Mythos Al-Andalus

Ich prophezeie der Philosophie eine andere Vergangenheit (Peter Sloterdijk)
Islam has a proud tradition of tolerance. We see it in the history of Andalusia and Cordoba during the Inquisition (sic!). (Barack Hussein Obama)

Die klassische Geschichtserzählung berichtet uns von einem Wunderland Al-Andalus. Inspiriert durch die romantische Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts, werden die Jahre zwischen 711 und 1492 vornehmlich als Ideal einer toleranten islamischen Zeit, einer Blüte der Gerechtigkeit, der Multikulturalität und Diversität, des Pluralismus und eines friedlichen und sich gegenseitig befruchtenden Nebeneinanders von Islam, Judentum und Christentum, von Convivencia, bis hin zur Symbiose, dargestellt.

Dabei wird, ganz grob gesehen, von drei Phasen ausgegangen: eine anfängliche besonders prosperierende Umayyaden-Herrschaft wurde von den etwas derberen Berber-Dynastien der Almoraviden und Almohaden abgelöst, verfiel zusehends in innere Konflikte und mußte der spanischen und portugiesischen Reconquista die Gebiete wieder abtreten. Was zwischen Eroberung und Rückeroberung lag, wurde seither als Ideal gefeiert, als Hochkultur, der die europäisch-griechisch-jüdisch-christliche ihr Dasein wesentlich zu verdanken habe, und gehört, neben der vermeintlichen Einspeisung des antiken griechischen Wissens durch die islamischen Gelehrten in den Prozeß der europäischen Renaissance und Aufklärung, zu den Hauptmythen eines demokratieaffinen Islam. Unverblümt wird sogar immer wieder ein offenes Interesse an dieser Darstellung signalisiert.

Eine ganz andere Geschichte – wunderbar ironisch mit Unmengen von klassisch-affirmativen Aussagen verschiedenster Quellen konterkariert – erzählt der Historiker Darìo Fernández-Morera in seinem soeben erschienen fulminanten Werk „The myth of the Analusian Paradise“.

Bevor Fernández-Morera das historische Material präsentiert, widmet er sich methodologischen Fragen, unter anderem der, weshalb die Wissenschaft, wenn es um Andalusien geht, oft blind ist. Er glaubt an eine „motivierte Blindheit“, die Individuen daran hindere, unbequeme Tatsachen wahrzunehmen, insbesondere wenn es sich im Dienste einer „kulturellen Agenda“ weiß. „Presentismus“ nennt   Fernández-Morera den Versuch, die Vergangenheit in Begriffen der Gegenwart erzählen zu wollen und damit der Großerzählung des geglückten Multikulturalismus und Religionsfriedens zu dienen. Wichtig auch zu wissen, daß aus Ländern des Nahen Ostens bedeutende Summen an europäische akademische Islam- und Nahost-Institute fließen, um entsprechend auf die historische und politische Darstellung Einfluß zu nehmen. Andere Ansätze werden sowohl in der Akademie als auch in der Presse schnell verteufelt und als unwissenschaftlich hingestellt.

Der Historiker schöpft aus einer unglaublichen Fülle an Material! Historische, juristische, religiöse, biographische, literarische, linguistische, archäologische, architektonische Quellen islamischer, christlicher und jüdischer Observanz werden ebenso herangezogen wie alte und neue Forschungen in vielen verschiedenen Sprachen, so daß „the sheer number of assertions from so many different sources“ regelrecht erschlagend ist und wenn es einen Kritikpunkt gibt, dann den unvermeidlichen Nebeneffekt der Langeweile, die aufkommt, wenn sich immer und immer wieder das gleiche Bild darbietet. In aller Kürze ist es dies:

Was bereits 710 durch einige Berberraubzüge begann, in deren Folge man im Norden Afrikas vom Reichtum und der Schönheit des Landes (und der Frauen) erfuhr, wurde bald darauf zur religiös motivierten Invasion. Der Begriff des Djihads spielt eine zentrale Rolle, die heute gern kolportierte Differenzierung zwischen „großem“ (innerer Kampf) und „kleinem“ (Krieg) Djihad läßt sich nicht nachweisen: Djihad war de facto und de jure (hauptsächlich in der Maliki-Nachfolge) Eroberung. Selbst die im Westen als Liberale und Geniale gefeierten Ibn Rushd, Ibn Hazm und Ibn Kaldun kannten und verbreiteten nur diesen einen Begriff. Tatsächlich kann man sich ja fragen, auch heute noch, wo denn die vielen erfolgreichen Muslime sind, die der innere Djihad – dem Calvinismus etwa vergleichbar – hervorgebracht haben müßte? Auch der übliche Vergleich mit den Kreuzzügen greife zu kurz, denn während das eine Dauerspannung erzeugen soll, war das andere ein je einmaliges durch eine religiöse Autorität ausgelöstes Ereignis.

Systematisch wurde von den muslimischen Eroberern über Jahrhunderte Terror als psychologische Waffe eingesetzt. Öffentliche Massenenthauptungen, Kreuzigungen, Ausstellung von Leichnamen gehörten ebenso dazu wie das Zerstören von Kirchen, repräsentativen Bauten und Bibliotheken. Das Durchsetzen der  arabischen Sprache ersetzte schnell eine Sprachenvielfalt, die demographische Wucht – eine hohe Geburtenrate und der Zwang, Kinder aus Mischverhältnissen islamisch zu erziehen – wurde bewußt als Waffe eingesetzt. Der kulturelle Verlust war enorm! Umso mehr, wenn man bedenkt, daß die durch byzantinische und römische Einflüsse geprägte Kultur der Westgoten ein reiches Kultur- und Geistesleben entfaltete und mutmaßlich kurz vor einer Blütezeit stand. Nicht die islamische Invasion brachte eine Aufklärung, wie gern geschrieben wird, sondern sie unterbrach eine blühende Kultur auf dem Wege zur Hochkultur und warf Europa kulturell weit zurück (58).

Das läßt sich auf allen Gebieten nachweisen: Medizin, Mathematik, Architektur, Poesie, Musik, bildende Kunst, Theater – letztere fehlen in der islamischen Kultur der Zeit vollkommen. Dort, wo die islamische Kultur brilliert, hat sie sich oft der westgotischen Ideenwelt und der christlichen Handwerker bedient – am paradigmatischsten zeigt das der berühmte muslimische Hufeisenbogen in der Architektur, den man auch als „maurischen Bogen“ kennt.

Frauenrechte wurden im „toleranten“ Andalusien ebenfalls beschnitten – im wahrsten Sinne des Wortes. Daneben gab es Verschleierungspflicht, wurden sie rechtlich entmündigt und dem Manne untergeordnet, an Herd und Krippe gezwungen, wurden zu tausenden als Sexsklaven mißbraucht – darunter viele auf Raubzügen erbeutete weißhäutige – und mußten in Harems dienen. Politischen oder geistigen Einfluß, wie man ihn aus der christlichen Kultur kennt – von Isabella von Kastilien bis Theresa von Àvila – hatte keine einzige Frau, es sei denn „mit den Mitteln der Frau“.

Ähnlich erging es den jüdischen und christlichen Gemeinden. Die Juden freilich litten unter den christlichen Westgoten mehr als unter den Muslimen, von einem Reich der Toleranz zu sprechen, ist jedoch weit hergeholt. Gelbe Armstreifen machten sie jedermann sichtbar, sie lebten in eigenen Vierteln und hatten den streng geregelten Kontakt zu Muslimen zu meiden.

Die christlichen Dhimmi waren ein wichtiger Wirtschaftsfaktor und leisteten neben den Sklaven den größten Beitrag, das öffentliche Leben zu erhalten. Die Liste der Verbote, die sie einzuhalten hatten, kennt kaum ein Ende. Die Dschizya, die sie als Kopfsteuer zu zahlen hatten, war ausdrücklich nicht nur ökonomisch motiviert, sondern diente der beabsichtigten Demütigung. Am tragischsten aus heutiger Sicht dürfte der enorme kulturelle Abstieg sein – die damaligen Menschen werden freilich mehr mit dem eigenen tagtäglichen und hunderttausendfachen Leid beschäftigt gewesen sein.

Fernández-Moreras Schlußfolgerung ist ernüchternd: „Few periods in history have been more misinterpreted than that of Islamic Spain.”

Quelle: Darìo Fernández-Morera: The myth of the Analusian Paradise. Muslims, Christians, and Jews under Islamic Rule in Medieval Spain. Wilmington/Delaware 2016

Youtube: Interview mit Darìo Fernandez-Morea

Youtube: Interview mit Darìo Fernandez-Morea

Radio-Interview mit Darìo Fernandez-Morea

3 Gedanken zu “Mythos Al-Andalus

  1. Ulrich Christoph schreibt:

    Zum Mythos Al-Andalus siehe auch die Essays „Ein angenehmes Märchen – Die Wiederentdeckung und Neugestaltung des muslimischen Spanien“ und „Islam und Toleranz – Duldung, Ausbeutung, Demütigung“, die zuvor auch in der Zeitschrift „Merkur“ erschienen sind, in: Siegfried Kohlhammer, „Islam und Toleranz – Von angenehmen Märchen und unangenehmen Tatsachen“. zu Klampen Verlag 2011.

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  2. Leonore schreibt:

    Siehe auch: Bat Ye’or „Der Niedergang des orientalischen Christentums unter dem Islam 7. – 20. Jahrhundert“ . 483 Seiten, davon ca die Hälfte Quellentexte. Mit Stichwort-Verzeichnis. Dr. Ingo Resch Verlag dt. Ausgabe 2002

    (Der Titel ist insofern mißverständlich, als es auch um Andalusien und auch um Juden geht.)

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