Blick in die Zukunft V

Nun ist es also so weit. Zum vorerst letzten Mal werde ich Hussain sehen. Über fast ein Jahr trafen wir uns mehrmals die Woche. Anfangs zusammen mit anderen, aber da der Kreis der Teilnehmer immer kleiner wurde, blieben nur wir zwei übrig, gelegentlich von Khaled oder Salim gestört.

Man muß es fast so hart ausdrücken: gestört. Denn sie konnten hinsichtlich der Geschwindigkeit und Tiefe unserer Gespräche nicht mithalten – sprachlich nicht und auch nicht inhaltlich – und waren daher wie Bremsklötze, denen wir dann gemeinsam ihre Schwere nehmen wollten.

Hussain signalisierte von Anfang an eine außergewöhnliche Offenheit. Er wollte lernen, wissen, verstehen, soweit es ihm möglich war. Er wollte sich in Frage stellen. Ob das genügt, um ein „Europäer“ zu werden, der sich im Westen wie der Fisch im Wasser orientieren kann, bleibt abzuwarten. Selbst bei besten Voraussetzungen wird es nicht leicht – ist man einmal islamisch-arabisch sozialisiert –, die Ideen der Aufklärung, der Säkularisation, der Meinungsfreiheit, der Gleichheit, der Rechtsstaatlichkeit, der Demokratie zu verstehen. Aber wenn es einer schaffen kann, dann ist es Hussain.

Bevor wir uns verabschieden, frage ich auch ihn: Wo siehst du dich in ein, drei, in zehn Jahren?

Wie alle Syrer hat er Schwierigkeiten, Visionen zu entwerfen. Man macht einen Schritt nach dem anderen und schaut, wohin sie führen; man steckt keine fernen Ziele ab.

Sein nächster – noch immer der erste – Schritt ist die Sprache. Derzeit wartet er auf das Ergebnis seiner B1-Sprachprüfung. Alles andere als „Ausgezeichnet“ wäre eine Enttäuschung. Zur Mündlichen verabschiedete ihn die Lehrerin mit dem ermutigenden Satz, sie habe Musik gehört, es wäre Musik in ihren Ohren gewesen. Kein Wunder beim wohl üblichen Gestammel.

Danach wird er Plauen voraussichtlich verlassen – Leipzig zieht ihn an. Ich spreche ihm Mut zu: Leipzig könnte eine gute Stadt sein. Ich empfehle ihm eine Wohnung im Leipziger Süden zu suchen. Die Gegend ist angenehm und die Deutsche Bücherei in Laufdistanz. Das gefällt ihm.

Dann wird er seinen B2 und C1 machen. Und danach würde er gerne studieren: Medizin.

Ich weiß nicht, ob das realistisch ist. Das Zeug hat er dafür. Im Gegensatz zu den anderen kann man sagen: Was aus Hussain wird, hängt nicht von ihm ab. Oder anders: Was von ihm abhängt, das wird er leisten.

Sein Schicksal hängt an einem anderen Faden, dem der deutschen Bürokratie. Man hat ihm als einzigem den Asyl-Status verwehrt. In elf Monaten wird er wieder einem Entscheider gegenübersitzen und muß auf dessen Gunst hoffen. Und dann in drei Jahren noch einmal. Und danach muß er einen eigenen Lebensunterhalt nachweisen, um weiterhin in Deutschland bleiben zu können. Keine Ahnung, wie das mit einem Studium zu vereinbaren sein wird.

Also gibt es zwei mögliche Normalszenarien: Entweder Hussain wird Mediziner oder zumindest Akademiker in Deutschland und er wird ein guter, oder er wird nach Kriegsende zurück nach Syrien geschickt.

Ach so, vielleicht gibt es noch einen dritten Weg! Er möchte gern eine Familie gründen. Mit einer syrischen oder mit einer deutschen Frau, frage ich ihn. Das sei nicht wichtig, meint er. Mohammeds oder Khaleds Weg einer Heiratsvermittlung käme jedenfalls nicht in Frage. Eine deutsche Frau, sage ich, die keine Muslimin ist – das wird nicht einfach. Sie wird andere Vorstellungen von einer Beziehung, von Sexualität, von Freiheit haben als du. Sie wird vielleicht mit anderen Männern tanzen oder sogar schlafen, wenn sie es will … Könntest du das aushalten?

„Ich bin für alles offen. Man kann über alles reden. Wenn ich in Deutschland bin, muß ich mich an die deutschen Regeln halten.“

Seine Worte in Allahs Gehörgang! (Mit dem wird er auch noch ein Hühnchen zu rupfen haben!)

Ich werde Hussain vermissen!

Grillen zum Abschied

Grillen zum Abschied

 

Vergleiche:

Blick in die Zukunft I

Blick in die Zukunft II

Blick in die Zukunft III

Blick in die Zukunft IV

7 Gedanken zu “Blick in die Zukunft V

  1. chö schreibt:

    Ich bemerke immer wieder, wie froh alte und pflegebedürftige Menschen sind, dass sie überhaupt behandelt werden. „Der Doktor kommt aus Rumänien, spricht an sich ein sehr gutes Deutsch und hat sich gut um mich gekümmert.“ Dasselbe mit Pflegeschwestern aus Tschechien, Kenia, Ukraine. Leute wie Hussain werden uns allen irgendwann mal den Arsch retten. Ich freue mich drauf! Aber ich will nicht wissen, wie das mal in den europäischen Ländern aussieht, die ihre Intelligenzia in Richtung Westen verlieren, aber niemanden sonst ins Land lassen wollen.

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    • Pérégrinateur schreibt:

      Das ist aber nun sachlich kein guter Grund, wieso man unbedingt Analphabeten aus dem Nahen Osten ins Land lassen muss. Die werden wohl keine Ärzte werden, sicher aber Patienten, und vielleicht sogar, angesichts eines kulturell schon bei ihnen angelegten und im Angesichte des eigenen Misserfolgs dann seelisch besonders notwendig werdenden Überlegenheitsgefühls, besonders impatiente Patienten. Eine Verbesserung der ärztlichen Versorgung der Autochthonen wird eben nur durch eine Zuwanderung erreicht, in der es mehr Ärzte als unter der ansässigen Bevölkerung gibt oder geben wird, nicht durch eine, bei der halt mal auch welche dabei sind. Denn die Dazugekommenen müssen ja dann auch noch mitversorgt werden.

      Die hiesige Bevölkerung überaltert, aber wenn, wie absehbar, die Neuankömmlinge wenigstens für die ersten zwei Generationen mehr aus dem Sozialsystem abziehen werden als einzahlen, dann wird die Bewältigung des harten Übergangs demnächst, wenn die starke Kohorte der Babyboomer in Rente gehen wird, nochmals viel schwerer und nicht etwa leichter.

      Schauen Sie sich nie nur die wunschkonformen Einzelfälle an, sondern die Statistiken. Jeder Raucher hat einen entfernten Onkel, der über 90 wurde und sein ganzes Leben lang geraucht hat. Das Argument ist eine Klappe vor dem blauen Auge.

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      • chö schreibt:

        Wenn schon Statistik, dann bitte richtig:
        https://de.statista.com/statistik/daten/studie/452149/umfrage/asylbewerber-in-deutschland-nach-altersgruppen/
        Die überwiegende Mehrheit der Migranten ist im theoretisch optimalen Alter, um noch sehr lange ins Sozialsystem einzuzahlen. Etwas anderes wäre es, wenn nur Rentner oder Kinder herkämen. Dabei ist der Alphabetisierungsgrad aus meiner Sicht bei der aktuellen Arbeitsmarktlage von nachrangiger Bedeutung. Jeder, der ein halbwegs anständiges Leben mit Handy und Auto führen möchte, muss früher oder später in eine bezahlte Anstellung kommen. Darin unterscheidet sich der Migrant überhaupt nicht vom „Autochtonen“ und wenn überhaupt dann darin, dass er eine höhere intrinsische Motivation zur Verbesserung der eigenen Laeg hat. Selbst wenn der Staat im Schnitt drei Jahre lang draufzahlt, bis aus der Grundsicherung eine Anstellung wird, ist das doch ein gutes Investment. Bei unseren eigenen Kindern dauert es 20 Jahre oder mehr. Das ist ungefähr so, als wenn sich König Horst über den ach so ungerechten Länderfinanzausgleich beschwert, sich über die voll ausgebildeten, motivierten Binnenmigranten aber die Hände reibt.
        Sorgen machen muss man sich nur über die Sozialsysteme derjenigen Länder, aus denen die Migranten kommen!

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        • Pérégrinateur schreibt:

          @chö, 31. Oktober 2016 um 10:25

          „Die überwiegende Mehrheit der Migranten ist im theoretisch optimalen Alter, um noch sehr lange ins Sozialsystem einzuzahlen.“ 

          Eine notwendige ist noch keine hinreichende Bedingung, das Alter allein genügt nämlich nicht. Das setzt außerdem voraus, dass sie in eine Anstellung kommen, in der verbleiben und dabei soviel verdienen, dass sie mit ihren Abgaben mehr einzahlen als sie aus dem Sozialsystem entnehmen. Das hängt vom Bildungsgrad ab und das wiederum – denken sie an die hohe Analphabetenquote – von der Bildungsfähigkeit. Die hohe Quote der Abbildungsabbrüche ist da nicht sehr vielversprechend. Übrigens, wie groß ist die Aussicht selbst für einen höher Gebildeten, in einer fremdartige Sprache auf ein dem muttersprachlichen leidlich nahes Niveau zu kommen. Da scheinen dann eher Hilfsarbeiterkarrieren offenzustehen. Und was wird sein, wenn die Sonder-Exportkonjunktur durch den gedrückten Eurokurs zu Ende geht? Haben Sie über die Quote von Lehrabbrüchen gelesen? Es war da von der Hälfte bis 70% zu lesen. Haben SIe darüber gelesen, dass der Leiter des zuständigen Bundesamtes unlängst verlautbart hat, man werde wohl um gehörige Beschäftigung zu erreichen, Lohnsubventionen ausreichen müssen? Wenn man nur die eine Seite einer Bilanz anschaut und die Posten auf der anderen ausblendet, kann man immer ein großer Optimist bleiben. Und die Affektheuristik wird ja auch kundig bespielt, das will ich gerne einräumen.

          „Dabei ist der Alphabetisierungsgrad aus meiner Sicht bei der aktuellen Arbeitsmarktlage von nachrangiger Bedeutung.“

          Eine wie heute immer „nachhaltige“ Politik für die aktuelle Arbeitsmarktlage, also für im Mittel drei oder vier Jahre. (Der normale Konjunkturzyklus hierzulande liegt bei etwa sieben Jahren.)

          „Jeder, der ein halbwegs anständiges Leben mit Handy und Auto führen möchte, muss früher oder später in eine bezahlte Anstellung kommen.“

          Gemessen an etwa syrischen Einkommensverhältnissen dürften selbst hiesige Unterstützungskarrieren verlockend sein; das ist ja auch der Grund, weshalb die „Flüchtlinge“ gar nicht etwa nach Ungarn wollen. Denken Sie etwa daran, dass von der Bundesregierung mal gefordert wurde, für die „gerechte europäische Verteilung“ der angeblich für unser Land so vorteilhaften „Flüchtlinge“ EU-weit einheitliche Unterstützungssätze vorzusehen, damit keine Rückwanderung ins vermutlich zu begünstigte Deutschland stattfindet. Man hat dabei nur das Detail übersehen, dass die Unterstützungszahlungen dann höher sein würden als die Durchschnittseinkommen in manchen osteuropäischen Ländern, was also nicht zu machen ist. Und hier handelt es sich nur um Lohnunterschiede innerhalb der EU …

          Übrigens, wollten die bisherigen Einwanderergruppen aus verwandten Ländern nicht auch ein „halbwegs anständiges Leben mit Handy und Auto“ führen? Wieso dann keine im Verhältnis zu den Einheimischen überrragenden Bildungserfolge der Türken der zweiten oder dritten Generation? Es gibt Einwanderergruppen, die diese aufweisen, aber die kommen aus Ost- oder Südostasien.

          Der Vergleich mit den Hiesigen übrigens wird wohl später angestellt werden, und der wird sich sicher dann nicht integrativ auswirken.

          Ich glaube, Sie unterliegen hier Machbarkeitsillusionen. Deklamatorisch erhobene Herzen, „jetzt, da wir wollen, wird es auch gehen“ – üblichwerweise geht das aus wie die Vorsätze der Raucher zu Neujahr. Für mich klingt das nach dem berüchtigten „Wir werden siegen, weil wir siegen müssen“.

          Überlegen Sie doch einmal, welche Problem Bundes- und Landesregierungen haben, auch nur banale technisch-ökonomische Projekte (ich muss wohl keine Namen nennen) auf die Reihe zu bekommen. Da geht es nur um Beton, Stahl und Stromleitungen. Und nun wollen dieselben ein noch ambitiöseres soziales Projekt erfolgreich zu Ende bringen, mit so einer quecksilbrigen Materie wie Menschen, hiesigen wie hinzugekommenen. Sollten wir nicht vielleicht vorher noch „den Euro retten“?! Oder sonst irgend etwas wirklich zu Ende bringen, so dass nachher nicht mehr die Rede davon sein muss? Ich fühle mich hier von Dilettanten regiert, die sich stets gerade mal über eine Legislaturperiode durchmogeln, indem sie Naiven blauen Dunst vormachen, und bin wohl nicht der Einzige mit dieser redlich erworbenen Einstellung.

          „Selbst wenn der Staat im Schnitt drei Jahre lang draufzahlt, bis aus der Grundsicherung eine Anstellung wird, ist das doch ein gutes Investment.“

          Wenn es denn bei im Mittel drei Jahren bleibt. Und wenn nachher das Sozialsystem mitgetragen und nicht mitbeansprucht wird, s.o.

          „Das ist ungefähr so, als wenn sich König Horst über den ach so ungerechten Länderfinanzausgleich beschwert, sich über die voll ausgebildeten, motivierten Binnenmigranten aber die Hände reibt.“

          Vergleiche hinken, hier wie oben dargelegt die Ceteris-paribus-Annahme („voll ausgebildet“, vielleicht auch „motiviert“). Ich gestehe Ihnen aber gern zu, dass die derzeit betriebene Immigrationspolitik den Emigrationsländern sehr zum Nachteil gereichen könnte; selbst wo die kein mit dem hiesigen vergleichbares oder auch nur im entferntesten vergleichbares Sozialsystem haben. Das ist in dieser Form nämlich weitgehend ein europäisches Unikum und dürfte seinen Teil zur Zuwanderungswilligkeit beitragen. Folge ohne Zuwanderungsbeschränkung: The Tragedy of the Commons.

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          • chö schreibt:

            Ich kann Ihren Argumenten durchweg folgen, habe angesichts der schwer überprüfbaren Datenlage aber Schwierigkeiten, mir eine abschließende Meinung zu bilden. Gestatten Sie mir in aller Kürze aber ein paar weitere Denkanstöße:

            1) Alphabetisierungsgrad: Sehr vom Herkunftsland abhängig: http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/Kurzanalysen/kurzanalyse3_sozial-komponenten.pdf?__blob=publicationFile
            Dort steht aber fairerweise auch, dass es eine Tendenz zu Beschäftigungsverhältnissen mit niedrigem Einkommen gibt. Ich denke aber, dass sich das langfristig nivellieren und in der von Sascha Lobo beschriebenen „Aufspreizung“ aufgehen wird: https://www.welt.de/vermischtes/article159152625/Anne-Will-Diskussion-endet-im-Krawall.html

            2) Konjunkturzyklus: Entscheidend ist hier nicht die konjunkturelle Entwicklung, sondern die Arbeitslosenquote und die ist nun schon seit 12 Jahren kontinuierlich gesunken. Seit der de-facto-Abschaffung der klassischen Finanzmarktinstrumente sind Prognosen quasi unmöglich geworden.

            3) Ungarn: Haben Sie auch daran gedacht, dass Ungarn vielleicht aus politischen Gründen nicht so attraktiv für einen ohnehin schon Verfolgten ist?

            4) Der heutige Deutsch-Türke braucht doch keinen Bildungserfolg, um sich ein iPhone und einen gebrauchten BMW mit Goldfelgen leisten zu können.

            5) Sie vergleichen BER, Stuttgart 21 und die Elbphilharmonie mit einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe?! Tut mir leid, da sehe ich jetzt überhaupt keine Parallelen. Was sind diese Bauwerke anderes als wertlose moderne Denkmäler in einem lokalen Mikrokosmos? Die Mitmenschen aber sind omnipräsent und sie sind _Menschen_. Man wird sich damit auseinandersetzen _müssen_, während man bei den Großprojekten beständig mit den Schultern zucken kann. Wie schnell waren die ostpreußischen und schlesischen Kriegsflüchtlinge integriert? Wie schnell hat sich die Ossi-Wessi-Debatte erledigt? Der Mensch ist doch ein Gewohnheitstier und je mehr junge Menschen mit der neuen Lebenswirklichkeit groß werden, desto weniger werden sie als befremdlich empfinden. Ich hatte es schon an anderer Stelle geschrieben: Wir erleben einen typischen Aufschrei der 40 bis 60-jährigen, die schon zu viel hinter sich und noch zu viel vor sich haben. So what?!

            6) Wie regiert denn jemand, der kein Dilettant ist? Meinen Sie vielleicht das Versagen der intellektuellen Eliten?

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  2. Kurt Droffe schreibt:

    Thüringer Bratwurst und Bier: Da haben Sie ganze Integrationsarbeit geleistet! Und an der Grillzange übt sich, wer mal ein Skalpell führen möchte.
    Oder sind das Tofu-Würstchen, und erspähe ich da Limonade im Bierkasten?

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