Das menschliche Element

Politik könnte so einfach sein: Ideen, Programme, Argumente, Mehrheiten, Beschlüsse, Gesetze … so könnte man ein Land zum Besseren verändern. Allein, es gibt den Menschen. An ihm muß immer wieder alles scheitern. Der Mensch ist evolutiv ein Horizonttier – seine Ängste und sein Begehren reichen bis zu seinem sichtbaren Horizont, selbst die größten Abstraktionskünstler, die man manchmal „Philosophen“ nennt, scheitern im Kleinen an ihren Gefühlen, Wünschen und Verletzungen.

Da gibt es also Frauke Petry. Mit einem „Paukenschlag“, wie die Presse genüßlich schreibt, verläßt sie just am Tag nach dem größten Erfolg ihrer Partei die Bundestagsfraktion. Niemand im inneren Zirkel hat davon gewußt und dennoch nimmt sie für sich in Anspruch, lange darüber nachgedacht zu haben. Das heißt, sie muß diesen Schritt bereits vor der Wahl und vor ihrem gewonnenen Direktmandat meditiert haben.

Lassen wir vorerst alle Abstraktion beiseite. Rein menschlich kann man sie durchaus verstehen. Die schweren Niederlagen der letzten Monate müssen tiefe Wunden in ihrer Seele gerissen haben. Ja, man kann sogar ihren Idealismus ernst nehmen: Warum sollte sie nicht tatsächlich um das Wohl der konservativen Bewegung besorgt sein? Es ist nachvollziehbar, wenn sie aus ihrer Position heraus zu dem Schluß kommt, daß mit dieser Fraktion und mit dieser Führung kein Staat zu machen sei. So gesehen ist ihr Schritt nicht nur konsequent, sondern auch mutig.

Doch ist das nur die Hälfte, nein, ein Drittel der Wahrheit. Unübersehbar spielt hier auch ein intrigantes Element eine Rolle – vor 20 Jahren, als wir noch nicht politisch korrekt waren, hätte ich vielleicht noch von einem „weiblichen Element“ gesprochen, vorausgesetzt, man versteht unter Männlichkeit die Fähigkeit des Einsteckens, des Kampfes mit offenem Visier und eine gewisse Härte gegen sich selbst. Es gab bereits viele Beobachter, die ihr aus dieser Perspektive nicht mehr trauten, sie für eine Strippenzieherin hielten. Heute ist dieser Persönlichkeitszug unübersehbar geworden – aber wie gesagt, selbst der läßt sich aus den Verletzungen noch erklären. Sie wollte den anderen auch eins auswischen, wollte sich rächen … dafür spricht die Dramaturgie

Und hat damit in der Tat ihre Position und die Bundespressekonferenz, wie der Sprecher instinktsicher anmerkte, mißbraucht.

Überschreiten wir diesen Horizont. Ich stelle mir vor, wie ein Vollblutpolitiker, ein reiner Pragmatiker reagiert hätte, einer wie Strauß oder von mir aus Lenin. Wie hätte Lenin gehandelt? Er ist insofern ein gutes Beispiel, weil es ihm immer wieder gelungen war, das politisch Notwendige gegen interne und externe Widerstände durchzusetzen. Dabei bediente er sich auch Methoden, die heute als unfein gelten. Das waren sie, aber sie waren eben auch erfolgreich – erfolgreich im Sinne des Machterhaltes.

Lenin schuf in seiner bahnbrechenden Schrift „Was tun?“ (LW Bd.5 S.355-549) schon sehr früh, im Jahre 1902, das Konzept des „demokratischen Zentralismus“ für den organisatorischen Aufbau einer proletarischen Partei. Er wollte den Risikofaktor Mensch kontrollieren. Zentralistisch war es insofern, als die direktive Richtung von oben nach unten ging, und demokratisch, als die kritische Richtung von unten nach oben führte und von unten nach oben gewählt wird. Das heißt, Beschlüsse müssen umgesetzt werden und es herrscht Fraktionszwang, aber die übergeordneten Gremien sind den untergeordneten rechenschaftspflichtig und die untergeordneten Gremien umgekehrt zur Kritik der übergeordneten verpflichtet. Minderheiten haben sich Mehrheiten anzuschließen. Soweit die Theorie – die Geschichte zeigt, daß auch dieses System, das anfangs sehr erfolgreich war, schnell entartete.

Lenin hätte wohl im Frühjahr 2017 nicht gezögert, Frauke Petry noch auf dem Parteitag in Köln sofort aus der Partei auszuschließen (spätestens als sie den Parteitagsbeschluß, ihren „Zukunftsantrag“ nicht zu diskutieren, nicht akzeptierte) und er hätte das mit seiner Autorität und seiner Energie auch durchgesetzt. Dabei hätte er sie menschlich durchaus verstanden und ihr vielleicht sogar übers Haar gestrichen, aber die höhere Aufgabe hätte es verlangt und das wäre sein einziger Gedanke gewesen.

Der demokratische Zentralismus hat in der liberalen Demokratie einen schlechten Leumund. Es gibt auch keine Lenin-Typen mehr, weder die Skrupellosigkeit betreffend, noch den politischen Instinkt und schon gar nicht den Intellekt. Auch Lenin war ein Horizonttier, aber sein Horizont war die Partei – er war ein Abstraktionsmeister, wenn es um ihn persönlich ging.

Allein daß Frauke Petry sichtbar gekränkt war, hätte sie in seinen Augen schon suspekt gemacht, denn sie hat ganz offenbar die erste Regel der Politik nicht begriffen. Man darf sich nicht verletzen lassen! Wer sich als Vertreter wählen läßt, geht mit seiner Wählerschaft einen Vertrag ein, der vor allen politischen Inhalten die eigene Verletzungsfreiheit garantiert. Das ist menschlich zwar unmöglich, politisch aber notwendig. Nicht umsonst definierte Peter Sloterdijk die Politiker immer wieder als Überforderte[1], per definitionem. Wer von sich und von seinen Gefühlen nicht abstrahieren kann, sollte die Politik meiden – er wird in diesem Falle ohnehin früher oder später scheitern.

Politik ist schmutzig. Das muß jeder wissen, der in sie eintritt. Wer aus ihr wieder austritt, weil es ihm zu schmutzig war, hat sich und andere getäuscht. Es bedarf einer gewissen persönlichen Konstitution, Politiker zu werden, eine Konstitution, die klügeren Menschen in der Regel zuwider ist. Günther Anders hatte recht, als er schrieb: „Nicht die Politiker sind beschränkt, sondern die Beschränkten werden Politiker“[2].

Man wird sich von Frauke Petry trennen müssen, ob man es will oder nicht. Sie wird wohl eine neue Partei gründen – und damit Erfolg haben oder nicht. Es bestätigt sich: der Sieg der AfD ist ihre schwerste Stunde. To be or not to be – diese Frage wird sich in den nächsten Tagen entscheiden. Am Ende jedoch scheitert es immer am menschlichen Element.

[1] z.B. in: Selbstversuch. Hamburg 1996
[2] Anders, Günther: Die Atombombe ist die Auslöschung der Zukunft.

siehe auch: Die 13-Prozent-Hürde

interessante Einblicke in den Fall liefert Klonovsky:

oder hier: http://www.pi-news.net/wer-wird-den-judaslohn-erhalten/

siehe auch: https://www.michael-klonovsky.de/artikel/item/474-bonnie-und-clyde-der-afd

4 Gedanken zu “Das menschliche Element

  1. Joe R. schreibt:

    Vergessen wir mal nicht, dass Lenins (und Trotzkis) Revolution vor allem mit jüdisch-amerikanisch-engl. Geld siegte; Ohne dieses Moos wäre nix los gewesen – egal wie genial oder nichtgenial der kleine Demagoge war.

    Seidwalk: Können Sie das etwas genauer ausführen? Bislang behauptet die Geschichtsschreibung – und hat konkrete Beweise dafür -, daß die Revolution vor allem von deutschem Geld! bezahlt wurde – und jüdisches war, soweit ich weiß, nicht darunter, sondern eher „preußisches“, wenn man so will.

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  2. Kurt Droffe schreibt:

    Ich gebe zu, daß ich Lenins Schriften kaum kenne; immerhin (!) haben wir ihn im Westen im Gymnasium in der Oberstufe behandelt, nach Marx, und zwar nicht nur kursorisch, sondern bei unserem sympathisierenden links-grünen Geschichtslehrer recht ausführlich. Seine ökonomischen Ansichten sind mir jetzt mehr durch die Widerlegungen seiner Gegner wie Mises präsent.
    Und ich gebe zu, „Was tun“ gehört zu den Büchern, die ich immer doch wenigstens einmal durchgesehen haben wollte; werde ich mir vielleicht mal bestellen, zumal sich einem die Frage ja täglich neu stellt…
    Immerhin, das muß man feststellen, wurde die ökonomische Diskussion damals ja noch richtig geführt, auf beiden Seiten. Und wenn auch angesichts der empirischen Befunde und der diese zur Genüge erklärenden klassischen Theorie die heutige Wirtschaftswissenschaft sich für den „Sozialismus“ und seine Widerlegung nicht mehr interessiert, so erstaunt mich doch, wie wenig selbst seine Anhänger sich noch für die ökonomischen Aspekte von „Sozialismus“ interessieren. Mehr als „alles für alle“ nehme ich da nicht wahr, plus ganz viel „Kultur-„Marxismus. Aber das nur am Rande.

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  3. Kurt Droffe schreibt:

    In der Analyse stimme ich Ihnen und Klonovsky zu, nur vermag ich nicht abzuschätzen, wie wichtig Frau Petry für die sächsische AfD und ihren Erfolg ist. Werden die auch ohne sie diese Ergebnisse einfahren?
    Konsterniert bin ich ja immer von Ihrer anscheinend noch vorhandenen Hochachtung vor Lenin, der wohl sicher ein begnadeter Politiker, aber kaum ein „großer Geist“ oder Analytiker, schon gar nicht der Wirtschaft seiner Zeit oder des Kapitalismus war. Ich kann da nur mit Genuß eine Passage aus Mises‘ „Gemeinwirtschaft“ (dessen sorgfältige Lektüre ein knappes Jahrhundert an Elend vielleicht hätte verhindern können, denn es steht alles schon drin) zitieren:
    „[Sozialisten wie Lenin sind] in der Erkenntnis des Wesens der Wirtschaft nicht weiter gekommen als der Laufbursche, der von der Tätigkeit des Unternehmers nur das eine beobachtet hat, daß er irgendwelche Blätter Papier mit Buchstaben und Ziffern beschreibt.
    Darum ist es Lenin auch ganz unmöglich, die Ursachen des Versagens seiner Politik zu erkennen. Durch sein Leben und durch seine Lektüre ist er dem Wirtschaftsleben so entrückt geblieben, daß er dem Tun der „Bourgeoisie“ so fremd gegenübersteht wie ein Zulukaffer dem Tun eines Entdeckungsreisenden, der geographische Messungen vornimmt.“
    Mises hat darin schon um 1920 den kompletten Unsinn des sozialistischen „Experiments“ begründet widerlegt; immer noch lesenswert..

    1922, um genau zu sein.

    Klicke, um auf Mises_Gemeinwirtschaft.pdf zuzugreifen

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    • Was kann man gegen die Geworfenheit ausrichten? Sie ahnen gar nicht, was mir Lenin einst bedeutet hat und wie schmerzhaft es war, von ihm Abschied zu nehmen. Er war mein Einstieg in die Philosophie und die erste Veröffentlichung – im „Neuen Deutschland“! – behandelte das Verhältnis Lenins zu Stalin und die panische Parteipolitik während der Zeit der NÖP. …

      Materialismus und Empiriokritizmus“ war mein erstes Philosophiebuch, vom Großvater, einem Soldaten in zwei Weltkriegen und Kommunisten, geerbt.
      Aber vom biographischen Erbe ganz abgesehen: Lenins Imperialismus-Schrift wird heute wieder entdeckt. Gerade hatte Benedikt Kaiser in seiner „Querfront“ darauf hingewiesen, was ihm auch Kritik aus den eigenen Reihen einbrachte (wichtig!). Auch seine frühen agrarökonomischen Schriften sind noch lesenswert.

      Als Politphilosoph ist er aber unersetzlich – drauf bestehe ich – und in eine Reihe mit „Il principe“ zu stellen. „Was tun?“ oder „Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück“, „Staat und Revolution“, „Der linke Radikalismus, die Kinderkrankheit im Kommunismus“ sind wichtige Werke der theoretischen und praktischen Politik. Nicht, daß man ihnen noch blind folgen könnte, aber sie enthalten viel politisches Genie.

      Sicher kann er mit manchem Fachökonomen nicht mithalten, dennoch glaube ich eher, daß sein ökonomisches Versagen in seinem politischen Willen gründet und nicht in seinem ökonomischen Verständnis. Insofern war er gänzlich unmarxistisch und Marx hätte ihn vermutlich erbittert bekämpft. Lenin wollte Realität schaffen und hat sie sich selbst hingebogen. Es hätte die Revolution nicht geben dürfen, zumindest hätte sie spätestens 1922 in eine (irgendwie) bürgerliche Variante auslaufen müssen – dann wäre der Welt in der Tat unendlich viel Leid erspart geblieben.

      Und mir vielleicht mancher Irrtum, wenn ich so was wie Mises mit Mitte 20 hätte lesen können. Aber wissen Sie was? Ich hätte versucht, ihn zu widerlegen. Sehen Sie es doch mal so: Die Geschichte zeigt doch auch, daß Menschen sich ändern können – wer hätte jemals gedacht, daß so einer wie ich, an dieser Stelle stehen könnte?

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