist es in anderer Hinsicht.
So hat es etwa einen onomatopoetischen Beiklang, der eine Nähe zum Pfropfen, zum Plop, Plup etc. als Lautmalereien aufweist. Das Wort mit seinem zentralen Vokal „o“, eingerahmt von zwei harten p-Lauten, vollführt eine lautliche Öffnung, es strahlt Helle aus. Das „o“ – Ernst Jünger nannte es den Laut der Aristokratie – gibt der Vokabel eine gewisse Eleganz, die recht eigen mit der Rasanz des Wortes und dem vulgären Sinn zusammenstößt. Es reißt das Wort aus den schmuddeligen und brutalen Abgründen der Vulgarität heraus, in denen seine Synonyme, die von i- oder u- Vokalen geprägt werden, hausen, gibt ihm etwas Feierlich-Fröhliches. Die Flüssigkeit des dreifachen „p“ unterstützt dies noch, zumal deren Härte jegliches pfuhlig-schlammige Milieu negiert.
Wieland sprach einmal von „Mesalinen und Poppeen“ und meinte damit die für ihr ausschweifendes Leben, für ihre Geilheit bekannte Frau des römischen Kaisers Claudius sowie Neros zweite Frau. Popäa aber heißt „Püppchen“ – man denke an Schneiders Barbiepuppe, „wenn man mal geil ist“. Aber auch populus – das Volk, popellus – der Pöbel oder populor – verderben, vernichten, mögen etymologisch und sprachhistorisch anklingen. Im Deutschen sind Pops, Popo, Popeln, popelig nicht weit entfernt, möglicherweise ließe sich auch an Oleg Popow erinnern, den weltbekannten russischen Clown oder gar an einen Popen. Dem ausgewiesenen Heine-Kenner Schneider dürfte auch das Eiapopeia des „Wintermärchens“ nicht unbekannt sein. Ob er ihn als einen Begriff, der rekursive Prozesse beschreibt[3], kennt, wie uns das Kultbuch von Hofstadter mitteilt, bleibt offen, wiewohl es eine überaus geglückte Beziehung darstellt, denn auch Schneiders Denken befindet sich innerhalb des magischen Dreiecks von Gödel, Escher und Bach, kennt vor allem die Rekursion, die „Verschachtelung und Varianten der Verschachtelung“.
Ihre wahre Vielfalt spielt die Vokabel aber aus, wenn man an Pop denkt. Deleuze bekannte einmal, eine Art Pop-Philosophie, Pop-Analyse erträumt zu haben (KS 15). Das Lachen wird man sich aber spätestens dann nicht verkneifen können, wenn man sich einen Popsong, Popmusik, Popkonzert, Pop-art, Popkunst, Popstar, Popcorn oder gar eine Popgruppe vorstellt; oder wie wäre es mit Popgymnastik. Population klingt dann schon wie Kopulation. Verschwiegen werden darf aber auch nicht der von Schneider gern und effektvoll genutzte „Popanz“, und Karl Popper (jetzt kommt der Witz!) – dessen Name ohnehin schon halbstarke Modeorientierung assoziiert – bekommt auch noch sein Fett weg, denn es wäre ein schier unglaublicher Zufall, wenn der in England geadelte Philosoph, der auf der Insel nahezu 50 Jahre lang lebte (Karl wird hier zu Charles), im Hörstück „Sir Charles Poppoloch“[4] nicht Pate gestanden hätte. Ob dabei lediglich der vielsagende Name Anlaß war oder gar dessen Philosophie, ist nicht zu sagen, aber es entspräche Schneiders Denken durchaus, mit Poppers „Kritischem Rationalismus“, vor allem aber seiner naiven Fortschritts- und Kapitalismusgläubigkeit und seinen trockenen weitschweifigen Darlegungen auf Kriegsfuß zu stehen. Unzweifelhaft jedoch spricht sich hier eine prinzipielle Respektlosigkeit vor der Philosophie aus.
Dies alles zeigt, wie glücklich die Wahl gerade des Wortes „poppen“ ausgefallen ist, denn an konnotativem Reichtum, an klanglicher Resonanz und spaßig-onomatopoetischer Potenz ist es schwerlich zu überbieten. Als esoterisches Wort fungiert es jedoch vor allem in seinen Varianten, als multifunktionaler Wortstamm, dort also, wo von „poppernen“, „poppichtig“, „Poppeunde“, „Poppase“ etc. die Rede ist. Es ist noch nicht verfremdet genug, um seine selbstaussagende Funktion nicht übernehmen zu können – da erfüllt es die Anforderungen an den Unsinn -, aber ausreichend variabel, um nicht mehr signifikant zu sein. Es ist damit allen Formen von Phantasie geöffnet…“