Das blanke Daß

Große Querfront bei allen bekannten Print- und Internetmedien, von linkspopulistisch und linkspropagandistisch bis links, von „Huffington Post“ über „Süddeutsche“ bis „Spiegel“ und „Welt“, von Schrott bis „Qualität“, von „Bild“ bis „FAZ“ stimmen alle in den Kanon ein, sind alle einer Meinung: Anne Will hat versagt. Diesmal pflichten sogar die rechten und alternativen Medien, wie „Tichys Einblick“ oder die „Junge Freiheit“ bei und blasen ins gleiche Horn. Da muß was faul sein!

Was ist passiert? Gleich mehreres. Vermutlich zum ersten Mal gab es eine fast innermuslimische Diskussion, die lediglich der voraussagbare Wolfgang Bosbach störte. Das Meinungsspektrum war trotzdem breit. Ein Vater hatte seine Tochter an den IS verloren, Ahmad Mansour kämpft weiter seinen lobenswerten Windmühlenkampf gegen die Radikalisierung, Imam Mohamed Taha Sabri durfte alle Vorwürfe gegen seine und fast alle anderen Moscheen abschmettern und die „Frauenbeauftragte des ‚Islamischen Zentralrats Schweiz'“ Nora Illi, eine Konvertitin, durfte voll verschleiert auftreten und krude Thesen verbreiten.

Video der Passagen bei „Bild“

Video der Passagen bei „Bild“

Letzteres war der scheinbare Skandal. Sie hatte auf ihrer Webseite den islamistischen Terror relativiert, „Verständnis gezeigt“ und ist dafür noch in der Sendung scharf angegangen worden. Es war Mansour, der ihr „Propaganda“ vorwarf und ausrief: „So etwas kann man im öffentlichen Fernsehen nicht machen“. Dafür bekam er Beifall aus wirklich allen Ecken.

Aber er irrt! Sie alle irren!

Die ganze Erregung zielt in die falsche Richtung. Anne Will hat – ohne daß sie sich dessen freilich bewußt sein dürfte – genau das Richtige getan. So etwas muß man im öffentlich-rechtlichen Fernsehen machen und daß es nun quasi nebenbei und ungewollt passiert ist, sollte man als Glücksfall bezeichnen.

Es muß endlich möglich sein, über die Motive des Islamismus zu sprechen, und dazu muß man auf Augenhöhe auch mit den Islamisten reden. Man kann es nicht einerseits für die AfD oder die Identitären verlangen und es anderen marginalisierten Gruppen verwehren.

Es muß möglich sein, Verständnis zu zeigen und die Gefühlslagen der jungen Radikalisierten anzuerkennen. Wenn sie sich durch Ausgrenzung radikalisieren, dann ist das hinzunehmen: So ist es! Nur wenn es gelingt, sich in die Köpfe der Terroristen hinein zu begeben, nur wenn man deren Gedankengänge genuin versteht, wird man zumindest in der Theorie in der Lage sein, diese Wege umzubiegen. Daher halte ich die Teilnahme einer Nora Illi, noch dazu im vollen Ornat, für einen Glücksfall, für wichtiger als die hundertste Rede der alten Schlachtrösser und Medienhuren Bosbach und Mansour, die zwar auf der richtigeren Seite stehen mögen, die aber längst alles gesagt haben, was sie auf der Pfanne haben.

Es muß sogar möglich sein, die sich hinter radikalen Gedanken versteckende Moderne- und Gesellschaftskritik positiv anzunehmen, denn die Islamisten legen oft den Finger in weit offene Wunden und nur weil es der falsche Finger ist, kann man die Wunde nicht verleugnen. Sie haben aus ihrer Außensicht oft mehr Einsicht in die selbstdestruktiven Gesellschaftsprozesse als die meisten grundgesetzgezwungenen demokratieaffinen „Experten“, die per definitionem aus einer Verteidigungshaltung heraus agieren.

Illis bizarrer Auftritt hat mehr Aufklärungsarbeit geleistet als dutzende gutgemeinte Reden, ihre Verschleierung war entlarvender als alle Burkakampagnen zusammen. Sie war die Selbstevidenz in Person. Wer es bei diesen Bildern nicht begreift, begreift es nie. Jeder sollte sie sehen, in allen ihren tausenden Schattierungen.

Der Skandal ist nicht, daß eine Nora Illi in den Öffentlich-rechtlichen sich aussprechen darf, der Skandal ist auch nicht, was sie sagt, der eigentliche Skandal ist – und hier betreten wir eine ganz neue Ebene –, daß sie es sagt.

Der Skandal ist ebensowenig, daß Imam Mohamed Taha Sabri lächelnd in die Kamera lügen darf und die tolle Arbeit der Moscheen lobt, der eigentliche Skandal ist, daß er dies tut.

Es sind gefährliche Daßprediger, die keine Differenz anerkennen – aus ihnen spricht das blanke Daß!

 

5 Gedanken zu “Das blanke Daß

  1. chö schreibt:

    Der Fairness halber solltest du erwähnen, dass der SPIEGEL eine zur deinigen ganz ähnliche Analyse veröffentlicht hat: http://www.spiegel.de/kultur/tv/anne-will-gast-nora-illi-die-menschenfaengerin-a-1120108.html

    Ich habe die Sendung eher zufällig live gesehen und den Nachhall schon im Moment der Ausstrahlung antizipiert. „Endlich!“, habe ich mir gedacht. Unwillkürlich musste ich dabei an den gänzlich unprofessionellen Umgang von Bettina Schausten mit siegestrunkenen Holger Apfel denken: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/fernseh-eklat-moderatorin-verteidigt-interview-abbruch-a-319088.html
    So schlecht wie überall geschrieben steht, hat sich Frau Will da gar nicht geschlagen.

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  2. Pérégrinateur schreibt:

    Alles, was die Wahrnehmung verbessert, ist gut. Und lasst alle Esel ungehindert blöken, sie machen sich dadurch selbst am besten kenntlich.

    Das vor allem moralisch ungeheuer Erscheinende nicht hören zu wollen, ist eine verbreitete Haltung. Schon dem, der Verständnis im Sinne der Wahrnehmung ablaufender Mechanismen zeigt, wird gemeinhin dieses Verständnis zur Rechtfertigung und Billigung verdreht, weshalb man für Zensurwünsche hierbei sehr viel Beifall finden kann. Es gibt eben nur wenige prinzipielle Anhänger der Meinungsfreiheit. Die meisten wollen für sich selbst Kritikimmunität.

    Politisch gesehen ist die so erreichte willentliche Realitätsverkennung allenfalls dann harmlos, wenn man im Panzer fährt und das Ungenehme ohnehin gleich mit diesem zermalmen wird. Aber wie, wenn man den wegen Blindheit nicht einmal in die passende Richtung drehen kann? Ideologien sind meist oft nicht so einfach zu zerstören, wie mancher im Vollgefühl der eigenen denkt. Es gibt zum Beispiel den Märtyrer-Mechanismus, mit dem gewöhnlich vorzüglich rekrutiert wird.

    Es hat etwas Absurdes, wenn gerade diejenigen, die die Gartenhecke am liebsten ausreißen möchten, um ja möglichst viele Menschen einreisen zu lassen, sich danach über die sprießenden Eckläden zum Verkauf der ideologischen Konterbande empören, die die Neuen unter ihren Schädeldecken hereintragen. Haben die etwa nie Heines Wintermärchen gelesen?

    Besonders lustig wird es werden, weil unsere hiesigen moralischen Menschheitsaufklärer die Neulinge natürlich zum obligatorischen bundesdeutschen Prozionismus bekehren wollen. Bei der sich bildenden, staatlicherseits geförderten institutionellen Elite der neuen Bevölkerungsgruppe wird das womöglich verfangen, sie werden wohl zumindest nach außen hin das richtige Liedlein singen, aber wenn sie nicht für ihre Mündel erkennbar heucheln, werden sie wohl gerade dadurch das vereiteln, was ihren Förderern mit ihnen im Sinn liegt, nämlich sich einen ideologischen Transmissionsriemen nach unten zu schaffen, wie man ihn so lange in Gestalt der christlichen Staatskirchen hatte. Denn, Hand aufs Herz, es lassen sich, etwa durch die ethische Austauschprobe, auch Gründe für die arabische Position finden.

    Deutschland ist Nichtatomwaffenstaat und Signatarstaat des Atomwaffensperrvertrags, seine Politik bekommt beim bloßen Gedanken an iranische Nuklearwaffen hysterische Anfälle. Gleichzeitig verschafft es aber Israel, einem Nichtsignatarstaat mit Nuklearwaffen, Trägersysteme für diese. Man könnte den Status als Heuchler bei den Neuankömmlingen nicht einfacher erwerben. Die alternativlose Außenpolitik kommt also der alternativlosen Integrationspolitik in die Quere und umgekehrt. Wer Widersprüchliches will, besorgt sich am Ende nur Ärger. In möglichst allen fremden Händeln dabei, und sie dann überdies noch ins Land holen, wie genial!

    Denn die Parteinahmen im nahöstlichen Dauerkonflikt folgen wenig beirrbaren persönlichen Affinitäten, also der Herkunft, der Stellung persönlicher Bekannter usw., was ja auch bei den Anhängern der anderen Seite gut zu erkennen ist. Es ist kein Zufall, dass etwa Broder regelmäßig dann ausrastet, jede Ironie vermissen lässt, nur noch mit der Keule zuschlägt und unflätig wird, wenn sein heiliges Israel verbal attackiert wird.

    Das Schauspiel, wie die bundesdeutsche Moraloberlehrerschaft aller Klassen in die Aporie gerät, wenn sie plötzlich mit zwei rechthaberischen Minderheiten konfrontiert sein wird, die qua Minderheit von ihnen den Opferstatus verliehen bekommen haben, könnte einen wohl selbst noch in einem Bürgerkrieg erheitern.

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  3. Kurt Droffe schreibt:

    Ich habe den Beitrag selbst gar nicht gesehen (kein Fernseher, aus gutem Grund), aber meine Reaktion auf die Berichterstattung war ganz die gleiche wie die Ihrige: Für was, wenn nicht genau für so etwas, ist denn der ÖR da? So was sollte man gezeigt bekommen, und so etwas sollte man schon aushalten! Es wird uns ja auch in schöner Regelmäßigkeit erklärt, daß nur der ÖR die „gesellschaftliche Vielfalt“ abbilde, und daß das seine Aufgabe und Lebensberechtigung sein – also bitte, das gehört dazu. Schon die Diskussion darüber ist wohltuend. Ich verstehe daher auch nicht die Reaktionen bei Boder oder der JF.
    Was mir allerdings der Islamismus an Problemen der westlichen Gesellschaften aufzeigen könnte, weiß ich nicht, darin bin ich ja anderer Meinung als Sie. Eine solche Problemanalyse, und vermutlich eine sachgerechtere, bekomme ich auch mit Bordmitteln hin..

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    • Der Islamismus kann „uns“ analytisch natürlich nichts beibringen, da haben Sie recht. Er kann unsere „Bordmittel“ nur zerstören. Aber auch sie sind Daßprediger und sollten daher gehört werden, denn sie sprechen aus, was viele junge Menschen (vor allem) denken, was ihnen fehlt in unseren Gesellschaften, warum sie sich abwenden und warum diese Abwendung auch ihre Berechtigung, zumindest eine Erklärung, eine innere Logik hat … Jeder sensible junge Mensch stand irgendwann selbst vor dieser Entscheidung … den meisten stand nur der Islam als Möglichkeit nicht offen. Dafür dann die Ökobewegung oder der Kommunismus oder der Fußballverein oder was auch immer.

      Broder hat einfach nur auf einen Knalleffekt gewartet, um eine andere (kleine) Frage in den Ring zu werfen: GEZ. Die anderen, glaube ich, haben, bevor sie zu denken anfingen, die Möglichkeit des Bashings einfach genutzt. Paulwitz ist sonst ein heller Kopf – anders ist nicht zu erklären, daß er diesmal nicht willens war, um die Ecke zu denken.

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      • chö schreibt:

        Mir ist das einfach zu wenig. Wir reden hier über ein paar Hundert Verirrte. Junge Menschen haben sich zu jeder Zeit schon von der gesellschaftlichen Norm emanzipieren wollen. Erst waren es Jimi Hendrix und die Beatles, dann mal die Antifa, die Öko-Bewegung, Burschenschaften, der Okkultismus, die RAF/IRA/ETA, Punks, Nerds, Hacker. Es bleibt abzuwarten, ob Frau Illi auf ihrer spirituellen Reise überhaupt beim radikalen Islam hängen bleibt oder nicht irgendwann auch Gefallen am Frauenbild im Nationalsozialismus finden kann.
        Herr Mansour hat den radikalen Islam ja richtigerweise als faschistische Ideologie (ohne theologische Grundlage) bezeichnet und darin unterscheidet er sich ja nicht vom sinnentleerten Brandsatzwerfen auf Flüchtlingsunterkünfte. Selber Hass, andere Sprache.

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